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Seltene Erkrankungen von A bis Z

ULLRICH-TURNER-SYNDROM

Bei betroffenen Mädchen ist eines der beiden X-Chromosomen verändert oder es fehlt. Trotzdem können die meisten, auch dank unserer modernen Medizin, ein fast normales Leben führen.

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Benannt ist die Erkrankung nach dem deutschen Kinderarzt Otto Ullrich und dem amerikanischen Endokrinologen Henry Turner, die sie in den 1929er- und 1930er-Jahren unabhängig voneinander erstmals beschrieben haben. Heute weiß man, dass das Ullrich-Turner-Syndrom durch eine Anomalie des X-Chromosoms hervorgerufen wird: Gesunde Frauen haben 46 Chromosomen, davon 2 X-Chromosomen . Dagegen fehlt etwa der Hälfte der Turner-Mädchen und -Frauen ein X-Chromosom, das heißt, ihr Karyotyp ist 45,X.

Bei etwa 20 Prozent der Betroffenen liegt ein Mosaik vor, wobei ein Teil der Zellen den gesunden Karyotyp und ein Teil den veränderten hat. Schließlich haben 30 Prozent der Patientinnen zwei X-Chromosomen, von denen aber eines verändert ist, beispielsweise durch eine Deletion. Betroffen ist insgesamt etwa eines von 2500 neugeborenen Mädchen. Die Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland e.V. rechnet mit 16 000 Betroffenen hier zu Lande.

Das Syndrom tritt sporadisch auf. Eltern, die bereits ein Mädchen mit dieser Erkrankung auf die Welt gebracht haben, haben kein erhöhtes Risiko, dass auch weitere Kinder davon betroffen sein könnten. Die Schwere der Krankheit ist individuell sehr unterschiedlich: Bei manchen Babys merken Eltern und Ärzte direkt nach der Geburt, dass etwas nicht normal ist. Bei leichter betroffenen Patienten wird die Diagnose aber zum Teil auch erst im Laufe der Kindheit, als Teenager oder als junge Frau gestellt. In einigen Fällen fällt der abweichende Karyotyp bereits vor der Geburt auf, etwa wenn aus anderen Gründen eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht wird.

Allen gemeinsam ist, dass Turner-Frauen – wenn die Erkrankung unbehandelt bleibt – nicht größer als etwa 1,47 Meter werden. Außerdem zeigen fasst alle eine Fehlanlage und damit eine fehlende Funktion der Eierstöcke. Die Folge: Pubertät und Menstruation bleiben aus, erwachsene Turner-Frauen sind in der Regel unfruchtbar.

Äußerliche Symptome Dazu können – müssen aber nicht – eine ganze Reihe weiterer Beschwerden kommen: Äußerlich sichtbar sind herabhängende Augenlieder, eine Schrägstellung der Lidspalten und weit auseinander stehende Augen. Manche Betroffene haben verformte Ohrmuscheln, einen eher kurzen und breiten Hals und manchmal angeborene seitliche Hautfalten im Halsbereich (Pterygium colli). Bei manchen liegt die Nacken-Haar-Grenze ungewöhnlich tief. Einige weisen einen hohen, harten Gaumen, einen kleinen Unterkiefer und/oder Zahnfehlstellungen auf.

Vor allem direkt nach der Geburt fallen bei einem Teil durch Lymphödeme verursachte Schwellungen auf Hand- und Fußrücken auf. Außerdem haben manche Betroffene einen breiten Brustkorb (Schildtorax) mit verbreitertem Abstand zwischen den Brustwarzen. Der Winkel zwischen Ober- und Unterarm kann vergrößert sein. Schließlich kommen Pigmentnaevi bei Turner-Mädchen und -Frauen häufiger vor und sie können veränderte Finger- und Fußnägel aufweisen.

Innerliche Besonderheiten Diese Auffälligkeiten, die ebenfalls auftreten können, aber nicht müssen, umfassen eine Verengung der Hauptschlagader, Veränderungen an den Herzklappen, eine Hufeisenniere (Verschmelzung beider Nieren) und eine gestörte Schilddrüsenfunktion. Einige Betroffene haben einen gestörten Glukosestoffwechsel, sodass ihr Risiko erhöht ist, an Diabetes zu erkranken.

»Das Ullrich-Turner-Syndrom wird durch eine Anomalie des X-Chromosoms hervorgerufen.«

Manche neigen zu Adipositas. Die Intelligenz ist dagegen nicht beeinträchtigt. Mit speziellen Tests lassen sich bei einer Untergruppe von ihnen Teilleistungsstörungen nachweisen, das heißt beispielsweise Schwierigkeiten mit der räumlichen Wahrnehmung oder mathematischen Problemen. Für den Alltag spielt dies aber in der Regel keine Rolle. Vor allem wegen des Kleinwuchses und der nicht spontanen Entwicklung zur Frau haben manche Betroffene mit emotionalen Problemen zu kämpfen.

Therapie mit Hormonen Die Symptome des Ullrich-Turner-Syndroms lassen sich heutzutage gut behandeln: Durch Wachstumshormone lässt sich oft eine Körpergröße von etwa 1,60 Meter erreichen. Wichtig ist auch die Behandlung mit Geschlechtshormonen (Estrogen und Gestagen), um die Pubertät und damit den Monatszyklus und die Geschlechtsentwicklung zu induzieren. Die Therapie mit den Geschlechtshormonen bleibt lebenslang notwendig, die Unfruchtbarkeit kann dadurch allerdings meist nicht geheilt werden.

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ von Hippel-Lindau Erkrankung (VHL)
+ Williams-Beuren-Syndrom
+ Xanthinurie

Zusätzlich ist die regelmäßige Kontrolle und gegebenenfalls Behandlung von weiteren möglicherweise auftretenden Symptomen notwendig: So können etwa Organveränderungen an Herz beziehungsweise Niere operative Eingriffe erfordern. Liegt eine Störung der Schilddrüsenfunktion vor, so lässt sich diese mit Schilddrüsenhormonen therapieren. Einer Adipositas lässt sich mit einer Ernährungsberatung entgegen wirken. Wichtig ist auch eine psychosoziale Betreuung.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/14 ab Seite 104.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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