Wissenschaftler in weiß zwischen meterhohen Regalen voller Pflanzen, im Labor
Wissenschaftler zwischen meterhohen Regalen, ohne Erde und mit künstlichem Sonnenlicht - sieht so die Landwirtschaft der Zukunft aus? © Perception7 / iStock / Getty Images Plus

Nachhaltigkeit und Innovationen

ERNÄHRUNG DER ZUKUNFT – WAS ESSEN WIR IN 30 JAHREN?

Die Weltbevölkerung wächst – und wie! 2050 könnten etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Wie soll man solche Massen nur ernähren? Das beschäftigt auch Forscher und Landwirte – wie könnte unser Speiseplan der Zukunft aussehen?

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Schon heute über das Essen von morgen nachdenken – für viele undenkbar, können sie sich doch nicht mal entscheiden, was am gleichen Abend auf dem Tisch stehen soll. Doch immer mehr Menschen beschäftigen sich mit ihrem Essverhalten und wie es sich auf ihre Umwelt beziehungsweise Zukunft auswirken könnte. Dabei stehen häufig die Schlagworte Nachhaltigkeit und Gesundheit in Zusammenhang. So verzichten beispielsweise immer mehr Menschen auf Fleisch oder den Verzehr tierischer Produkte generell, kaufen lieber saisonal und regional ein oder meiden Fastfood, um lieber jeden Tag frisch zu kochen (so weiß man, was drin ist). Foodblogs, Rezepteforen oder klassische Gesundheitsmagazine erfreuen sich daher aktuell großer Beliebtheit. Vielleicht alles nur ein Trend. Doch einige Grundgedanken fasst auch die Ernährungswissenschaft auf, nicht zuletzt wegen der Veränderung der globalen klimatischen Verhältnisse prognostizieren Forscher einen künftigen Ernährungswandel. Schon jetzt stehen über zwei Milliarden adipösen Menschen mehr als 800 Millionen Menschen gegenüber, die Hunger leiden. Die Ernährung der Zukunft bekommt also noch ein weiteres Attribut: sozial verträglich.

Die EAT-Lancet-Kommission
Über 30 Wissenschaftler aus der ganzen Welt trafen sich, um einen wissenschaftlichen Konsens zu erzielen: Wie sieht die zukünftige Ernährung aus, wenn auch Gesundheit und Nachhaltigkeit berücksichtigt werden müssen? Zum einen müsse laut der Experten der Fleischkonsum reduziert werden, denn für ein Kilogramm Rindfleisch entstehen durchschnittlich 22 Kilogramm Treibhausgase und die Produktion verbraucht knapp neun Kilogramm Getreide, etwa 15 500 Liter Wasser und 50 Quadratmeter Nutzfläche. Exzessive Bodennutzung zwingt Bauern dazu, mehr zu düngen und Insektenschutzmittel auszubringen. Reicht das nicht aus und Böden laugen aus, muss Wald abgeholzt werden – auch Regenwald. Das wird spätestens in ein paar Jahrzehnten nicht mehr haltbar sein. Die Veränderungen könnten gleichzeitig zur Einhaltung des Pariser Abkommens beitragen und den Verlust der Biodiversität dämpfen. Konkret schlägt die Gruppe vor den Fleisch- und Zuckerkonsum zu halbieren und Obst, Gemüse sowie Nüsse vermehrt auf den Speiseplan zu packen. Ein Auszug aus ihrem täglichen Speiseplanvorschlag würde lauten: rund 40 Gramm Fleisch (zum Vergleich: statistisch gesehen isst heute jeder von uns knapp 170 Gramm Fleisch pro Tag), 40 Gramm Fisch, etwa 230 Gramm Vollkornprodukte wie Reis oder Weizen, 50 Gramm Kartoffeln, 250 Gramm Milch- und Milchprodukte, 300 Gramm Gemüse und 200 Gramm Obst. Gesunde Ernährung ist ihnen dabei sehr wichtig, denn ungesunde Ernährung stelle ein größeres Risiko für Krankheit und Sterblichkeit dar als ungeschützter Sex und der Konsum von Alkohol, Drogen und Tabak zusammen (Statement der Gruppe).

Schon heute stellt die Produktion von Nahrungsmitteln hohe Ansprüche an unseren Planeten: 40 Prozent der weltweiten Landflächen und 70 Prozent des weltweit genutzten Süßwassers werden gebraucht, sowie 30 Prozent der weltweiten Treibhausgase produziert.

Alternative Eiweißquellen
„Für uns ist das Essen von Fleisch eine jahrhundertelang gewachsene Esskultur, die sich eben verfestigt hat in den sechziger, siebziger, achtziger, neunziger Jahren bis jetzt hinein. Das heißt, das ist schon eine lange Geschichte. Wir haben vergessen, dass wir nicht immer so viel Fleisch zur Verfügung hatten“, erzählt die Wiener Ernährungswissenschaftlerin Hanni Rützler in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Denn kurz nach Kriegsende und noch bis in die sechziger Jahre hinein war Fleisch teuer, der Sonntagsbraten hat aus dieser Zeit seinen Namen. Mit steigendem Wohlstand und Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Industrie konnte Fleisch in großen Mengen produziert werden, wurde günstiger und entgegen der Empfehlungen der DGE zum täglichen Lebensmittel, es macht satt und ist nährstoffreich. Aktuell essen wir im Schnitt 60 Kilogramm pro Kopf im Jahr. Menschen, die bewusst auf Fleisch verzichten rechnen anders: 750 Millionen geschlachtete Tiere jährlich allein in Deutschland. Immer mehr Deutsche wollen ihren Fleischkonsum reduzieren oder komplett aufgeben – der Flexitarier- und Vegetarier-Trend ist ungebrochen: Laut einer Forsa-Umfrage ernähren sich bereits über die Hälfte der deutschen Bevölkerung flexitarisch, essen also an drei oder mehr Tagen in der Woche kein Fleisch. Über sechs Millionen Deutsche leben vegetarisch. Dieser Trend ist auch der Lebensmittel- oder Fastfood-Industrie nicht verborgen geblieben, es rücken neue Rohstoffe zur Herstellung von Lebensmitteln in den Vordergrund – und das wird in Zukunft noch zunehmen. Insektenburger sind schon keine Besonderheit mehr, laut einer Umfrage können sich 52 Prozent vorstellen, Insekten als Proteinquelle zu sich zu nehmen. Weitere, bereits bekannte Fleischalternativen sind Soja, Lupineneiweiß, Linsenpüree, Grünkern oder Seitan aus Weizeneiweiß. Einen wahren Hype erreichte die Firma „Beyond Meat“ mit ihrem Fleischimitat aus Erbsenprotein, Wasser und Pflanzenölen – eine große bekannte Fastfood-Kette und ein deutscher Lebensmitteldiscounter bieten verschiedene Produkte bereits an. Auch immer wieder ein Forschungsthema und in absehbarer Zeit bestimmt keine Zukunftsmusik mehr ist sogenanntes in-vitro-Fleisch, also künstlich im Labor erzeugtes Fleisch. Klingt erst einmal eklig und schwer vorstellbar, aber ist schon seit einigen Jahren Forschungsobjekt und könnte sowohl die Massentierhaltung beenden als auch globale Welternährungsprobleme lösen. Die Lösung: Stammzellen. Aus ihnen kann Muskelfleisch gezüchtet werden, das am Ende aussieht wie von einem frisch geschlachteten Tier. Und produziert gleichzeitig bis zu 45 Prozent weniger Treibhausgase, verbraucht bis zu 96 Prozent weniger Wasser und beansprucht 99 Prozent weniger Landmasse im Vergleich zu konventioneller Fleischgewinnung.

Veränderte Landwirtschaft
Kleinere Projekte und Forschungsobjekte kündigen es schon an: Die Agrarwirtschaft wird sich verändern. Landwirte müssen sowohl auf klimatische Veränderungen reagieren, wie Dürren, Wetterextreme oder globale Wasserknappheit, als auch auf die radikale Preissenkung und die wachsende Lebensmittelverschwendung. Auch Platzmangel wird dazukommen, wenn die Weltbevölkerung weiterwächst. Manche Projekte existieren daher in der Stadt: Beim Urban Gardening oder Urban Farming wollen Architekten und Landschaftsplaner dem Traum von der selbstversorgenden Stadt näherkommen. Große Hochhäuser können auf dem Dach und sogar vertikal (Vertical Farming) oder an jedem sich bietenden Ort (Guerilla Gardening) bepflanzt und zur Versorgung herangezogen werden. Solche Projekte gibt es mittlerweile schon auf der ganzen Welt. „InFarm“ aus Berlin geht noch einen Schritt weiter und packt das Vertical Farming nach drinnen als Indoor-Landwirtschaft. Aus hohen Regalen in einer Lagerhalle könnte sich der Konsument seinen Salat direkt abernten. Die Pflanzen werden ohne Erde großgezogen, ihre Wurzeln sind mit Wasserdampf und Nährstoffen beladener Luft ausgesetzt, Sonnenlichtbirnen inklusive. GreenWave verfolgt das gleiche Konzept, nur unter Wasser. Hört sich erst einmal wieder völlig abwegig an, aber diese Landwirtschaftsform kommt ohne Düngemittel, Pestizide, Antibiotika oder Süßwasser aus. Aber auch High-Tech-Gewächshäuser können in Zukunft eine größere Rolle spielen, in denen geschlossene Systeme den Wassereinsatz drastisch reduzieren können und zum Teil sogar Meerwasser zur Kühlung und (nach Destillation) Bewässerung genutzt werden kann.

Der Zukunftskonsument
Ernährung wird laut Prognosen eine zunehmend größere Rolle für den Einzelnen darstellen. Rund 75 Prozent der Teilnehmer der Ernährungs-Zukunftsstudie 2030 geht davon aus, dass sich die Ernährungsweise immer weiter an ethisch-moralischen Werten orientieren wird. Essgewohnheiten sollen ideologischer betrachtet und zur Identifizierung der eigenen Persönlichkeit werden und damit ein Kriterium in der Bildung von Sozialprestige: Essen zur Darstellung und Positionierung innerhalb der Gesellschaft. Immer im Hinblick auf Genuss, für den auch Mehrkosten in Kauf genommen werden: Kaffee, Kakao, Schokolade – Sensual Food wird genossen solange es ethisch vertretbar, transparent fair gehandelt und qualitativ hochwertig ist. Auch sogenanntes Re-use Food wird stärker genutzt werden, um Lebensmittelverschwendung und anfallenden Müll entlang der Produktions- und Verbraucherkette zu reduzieren. Forschung und Industrie arbeiten bereits an profitablen Produkten, die sogenannte Cradle-to-Cradle-Prozesse durchlaufen, also biologische und technische Kreisläufe, die an gemeinsamen Punkten ineinander übergehen und die Kette lückenlos schließen – die Idee stammt bereits aus den 1990er Jahren. Solche Produkte können demnach entweder wieder als biologische Nährstoffe in biologische Kreisläufe zurückgeführt oder als „technische Nährstoffe“ kontinuierlich in technischen Kreisläufen gehalten werden. Prognosen gehen ebenfalls davon aus, dass der zukünftige Leistungsdruck innerhalb der Gesellschaft nicht abnehmen wird, sodass Menschen auch zukünftig ihre Ernährung dahingehend „optimieren“ wollen. Functional Food wird an Beliebtheit zunehmen, Nüsse beispielsweise als Brain-Food vermarktet werden oder Fitness- und Ernährungs-Apps die Ernährungsweise unterstützen. Essen muss also nicht nur gesund und sozial verträglich sein, sondern auch den Körper und den Geist formen beziehungsweise optimieren.

Letztlich sind das aber alles nur Theorien und setzen an verschiedenen Punkten an: Wo wird die Zukunftsnahrung wachsen? Auf Dächern in der Stadt, im Labor oder weiterhin auf dem Land? Inwieweit wird die Ernährung ein politisches Thema? Werden wir bald kein Fleisch mehr essen oder nur noch solches aus dem Labor? Und werden wirklich alle satt? Man kann aber schon heute damit anfangen, die Situation in der Zukunft zu beeinflussen. Dazu passt ein Statement von Toine Timmermans, Leiter des Projekts FUSIONS und Manager des Programms Nachhaltige Nahrungsmittelketten des Universitäts- und Forschungszentrums Wageningen, das er gegenüber der Frankfurter Allgemeinen für deren Reihe „Expedition Welternährung“ gab: „Schon heute gibt es genügend Essen für mehr als 10 Milliarden Menschen. Es geht nur darum, weniger zu verschwenden.“

Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion

Quellen:
https://www.br.de/nachrichten/wissen/ernaehrung-was-essen-wir-2050 ,RIo0AwA https://eatforum.org/eat-lancet-commission/  
https://www.swr.de/wissen/ernaehrungs-klimawandel/-/id=253126/did=23282414/nid=253126/10vxsp6/index.html  https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/wie-wir-morgen-essen-werden/  https://www.trendreport.de/ein-blick-auf-die-zukunft-der-ernaehrung-wie-essen-wir-2030https://reset.org/blog/5-technologische-innovationen-die-die-zukunft-unserer-ernaehrung-praegen-koennten-07252018   
https://www.deutschlandfunkkultur.de/nachhaltiges-aus-dem-labor-was-wir-in-zukunft-essen-werden.976.de.html?dram:article_id=444626   

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