Eine Person im Anzug übergibt einer anderen etwas in einem braunen Papierumschlag. Im Hintergrund steht ein Hochhaus.© Atstock Productions / iStock / Getty Images Plus
Eigentlich sind die Preise, die die Krankenkassen ihren Rabattvertragspartnern zahlen, streng geheim. Der AOK ist jedoch eine folgenschwere Panne unterlaufen.

Rabattverträge

GEHEIME VERTRÄGE ENTHÜLLT – KRANKENKASSE KRIEGT 99 PROZENT RABATT

Welche Preise Hersteller und Krankenkassen für Arzneimittel in ihren Rabattverträgen vereinbaren, ist vertraulich. Im aktuellen Vergabeverfahren unterlief der AOK jedoch ein Fehler, sodass die Rabattangebote des Anbieters Glenmark nun offenliegen. Und die haben es in sich.

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Wenn Sie ein Rezept beliefern, sehen Sie im Kassenprogramm, welche Hersteller Rabattvertragspartner der Krankenkasse Ihres Kunden sind. Sie sehen auch den Apothekenverkaufspreis, den Sie auf das Rezept drucken. Was Sie nicht sehen, ist der Preis, den die Krankenkasse dem Hersteller tatsächlich für das Arzneimittel bezahlt. Denn die Konditionen sind geheim, schließlich sollen die Hersteller sich gegenseitig immer weiter unterbieten.

In der aktuellen Ausschreibungsrunde unterlief der AOK Baden-Württemberg ein Fehler: Die Kasse übermittelte die streng vertraulichen Angebote des indischen Unternehmens Glenmark an Konkurrenzhersteller. Aus diesen Unterlagen geht hervor, welche Rabatte Glenmark der AOK geboten hat, um Rabattvertragspartner zu werden. Für einige Wirkstoffe haben die Preise nur noch Symbolcharakter.

Glenmark bietet AOK Rabatte von fast 100 Prozent

Für viele Opioide, aber auch für Sartane, bietet Glenmark dem gesetzlichen Krankenversicherer über 80 Prozent Rabatt auf den Abgabepreis des Pharmazeutischen Unternehmers (ApU). Für das Betäubungsmittel Buprenorphin beispielsweise müsste die AOK etwa einen halben Cent pro Tablette zahlen – das entspricht über 99 Prozent Rabatt. Ein Gebot lag sogar bei 99,96 Prozent Preisnachlass.

Warum so hohe Rabatte?

Insbesondere für die AOK bieten die Hersteller teilweise Gebote, die auf den ersten Blick nicht mehr wirtschaftlich erscheinen. Dabei hoffen sie darauf, dass die Apotheken die Artikel der Rabattverträge in größeren Mengen an Lager legen und dann auch bevorzugt bei Mehrpartnerverträgen, Lieferengpässen oder Privatrezepten abgeben. So soll es sich für die Hersteller dann doch lohnen, der AOK die Arzneimittel quasi geschenkt zu haben.

Durch die günstigen Preise sparen die Krankenkassen Kosten im Milliardenbereich: Allein 2020 gaben sie fünf Milliarden Euro weniger aus, allein die AOK ist für zwei Milliarden Euro Ersparnis verantwortlich. Die gelockerten Abgabebestimmungen durch die Corona-Pandemie taten dem keinen Abbruch. Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dachte deshalb auf dem Deutschen Apothekertag darüber nach, die vereinfachten Regelungen beizubehalten und die Generika-Preisbildung allgemein zu überdenken, allerdings: „Die Einsparungen will ich schon beibehalten.“

Wie entstehen nochmal die Arzneimittelpreise nach AMPreisV?

Abgabepreis des Pharmazeutischen Unternehmers (ApU)
+ Großhandelshöchstzuschlag (3,15 % [max. 37,50 Euro] + 0,70 Euro)
= Apothekeneinkaufspreis (AEP)
+ 3 % (Zuschlag für Abwicklung, Lagerhaltung und Vorfinanzierung) 1
+ 8,35 Euro (Zuschlag für pharmazeutische Leistung) 8,35 Euro
+ Notdienstzuschlag (0,21 Euro)
+ Mehrwertsteuer (19 %)
= Apothekenverkaufspreis (AVP)
– Gesetzliche Zuzahlung des Versicherten (10 % des AVP, mind. 5 Euro, außer das AM kostet unter 5 Euro, max. 10 Euro)
– Gesetzlicher Apothekenabschlag (1,77 Euro)
– Gesetzlicher Herstellerabschlag
= Effektive Ausgaben der GKV

Produktion in Europa kann nicht mithalten

Angesichts dieser Preisschlacht wird deutlich, warum so viele Arzneimittel in China oder Indien produziert werden. Für die Preise, die die Hersteller den Krankenkassen bieten, könnten sie innerhalb der Europäischen Union „nicht einmal die Faltschachtel herstellen lassen“, wie ein Insider gegenüber Apotheke Adhoc äußerte.

Der Skandal um Verunreinigungen in Valsartan, die Coronakrise und die allgemeinen Lieferengpässe hatten dazu geführt, dass einige Politiker sich dafür einsetzen, wieder mehr Arzneimittel hierzulande zu produzieren. Das scheint unter dem nun anschaulich gewordenen Preisdruck utopisch.

Ungleiche Machtverhältnisse

Zu dem aktuellen Missgeschick schweigen sowohl die AOK Baden-Württemberg als auch Glenmark, sie stünden noch im Austausch und könnten daher keine Angaben machen. Mit einer Strafe hat die Krankenkasse vermutlich jedoch nicht zu rechnen. Zwar müssen die Hersteller vier- bis fünfstellige Vertragsstrafen zahlen, wenn sie einzelne Pharmazentralnummern zu spät melden, selbst, wenn die Rabattverträge erst Wochen später anlaufen.

Für Fehler der Krankenkassen sind vertraglich aber keine Sanktionen vorgesehen. Vergaberechtsexperte Dr. Marc Gabriel meint dazu: „Der Vorfall ist gravierend und geeignet, das Grundvertrauen in ein solches System der Rabattverträge nachhaltig zu untergraben. Der Fall zeigt, wie absurd diese Rabattvertragswelt ist und wie schief das Machtverhältnis zwischen den Krankenkassen und Herstellern.“

Quellen:
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/apothekenpraxis/aok-plaudert-rabattvertrags-geheimnisse-aus/
https://www.deutschesapothekenportal.de/download/public/patienteninformationen/dap_patienteninformation_rx_preisentstehung.pdf

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