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Welch ein Name

DIE LADY MIT DER LAMPE

Sie besaß eine Eule als Haustier und ihr Erkennungszeichen war eine Petroleumlampe: Florence Nightingale schuf die Grundlagen für die moderne Krankenpflege und legte Ausbildungsstandards fest.

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In die Wiege gelegt war ihr dies jedoch nicht: Florence, nach ihrer Geburtsstadt Florenz benannt, wurde während der zweijährigen „Hochzeitsreise“ ihrer Eltern 1820 geboren. Die stammten aus der begüterten britischen Oberschicht und kamen aus Familien mit liberalen Ansichten. Diese schlugen sich auch in der Erziehung der beiden Töchter nieder: Sie erhielten eine außerordentlich breit gefächerte Ausbildung in Sprachen und Geisteswissenschaften, Zeichnen und Musik, Florence hatte überdies eine natürliche mathematische Begabung.

In einer Zeit, in der Frauen normalerweise keinem bezahlten Beruf nachgingen und öffentliche Schulen für Mädchen nicht vorgesehen waren, hatte das einen großen Stellenwert. Das freiheitliche Denken über Konventionen hinaus sollte Florences Lebensweg bestimmen – übrigens zum Leidwesen ihrer Eltern.

Langweiliges Leben Die junge Frau fand mit 17 ihr Lebensthema: die Krankenpflege. Sie interessierte sich brennend für die Pflege kranker Menschen, die damals noch weitestgehend zu Hause erfolgte. Ihr ungewöhnliches Interessengebiet stand dem entgegen, was für sie vorgesehen war: die Einführung bei Hofe, die Vermählung mit einem passenden Ehemann. Florence fand dies alles ungeheuer banal und langweilig. Da die später wie eine Heilige verehrte Engländerin ab ihrem siebten Lebensjahr insgesamt 14 000 Briefe schrieb, ist jeder ihrer Gedankengänge und Taten akribisch festgehalten.

Denn: Krankenpflege und ein Mädchen aus gutem Haus, das passte so wenig zusammen wie der Drogendealer zum Juraprofessor. Der schlecht beleumdete „Beruf“ war bevölkert von – so wurde es zumindest kolportiert – alkoholisierten älteren Frauen, die sonst keinen Job mehr bekamen. Sie wurden oft mit Schnaps bezahlt und es ging die Sage, dass sie bei nächtlichen Diensten sogar dem Hausherrn zur Verfügung standen, denn wie gesagt: Pflege fand zuhause statt.

In den städtischen Krankenhäusern, in denen die Ärmsten der Armen landeten, waren die hygienischen Zustände unbeschreiblich schlecht; eine pflegerische Ausbildung der dort Tätigen gab es nicht. Dafür liefen Ratten durch die Gänge und es krabbelten schon einmal Maden durch die Wunden.

Deutsches Hospital Florence Nightingale musste zunächst den Widerstand ihrer Eltern überwinden, das dauerte Jahre. Jahre, die sie dazu nutzte, auf Reisen mit befreundeten Ehepaaren Krankenhäuser in Europa zu besuchen und dort die Pflege zu beobachten. Besonderen Eindruck machte auf die junge Frau die Diakonie im deutschen Kaiserswerth (heute ein Stadtteil von Düsseldorf). Die dortige Arbeitsweise wurde Bestandteil ihrer ersten Veröffentlichung, die noch anonym erfolgte. Als die Eltern endlich ihren Widerstand gegen die Pläne ihrer Tochter aufgaben – Florence hatte in der Zwischenzeit den Heiratsantrag eines „honorable man“, dem ehrenwerten Richard Monckton Miles, abgelehnt – führte sie ihre Studien fort, diesmal in Paris.

Ihr Plan stand fest: Sie wollte sich zur Pflegerin ausbilden lassen. Sie lernte nun alles über Medikamente und Wundpflege, sah bei Operationen zu und auch bei Amputationen, sie pflegte frisch Operierte und Sterbende. Sie war glücklich. „Jetzt weiß ich, was es heißt, das Leben zu lieben“, schrieb sie in einem ihrer Briefe. Nightingale befand sich in einer vergleichsweise komfortablen finanziellen Situation: Ihr Vater hatte ihr eine jährliche Leibrente von 500 Pfund ausgesetzt, das ermöglichte ihr, ohne Gehalt zu arbeiten (eine Krankenschwester erhielt damals 20 Pfund im Jahr, eine Gouvernante 10 Pfund). Sie erhielt sehr schnell das Angebot, ein Pflegeheim in London zu leiten, und erwarb sich innerhalb kürzester Zeit durch die dort angewandten Pflegepraktiken einen guten Ruf.

FLORENCE NIGHTINGALE … lebte vom 12. Mai 1820 bis zum 13. August 1910 und war britische Staatsbürgerin. Sie revolutionierte die Krankenpflege, indem sie deren Ausübende zu professionell ausgebildeten und hochgeschätzten Fachkräften machte. Die „Frau mit der Lampe“ hinterließ 14 000 Briefe, zwölf Bücher und 200 Bände mit Unterlagen und Dokumenten zur Datenlage in Pflegeeinrichtungen. Nightingale ist die erste Frau, die in den britischen „Order of Merit“ aufgenommen wurde.

Im Krieg Der Krim-Krieg, dessen Ausbruch 1854 den ersten modernen Industriekrieg markiert, sollte ihr Schicksal werden. Und daran hat die Erfindung des Telegrafen einen großen Anteil. Denn der ermöglichte es den anwesenden Journalisten, ihre Berichte erstmals ohne Zeitverzögerung nach Hause zu senden. Was in der „Times“ stand, machte die Leute fassungslos: Die medizinische Versorgung der Soldaten, die vorher ihr Leben für das Empire riskiert hatten, war so grottenschlecht, dass nicht nur ein Großteil starb, sondern es erkrankten wegen mangelnder hygienischer Verhältnisse auch 20 Prozent der gesamten Truppe an Ruhr und Cholera.

Der britische Staatssekretär Sidney Herbert bat die 34-jährige Florence, ihre pflegerischen Kenntnisse an der Front einzubringen. Und so reiste die Frau aus gutem Hause mitsamt 40 eigens engagierten Pflegerinnen ins Auge des Orkans: In Scutari (heute Üsküdar in der Türkei) sollte sie ein Militärkrankenhaus auf Zack bringen.

Florence kauft ein Die Zustände dort waren unbeschreiblich: Flöhe und Läuse plagten die Verwundeten, die seit Wochen in ihrem eigenen Dreck lagen. Die Stationen waren ungeheizt, es fehlten Matratzen, Decken, Geschirr und Verbandszeug. Florence Nightingale behielt einen kühlen Kopf. Zunächst einmal verbot sie ihren Pflegerinnen, das Krankenhaus ohne Aufforderung der Ärzte zu betreten. Die anfangs skeptischen Mediziner mussten natürlich klein beigeben – auch weil Miss Nightingale in ihrem Portmonee eine schöne Summe bereithielt, die ihr die „Times“ mitgegeben hatte: Mit Spenden der Zeitungsleser kaufte sie Hemden für die Verwundeten, Jacken, Strohmatratzen, Bestecke und Gefäße, Betten – und sogar einen Operationstisch.

Florence verpasste dem Krankenhaus in Windeseile eine Infrastruktur. Sie ließ unbenutzte Flügel des Gebäudes renovieren, um Platz für die hereinströmenden Verwundeten zu haben, und kam auf die einfache Idee, die Betten zu nummerieren. Derweil ihre Pflegekräfte das strikte Verbot hatten, nach 20 Uhr in den Schlafsälen zu erscheinen, ging sie selbst nachts mit einer Petroleumlampe durch die Stationen und schaute nach den Kranken – was einen anwesenden Reporter zum Ausdruck „The Lady with the lamp“ inspirierte. Die Zeichnung in einer Londoner Illustrierten ging um die Welt und sollte Nightingale zu einer Ikone machen.

Nightingale ist auch Erfinderin des „Tortendiagramms“, das eine prozentuale Verteilung anschaulich präsentiert.


Das Tortendiagramm
Die nun weltberühmte Engländerin kehrte nach London zurück – und sollte den Rest ihres Lebens am „Krim-Fieber“, einer Infektionskrankheit unklaren Ursprungs, leiden. Es machte sie zunehmend bewegungsunfähig. Aber die tapfere Florence gab nicht auf: Da ihr die körperliche Anwesenheit in den Stationen und Operationssälen versagt blieb, sammelte sie eben Daten, zog daraus Schlussfolgerungen über erfolgversprechende Strategien in der Krankenpflege. Nightingale ist skurrilerweise die Erfinderin des „Tortendiagramms“, das eine prozentuale Verteilung so anschaulich präsentiert, dass sie zum Standardrepertoire der Statistiker geworden ist.

Ihr Datenmaterial wurde so umfangreich, dass es ihre zahlreichen Umzüge innerhalb Londons ernstlich erschwerte. Alle Informationen, all ihre Erlebnisse, all ihr Wissen, verarbeitete die pragmatische, hochintelligente und schreibgewandte Frau in dem Buch „Notes on Nursing“ (Anmerkungen zur Krankenpflege), das eine Arbeitsanleitung für die Pflegerinnen ihrer Zeit und heute noch im Buchhandel erhältlich ist (die letzte Auflage erfolgte 2015). Daneben schrieb sie übrigens noch elf andere Standardwerke – unter anderem eines über den Bau eines Krankenhauses unter pflegerischen Gesichtspunkten.

Exzellente Ausbildung Die „Nightingale School of Nursing“ entstand 1871 auch aus Spenden ehemaliger Soldaten, wobei auf die „charakterliche Bildung und moralische Festigung“ besonders geachtet wurde. Florence regte Vorlesungen durch einen Chirurgen für die künftigen Krankenschwestern an, legte ansonsten aber Wert auf die praktische Ausbildung durch erfahrene Pflegerinnen. Für die Frauen, die nicht lesen oder schreiben konnten, gab es Extrastunden. Was zur Folge hatte, dass fast sämtliche Absolventinnen nach ihrer Ausbildung Pflegedienstleiterinnen an anderen Häusern wurden und die anderen Krankenhäuser damit zwangen, selbst qualifizierte Lehrgänge einzurichten.

Florence Nightingale legte den Grundstein zur Reform der britischen Armenfürsorge und der staatlichen Gesundheitsfürsorge. Die „Nurse“ (Krankenschwester) wurde zu einem gesellschaftlich geachteten und anerkannten Beruf. Die Frau aus der britischen Oberschicht starb 90-jährig und seit längerem bettlägerig im Schlaf. In den letzten Jahren ihres Lebens hatte die vorher so wortgewaltige Frau das Sprechen eingestellt. An ihrem Geburtstag, dem 12. Mai, wird bis heute der „Internationale Tag der Krankenpflege“ begangen.


Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/17 ab Seite 52.

Alexandra Regner, PTA, Journalistin und Redaktion

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