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Seltene Erkrankungen von A bis Z

XANTHINURIE

Ein erblich bedingter Enzymmangel stört bei Betroffenen den Purinstoffwechsel: Xanthin und Hypoxanthin können nicht abgebaut werden und reichern sich an – mit Folgen vor allem für die Niere.

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Weil die Aktivität der Xanthinoxidase aufgrund von genetischen Mutationen verringert ist, können Xanthin und Hypoxanthin nicht zu Harnsäure abgebaut werden. Die Konzentration vor allem von Xanthin in Blut und Urin ist deshalb bei Betroffenen stark erhöht, der Harnsäurespiegel dagegen ist deutlich erniedrigt.

In etwa der Hälfte der Fälle verspüren die Patienten keine Beschwerden, bei den anderen können sich Symptome einer Harnwegsinfektion, Blut im Urin, Nierenkoliken, ein akuter Nierenfunktionsverlust, Kristallurie oder Nierensteine zeigen. Selten entwickeln sich ein Nierenversagen oder Gelenk- beziehungsweise Muskelbeschwerden. Xanthin und Hypoxanthin sind Zwischenprodukte des Purinabbaus.

Purine werden einerseits mit der Nahrung aufgenommen und andererseits vom Körper selbst synthetisiert. Als Bestandteile der Basen Guanin und Adenosin sind sie essenzielle Bestandteile der DNA und RNA. Außerdem spielen sie eine wichtige Rolle für zahlreiche weitere Moleküle im Körper wie beispielsweise NADP/NADPH+, ADP/ATP oder FAD. Im Rahmen ihres Abbaus werden Purine normalerweise zunächst zu Hypoxanthin und in der Folge von der Xanthinoxidase zu Xanthin und schließlich zu Harnsäure umgewandelt. Letztere wird mit dem Urin ausgeschieden.

Enzymmangel Bei der Xanthinurie ist dieser Abbauprozess gestört. Es werden zwei Formen unterschieden: Bei Typ I ist die Xanthinoxidase durch Mutationen in ihrer Funktion eingeschränkt. Bei Typ II kommt ein Mangel der Aldehydoxidase hinzu. Klinisch sind beide Formen ähnlich. Ein Unterschied besteht darin, dass Patienten mit Xanthinurie Typ I Allopurinol abbauen können, Patienten mit Typ II aber nicht. Die Jahresinzidenz der Xanthinurie wird laut Orpha.net auf 1:6000 bis 1:69 000 geschätzt. Die Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv. Vermutlich ist die Erkrankung unterdiagnostiziert. Es existiert kein Neugeborenen-Screening, das verlässliche Zahlen liefert.

Die Folgen Da Xanthin nicht abgebaut werden kann, reichert es sich im Körper an und wird mit dem Urin ausgeschieden. Es ist schwer löslich und neigt dazu, im Urin Kristalle zu bilden. Diese wiederum können das Nierenepithel irritieren, was zu einer Hämaturie und auch Kristallurie führen kann. Schließlich können sich Xanthinsteine bilden. Weitere Symptome umfassen Nierenkoliken und einen akuten Funktionsverlust der Niere. Nur vereinzelt treten Muskel- und/oder Gelenkbeschwerden auf, die vermutlich auf eine Ablagerung von Xanthin in dem entsprechenden Gewebe zurückzuführen sind. Chronisches Nierenversagen ist möglich. Bei 50 Prozent der Patienten verläuft die Xanthinurie asymptomatisch.

Feststellung Für die Diagnose wird zunächst die Harnsäure in Blut und Urin gemessen. Ist sie erniedrigt (Hypourikämie), wird die Konzentration von Xanthin und Hypoxanthin untersucht. Ein Allopurinol- Belastungstest gibt Aufschluss, ob ein Typ I oder II vorliegt. Die Aktivität der Xanthinoxidase lässt sich im Labor bestimmen. Molekulargenetische Analysen sind ebenfalls möglich zur Diagnosefindung.

Behandlung Eine spezifische Therapie existiert nicht. Patienten sollten auf eine hohe Trinkmenge achten, um auf diese Weise die Konzentration von Xanthin im Urin möglichst gering zu halten. Außerdem sollten sie sich Purin-arm ernähren, wobei Purine vor allem in Innereien, Fleisch und Wurst enthalten sind. 

Spezialfall: Molybdän-Cofaktor-Mangel Eine Xanthinurie tritt auch bei einem Molybdän-Cofaktor-Mangel auf. Etwa eines von 100 000 bis 500 000 Babys kommt mit einem Gendefekt auf die Welt, der dazu führt, dass der sogenannte Molybdän- Cofaktor nicht gebildet werden kann. Dieser ist für die Aktivität von mehreren Enzymen nötig, unter anderem für die der Xanthinoxidase. Dabei bindet der Cofaktor normalerweise das Metall Molybdän und dieser Komplex an die Xanthinoxidase. Fehlt der Cofaktor, kann die Xanthinoxidase nicht arbeiten.

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Alpha 1-Trypsinmangel
+ Bernard-Soulier-Syndrom
+ Cystinose
+ Familiäre Dysautonomie
+ Ehlers-Danlos-Syndrom
+ Fibrodysplasia Ossificans Progressiva
+ Galaktosämie + Haarzell-Leukämie
+ Imerslund-Gräsbeck-Syndrom
+ Jacobsen-Syndrom
+ Kälte-Urtikaria, familiare
+ Lymphangioleiomyomatose
+ Morbus Osler
+ Norrie-Syndrom
+ Osteopetrose
+ Primäre Hyperoxalurie
+ Romano-Ward-Syndrom
+ Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
+ Tuberöse Sklerose
+ Usher-Syndrom
+ von-Willebrand-Syndrom
+ Wilson-Krankheit
+ Xeroderma pigmentosum
+ Zapfen-Stäbchen-Dystrophie

Zusätzlich ist der Cofaktor-Molybdän-Komplex aber auch für die Aktivität der Sulfitoxidase in der Leber essenziell. Ohne ihn kann Sulfit nicht aus dem Blut entfernt werden und reichert sich zunehmend an. Schließlich gelangt es auch ins Gehirn und führt dort zu einer fortschreitenden Zerstörung der Nervenzellen. Die Folgen: Krampfanfälle, eine progrediente Enzephalopathie und Linsendislokation. Die meisten Patienten versterben im Kindesalter.

Die Molybdän-Cofaktor-Defizienz wird in die Typen A, B und C unterteilt, je nachdem, welches Enzym für die Synthese des Cofaktors geschädigt ist. Bei Typ A kann das Vorläufer-Molekül cPMP nicht gebildet werden. Vor einigen Jahren ist es Forschern gelungen, diese Zusammenhänge aufzudecken und cPMP im Labor herzustellen. Seitdem wurden und werden einzelne Patienten damit behandelt. Ein möglichst früher Therapiebeginn scheint von großer Bedeutung zu sein.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/15 ab Seite 114.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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