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Wald und Wiese

SPRECHENDE PHARMAZIE

Bevor der Mensch die moderne Pharmazie erfand, wusste er sich anderweitig zu helfen. Die sprechenden Namen der Kräuter und Pflanzen links und rechts des Weges sind Hinweise auf ihre Wirkung.

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Und manchmal gehört der Daseinszweck einer Pflanze auch ins Reich der Mythen und Legenden. Wer bei einem Waldspaziergang an den Wegrand schaut, hat praktisch einen Überblick über das gesamte Mittelalter.

Das Augenkraut So glaubten die Menschen fest daran, dass das in höheren Lagen und auf Felsvorsprüngen wachsende Habichtskraut (Hierachium) nur einem Zweck diente: Dass der Greifvogel sich an seinem Saft labte, um wieder scharf sehen zu können. Die langstielige, gelb blühende Pflanze mit den spärlichen, spitzen Blättern wurde mit ihrer Heilkraft jedoch auch von Hildegard von Bingen entdeckt, die es in Verbindung mit Diptam als herzstärkendes Mittel verordnete. Überall auf Wiesen und an Wegrändern, auf Äckern und in Wäldern kommt die weiß- und rosablütige Schafgarbe vor, und sie wächst bis zu einer Höhe von 1900 Metern.

Warum sie mit lateinischem Namen Achillea millefolium heißt? Laut griechischer Mythologie soll Achilles sich seine zahlreichen Wunden damit behandelt haben. Aber sie heißt auch noch Augenbraue der Venus, Bauchwehkraut, Frauenkraut, Gotteshand oder Tausendblatt und fand im Mittelalter für allerlei Beschwerden Verwendung. Dass unsere Vorfahren damit richtig lagen, bestätigt sogar das Europäische Arzneibuch: Schafgarbe hilft gegen Halsschmerzen, Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut, Verdauungsbeschwerden und übermäßiges Schwitzen. Hildegard bescheinigte ihr „gesonderte und feine Kräfte für Wunden“ und Kräuterpfarrer Künzle sagte über sie: „Wenn die Frauen wüssten, wie gut ihnen die Schafgarbe täte, würden sie nur noch Schafgarbentee trinken.“

Blätter wie Tatzen Die Schafgarbe ist nicht zu verwechseln mit dem Wiesenbärenklau (Heracleum sphondylium) – und der wiederum darf auf gar keinen Fall für Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum) gehalten werden, eine fototoxische Pflanze, die unter Sonnenlichteinfluss schlimme Verbrennungen verursachen kann. Der gemeine oder eben Wiesenbärenklau hat seinen Namen von seinen Blättern, die mit ein bisschen Phantasie Bärentatzen ähneln. Die Pflanze mit den vielen weißen kleinen Blüten kann bei empfindlichen Menschen eine Dermatitis verursachen; Kräuterkundige bereiten mit ihm einen Wildsalat zu, denn vor allem die junge Pflanze eignet sich zum Verzehr.

Sie hat ungefähr sechsmal so viel Magnesium, achtmal so viel Kalzium und zwanzigmal so viel Vitamin C wie Kopfsalat. Klein und mit hübschen traubigen lila Blüten ähnelt der Gemeine Wirbeldost ein wenig dem Oregano. Clinopodium vulgare ist sein lateinischer Name und im Mittelalter hat man ihn sehr geschätzt: Er galt als herzstärkend und schweißtreibend, auch schleimlösend. In jüngster Zeit begann man sich für eine mögliche krebsprotektive Wirkung zu interessieren: Das enthaltene Betulin gilt nicht nur als antitumoral, sondern auch als antiphlogistisch, als antibakteriell und antiviral – und es schützt die Leber.

Heilwein der Hildegard Jeder kennt auch den Rainfarn, der mit seinen hübschen knopfförmigen gelben Blüten eine beliebte Pflanze für Trockensträuße darstellt. Tanacetum vulgare wird auch Wurmkraut genannt. In der Volksheilkunde wurde er gern gegen Würmer (daher sein Name) und für die Stärkung der Verdauung eingesetzt. Weitere Namen sind Gülden Knöpfle, Michelkraut, Rehfarn und Revierblume. Die Blüten vieler Rainfarnarten sind giftig und er riecht auch noch eigenartig, was seine Verwendbarkeit ebenfalls einschränkt. Hildegard von Bingen schreckte das nicht: „Und wer immer den Harn nicht lassen kann“, schreibt sie, „so dass er glaubt, vom Steine bedrängt zu werden, der zerstoße Rainfarn und siebe seinen Saft durch ein Tuch und gebe etwas Wein bei und so trinke er oft und das Harnverhalten wird gelöst.“

Nachahmern sei empfohlen, sich sicherheitshalber die Rainfarn-Urtinktur aus der Apotheke zu besorgen. 50 ml davon in 450 ml Rot- oder Weißwein geben, dann soll das Präparat gegen Harnverhalt helfen. Ein weit unterschätztes Kraut ist auch der gewöhnliche Beifuß (Artemisia vulgaris). Er ist so alltäglich, dass die meisten Menschen gar nicht bemerken, wie er am Wegrand seine Arme mit den vielen kleinen, an Perlen erinnernden Blüten ausstreckt. Beifuß ist eng verwandt mit dem Wermut und er hat eine ähnliche Wirkung.

Man kann sehr leicht einige Pflanzen mit nach Hause nehmen, sie kopfüber trocknen und dann die kleinen Perlen von den Stielen abstreifen. Über das Essen gestreut helfen sie beim Verdauen; Beifuß macht schweres, fettes Essen leichter bekömmlich. Einer seiner vielen Zweitnamen ist übrigens Mugwurz (Machtwurz), denn für die Germanen war der Beifuß das mächtigste aller Kräuter. Zur Sonnenwende tat man gut daran, sich einen Gürtel aus der krautigen Pflanze zu basteln, denn dann war man das ganze Jahr über vor Krankheiten geschützt – weswegen der Beifuß auch Sonnenwendkraut genannt wird.

Des Teufels Rhizom Gar nicht so leicht zu entdecken ist der violett blühende Teufelsabbiss (Succisa pratensis), denn er bevorzugt feuchte Wiesen in der Nähe von (Hoch-)Mooren. Selbst der Teufel ärgerte sich über die hochwirksame Wurzel, von der die Menschen glaubten, dass sie gegen Luzifer schützte. Vor lauter Wut hat der Teufel dann von unten ins Rhizom gebissen – weshalb das Ganze immer ein bisschen angefressen aussieht, was aber daran liegt, dass es von unten abstirbt. Im Volksaberglauben soll der Teufelsabbiss gegen Nieren- und Harnsteine helfen – aber nur wenn er vor dem 24. Juni gepflückt wird. Der Teufelwurz, wie er auch genannt wird, hat es immerhin bis zur Blume des Jahres 2015 gebracht.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/17 auf Seite 108.

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