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Seltene Erkrankungen von A bis Z

WILLIAMS-BEUREN-SYNDROM

Eine Deletion auf Chromosom 7 führt bei Betroffenen sowohl zu körperlichen als auch zu mentalen Ausprägungen der Krankheit. Besonders auffälliges Symptom ist dabei ihre Kontaktfreudigkeit.

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Fast allen Patienten mit Williams-Beuren-Syndrom fehlt auf einem ihrer beiden Chromosomen Nr. 7 ein kleines Stück des langen Arms. Auf diesem Abschnitt befinden sich normalerweise das Gen für Elastin sowie für gut 20 weitere Gene. Ihre Abwesenheit führt zu einem sehr komplexen Krankheitsbild. Das körperliche Hauptcharakteristikum ist ein Herzfehler, meist in Form einer Verengung der Aorta oberhalb der Aortenklappe (supravalvuläre Aortenstenose).

Es tritt bei etwa drei Viertel aller Patienten auf. Entsprechend haben zwei Kardiologen – J. C. P. Williams aus Neuseeland und Alois Beuren aus Deutschland – die Erkrankung unabhängig voneinander erstmalig beschrieben und ihr so ihren Namen gegeben. Auch die Nierenarterien können verengt sein, was zu einem renalen arteriellen Hochdruck führen kann. Ebenfalls charakteristisch sind die Gesichtszüge von betroffenen Kindern: Der Nasenrücken ist flach, die Nasenspitze rundlich, die Unterlippe etwas nach außen gewendet, der eher große Mund steht häufig offen.

Dazu kommen Pausbacken und schwer wirkende Augenlieder. Viele WBS-Kinder können nicht gut sehen oder schielen. In aller Regel verläuft die motorische und geistige Entwicklung verzögert. Als Babys essen und trinken viele Kinder schlecht. Schließlich treten bei Williams-Beuren-Syndrom gehäuft Hyperkalzämien auf, was wiederum eine Nephrokalzinose nach sich ziehen kann.

Große Kontaktfreude Besonders auffällig ist, dass Kinder mit WBS völlig ohne Scheu und immer mit Begeisterung den Kontakt zu Menschen suchen – auch zu wildfremden. Diese Eigenschaft verliert sich auch im Erwachsenenalter nicht. Die meisten, aber nicht alle Betroffenen sind geistig leicht bis mittelgradig eingeschränkt. Nichtsdestotrotz haben viele besondere Begabungen wie beispielsweise ein absolutes Gehör oder große Musikalität. Charakteristisch ist ebenfalls, dass viele Betroffene gerne reden und auch sehr sprachgewandt sind. Andererseits sind Menschen mit WBS oftmals sehr ängstlich, Kinder sehr lärmempfindlich.

Veränderungen im Mandelkern Berühmt geworden ist eine Untersuchung, in der eine Forschergruppe sowohl Betroffenen mit WBS (ohne geistige Einschränkung) als auch gesunden Freiwilligen Fotos von ängstlichen und zornigen Menschen gezeigt hat. Erwartungsgemäß beobachteten sie bei den gesunden Versuchsteilnehmern beim Betrachten der Bilder eine deutlich erhöhte Aktivität im Mandelkern. Diese Gehirnregion ist bekanntermaßen an der Bewertung von Gefahren beteiligt. Bei den Betroffenen mit WBS dagegen war dies nicht zu beobachten.

Anders bei Fotos von gefährlichen Situationen wie beispielsweise brennenden Häusern, auf denen aber keine Menschen zu sehen waren: Hier war die Aktivität im Mandelkern bei den Versuchspersonen mit WBS höher. Auch in anderen, mit dem Mandelkern verschalteten Gehirnregionen, fanden die Wissenschaftler unterschiedliche Aktivitätsmuster zwischen gesunden und erkrankten Versuchsteilnehmern. Damit wurde erstmals ein Mechanismus deutlich, wie das außergewöhnliche Verhalten von Menschen mit WBS möglicherweise zustande kommt. Er hilft zudem zu verstehen, wie soziales Verhalten auch bei gesunden Menschen reguliert wird.

Spontane Deletion Die Angaben zur Häufigkeit des Williams-Beuren-Syndroms schwanken zwischen einer von 8000 bis zu einer von 20 000 Geburten. Eine solche Deletion, wie sie bei Menschen mit WBS vorliegt, kann zufällig auftreten, wenn bei der Bildung der Keimzellen während der Meiose, genauer gesagt bei der homologen Rekombination, ein Fehler passiert. Aus der Befruchtung einer solchen Ei- oder Samenzelle mit einer gesunden Keimzelle entsteht daher ein Kind, das in jeder seiner Zellen ein verkürztes und ein gesundes Chromosom 7 trägt. Man vermutet, dass das Fehlen des Elastin-Gens an der Entstehung der Gefäßverengungen beteiligt ist.

Genetische Diagnose Wie bei vielen seltenen Erkrankungen dauert es auch beim William-Beuren-Syndrom oft lange, teilweise einige Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird, weil vielen Ärzten die Krankheit und ihre Symptome nicht geläufig sind. Besteht ein Verdacht auf WBS, so kann dieser mithilfe einer FISH-Analyse (Fluoreszenz In Situ Hybridisierung) bestätigt werden.

Behandlung Eine ursächliche Therapie existiert nicht. Wichtig ist eine regelmäßige Überwachung von Herz und Gefäßen, um mögliche Veränderungen frühzeitig entdecken und behandeln zu können. Gerade mit Blick auf den arteriellen Hochdruck ist eine gesunde Ernährung und Lebensweise angesagt. Falls nötig, können Medikamente verschrieben werden. Besteht eine Hyperkalzämie, so sollte die Ernährung kalziumarm erfolgen. Generell ist eine interdisziplinäre Betreuung durch ein Team von Ärzten, Physiotherapeuten, Sprachtherapeuten und Psychologen für das betroffene Kind und die Angehörigen sinnvoll.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/15 ab Seite 72.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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