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Welch ein Name!

DAS ANTONIUSFEUER

Es war eine Krankheit der Armen und galt als Strafe Gottes: Wer sich am mutterkornhaltigen Getreide vergiftete, der litt am „Heiligen Feuer“ und starb häufig eines grausamen Todes.

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Die „Kriebelkrankheit“ – der mittelalterliche Name beinhaltet das „Kribbeln“ der Gliedmaßen, das ihr Absterben ankündigt, wurde auch „Antoniusfeuer“ genannt, da sich besonders der Orden des heiligen Antonius der Erkrankten annahm. Da die Laienbrüder, ohne Kenntnis von den wahren Ursachen zu haben, besondere Sorgfalt der Ernährung widmeten, genasen tatsächlich einige Patienten.

Todbringender Pilz Der Schlauchpilz Claviceps purpurea sondert eine schwärzliche Dauerform ab, das „Mutterkorn“ . Er heftet sich besonders gern an Roggenähren und ist kaum zu übersehen, da er wie ein Horn aus der Ähre herauswächst – aber wer nicht weiß, dass der „Hahnensporn“ giftig ist, vermahlt ihn mit den übrigen Körnern.

Besonders gehaltvoll ist der ergotaminhaltige Pilz fatalerweise vor der Ernte: Schon fünf bis zehn Gramm des 1875 von Charles Tanret erstmals isolierten Alkaloids können für einen Menschen tödlich sein. Während sich die Reichen im Mittelalter eher von Weizen ernährten, konnten sich die ärmeren Bevölkerungsschichten lediglich den billigeren Roggen leisten. Und so traf es sie mit voller Wucht: Im Jahr 865 berichten die Geschichtsschreiber in der Umgebung von Xanten erstmals vom Auftreten einer „großen Plage“: Eine „abscheuliche Fäulnis“ suche die Menschen heim, „Gliedmaßen lösten sich ab“ und schließlich folge der Tod.

Der Ergotismus unterscheidet zwei Formen, lediglich die Anfangssymptome sind bei beiden gleich: Auf Würgereiz, Erbrechen und Kopfschmerzen folgt ein Kribbeln am ganzen Körper. Die Erkrankten leiden an Halluzinationen sowie schmerzhaften Kontraktionen an Armen und Beinen. Ein unstillbares Hunger- und Durstgefühl begleitet die Vergiftung. Wird die Ergotamin-Zufuhr nicht unterbunden, sterben die Menschen an Muskelschwund und andauernden Krampfanfällen.

Die zweite Form wird vor allem gekennzeichnet durch den „Brand“, also das Absterben von Gliedmaßen. Da das Mutterkorn zu massiven Verengungen der Blutgefäße führt, wird die Blutzirkulation nach und nach eingestellt, was zu einem äußerst schmerzhaften Kribbeln führt, eben dem „Heiligen Feuer“. Blutvergiftungen und der Tod sind die Folge.

Gutes Gedeihen vor schlechter Ernte Ein nasses Frühjahr und ein heißer Sommer, eigentlich schlecht für den Ertrag, liebt der todbringende Pilz besonders. Und so kam es dazu, dass gerade in Zeiten schlechter Ernte das Getreide besonders verunreinigt war – und jeder Krümel davon gegessen wurde. Das führte zu einem Massensterben: 874 in Teilen Frankreichs und Deutschlands, zwischen 912 und 994 wiederholt in Frankreich. Immer wieder flammte das Antoniusfeuer im Laufe der Jahrhunderte auf. 

ZUSATZINFORMATIONEN
Hilfesuchend wandten sich die Menschen an den zuständigen Heiligen, erklärten sich das epidemieartige Massensterben mit einer göttlichen Strafe. Im 15 Jahrhundert betrieb der Antoniusorden 370 Spitäler mit nahezu 4000 Erkrankten. Aber erst im 17. Jahrhundert erkannte man den Zusammenhang der Krankheit mit dem Getreidepilz. Und erst Mitte des 18. Jahrhunderts ergriff der Gesetzgeber gesundheitspolitische Maßnahmen gegen den Verzehr des giftigen Roggens.

Die Dosis macht das Gift Ergotamin wird medizinisch eingesetzt: in der Migräneprophylaxe, als wehenförderndes Mittel in der Geburtsmedizin und in der Behandlung von Parkinson – Bromocriptin ist ein Ergotamin-Derivat! Doch Vorsicht ist geboten, ein Zuviel an diesem Wirkstoff kann schnell den oben beschriebenen Ergotismus in Gang setzen….

Man sollte meinen, das Antoniusfeuer wäre für alle Zeiten aus dem aufgeklärten Bewusstsein der Menschen gewichen. Und doch kam es 1926 zum letzten gesicherten Ausbruch der Krankheit – 11 000 Menschen starben in der Sowjetunion an vergiftetem Brot. Da immer mehr ungemahlenes Getreide direkt ab Hof an Endverbraucher abgegeben wird, ist auch bei uns die Alkaloid-Belastung messbar höher geworden. Daher Vorsicht bei Roggen, die schwärzlichen Mutterkorn-Anteile sind gut zu erkennen!

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/15 auf Seite 52.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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