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Seltene Erkrankungen von A bis Z

VON HIPPEL-LINDAU-SYNDROM

Wegen einer erblichen Veränderung eines Tumorsuppressorgens entwickeln sich bei Betroffenen in verschiedenen Organen Tumore. Deshalb essenziell: regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.

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Das Hippel-Lindau-Syndrom ist benannt nach dem deutschen Augenarzt Eugen von Hippel und dem schwedischen Pathologen Arvid Lindau, die die wichtigsten Aspekte der Erkrankung erstmalig beschrieben haben. Manchmal wird sie auch als Von Hippel-Lindau-Czermak-Syndrom bezeichnet oder als enzephaloretinale Angiomatose. Letzteres beschreibt ihre Hauptcharakteristika: Gefäßmissbildungen im Auge und im zentralen Nervensystem. Aber Tumore können sich bei Betroffenen darüberhinaus auch in vielen anderen Organen bilden.

VHL, so die internationale Abkürzung für das Von Hippel-Lindau-Syndrom, wird autosomal dominant vererbt. Ursächlich sind Mutationen im VHL-Gen auf Chromosom 3. Als Tumorsuppressorgen sorgt es normalerweise dafür, dass das Wachstum von Zellen und speziell von neuen Blutgefäßen ausschließlich in eng reguliertem Maße erfolgt. Fehlt das VHL-Protein aufgrund einer Mutation oder ist es nur eingeschränkt funktionsfähig, so kann es diese Kontrollfunktion nicht mehr erfüllen. Die Folge: Durch unkontrolliertes Zellwachstum bilden sich Blutgefäß-ähnliche Strukturen und Tumore.

Verschiedene Organe betroffen Sehr häufig treten Tumore bei VHL als Hämangiome bzw. Hämangioblastome in der Retina auf. Dort fallen sie als blutgefäßartige Knäuel bei der augenärztlichen Untersuchung auf. Meist verursachen sie keine Symptome, können aber auch eine Netzhautablösung, ein Makulaödem (Flüssigkeitsansammlung in der Netzhautmitte), ein Glaukom und in der Folge eine Einschränkung der Sehkraft nach sich ziehen.

Ebenfalls sehr häufig bei VHL: Hämangioblastome im zentralen Nervensystem, meist im Kleinhirn, Rückenmark oder Hirnstamm. Weil sie einen gewissen Raum einnehmen, drücken sie auf benachbarte Regionen des ZNS und führen deshalb zu Beschwerden. Tumore im Kleinhirn verursachen meist Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Gangstörungen. Ist der Tumor im Rückenmark lokalisiert, kommt es typischerweise zu Taubheitsgefühlen oder Muskelschwäche mit Lähmungen.

Oft erfolgt das Wachstum in Form von Zysten, die neben Flüssigkeit auch den Tumor enthalten. Bösartig sind sie aber in der Regel nicht. Daneben sind die Nieren bei Patienten mit VHL ebenfalls häufig betroffen: Einerseits treten dort Nierenzysten auf, andererseits bösartige Nierenzellkarzinome, die Metastasen bilden. Bei manchen Patienten entwickeln sich auch Tumore in den Nebennieren, sogenannte Phäochromozytome. Dadurch kommt es zu einer Überproduktion der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin sowie in der Folge zu erhöhtem Blutdruck (meist anfallsweise), Kopfschmerzen, Herzrasen, Herzrhythmusstörungen und Schweißausbrüchen.

»Bei VHL-Patienten entwickeln sich Tumore früher als in der Allgemeinbevölkerung.«

Auch Zysten und Tumore des Pankreas können vorkommen, verursachen aber häufig lange keine Symptome. Außerdem treten bei VHL Tumore oder Zysten der Nebenhoden (beim Mann) sowie des breiten Mutterbandes (bei der Frau) auf. Seltener kann auch das Innenohr betroffen sein. Insgesamt entwickeln sich alle Tumoren bei Patienten mit VHL früher als in der Allgemeinbevölkerung.

Sehr selten Mit einer geschätzten Prävalenz in der Bevölkerung von 1:53 000 gehört das von Hippel- Lindau-Syndrom zu den seltenen Erkrankungen. Die Inzidenz bei Geburt wird mit 1:36 000 angegeben. Die Erkrankung wird autosomal-dominant vererbt, Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen. Auch wenn die Mutation im VHL-Gen bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten bereits bei Geburt vorliegt, bricht die Erkrankung doch meist erst in der zweiten bis vierten Lebensdekade aus. Aber auch bei kleinen Kinder und alten Menschen kann die Diagnose gestellt werden.

Diagnose Ein Von Hippel-Lindau-Syndrom wird diagnostiziert, wenn ein typischer Tumor (retinale oder ZNS-Hämangioblastome oder Nierenzellkarzinom) sowie eine Familiengeschichte von VHL vorliegen. Jedoch handelt es sich bei etwa 20 Prozent der Patienten um neu aufgetretene Mutationen. In diesen Fällen – wenn keine Familiengeschichte vorliegt – wird die Diagnose VHL dann gestellt, wenn mehrere VHL-typische Tumore auftreten. Familien, die von VHL betroffen sind, wird eine genetische Beratung angeboten. Eine vorgeburtliche Diagnostik ist möglich.

Behandlung Eine spezifische Behandlung für VHL existiert nicht. Von größter Wichtigkeit ist daher eine regelmäßige, interdisziplinäre Überwachung der Patienten, um Tumore so früh wie möglich zu entdecken – zumal viele lange keine Symptome verursachen. Bereiten die Tumore Probleme bzw. sind sie bösartig, so ist die chirurgische Entfernung das Mittel der Wahl. Verwandte von VHL-Patienten mit Risiko wird empfohlen, eine molekulargenetische Untersuchung machen zu lassen. Liegt bei ihnen ebenfalls eine Mutation des VHL-Gens vor, sollten sie ebenfalls regelmäßig überwacht werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 12/14 ab Seite 114.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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