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Seltene Erkrankungen von A bis Z

OSTEOGENESIS IMPERFECTA

Weil die Knochen von Betroffenen so zerbrechlich sind, wird diese Erkrankung auch Glasknochenkrankheit genannt. Je nach Typ können weitere Körperfunktionen beeinträchtigt sein.

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Die wörtliche Übersetzung des lateinischen Namens bedeutet „unvollständige Knochenbildung“, abgekürzt wird er OI. Unvollständig deshalb, weil der Körper aufgrund von vererbten Genmutationen nicht ausreichend beziehungsweise nur fehlerhaftes Kollagen vom Typ I herstellen kann. Dieses faserbildende Protein stellt jedoch normalerweise einen der Hauptbestandteile des gesunden Knochens dar und spielt für seine Stabilität und mechanischen Eigenschaften eine wichtige Rolle.

Ohne Kollagen fehlt ihm die notwendige Elastizität – schon kleine Stöße können Knochenbrüche verursachen. Bei sehr schwerer Erkrankung brechen sie sogar ohne Grund. Vielfach ist zudem die Knochenmasse verringert, und Betroffene zeigen Skelettverformungen, besonders der Arme und Beine, aber auch der Wirbelsäule. Kollagen kommt zudem auch in anderen Organen vor und hat dort ebenfalls eine Binde- und Stützfunktion.

Zu typischen Symptomen der OI, die auftreten können, aber nicht müssen, zählen blaue Skleren , Schwerhörigkeit, überstreckbare Gelenke, Minder- oder Kleinwuchs sowie brüchige Zähne (Dentinogenesis imperfecta). Bei den meisten Betroffenen ist die Muskelspannung verringert. Die Ausprägung der Erkrankung variiert jedoch stark. Sogar bei Mitgliedern einer Familie können die Symptome sehr unterschiedlich sein.

Verschiedene Typen Hier zu Lande leben nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Osteogenesis imperfecta-Betroffene e.V. schätzungsweise 4000 bis 6000 Menschen mit Glasknochen. Etwa die Hälfte aller Betroffenen leidet an der leichtesten Form, der Osteogenesis imperfecta Typ I. Erste Frakturen treten häufig dann auf, wenn die Kinder laufen lernen.

In manchen Fällen verläuft die Krankheit so mild, dass sie erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wird. Vielfach nimmt die Häufigkeit von Knochenbrüchen nach der Pubertät wieder deutlich ab. Allerdings tritt bei vielen Betroffenen im jungen Erwachsenenalter eine zunehmende Schwerhörigkeit auf, vermutlich weil die Gehörknöchelchen durch die Erkrankung geschädigt werden.

Die schwerste Form der OI ist der Typ II. Hier treten schon beim Embryo im Mutterleib Knochenbrüche auf, dazu kommt eine gestörte Lungenfunktion. Die überwiegende Mehrheit der Babys verstirbt in den ersten Wochen nach der Geburt. Auch der Typ III gehört zu den schweren Verlaufsformen der OI. Bereits bei der Geburt treten hier Knochenbrüche auf, später neigen die Knochen aufgrund der Brüche und der Spannung, die von den Muskeln ausgeht, zu Deformierungen.

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP)
+ Rett-Syndrom
+ Sarkoidose
+ Transverse Myelitis
+ Ullrich-Turner-Syndrom
+ von Hippel-Lindau Erkrankung (VHL)
+ Williams-Beuren-Syndrom
+ Xanthinurie

Betroffene bleiben sehr klein, häufig benötigen sie einen Rollstuhl. Durch Verformungen des Brustkorbs können Probleme mit der Atmung auftreten. Die OI vom Typ IV liegt in ihrem Schweregrad wischen Typ I und III und kann stark variieren. Die Knochenbrüche sind weniger häufig und die Deformierungen weniger schwer als bei Typ III. Betroffene bleiben kleiner als gleichaltrige gesunde Menschen, viele kommen aber ohne Rollstuhl aus. Bei etwa der Hälfte tritt eine Schwerhörigkeit auf. Die Typen V, VI und VII wurden früher dem Typ IV zugerechnet, zeigen aber spezielle Merkmale, sodass sie heute als eigenständige Krankheitstypen eingestuft werden.

Vererbung Über 90 Prozent aller Fälle von OI werden durch Mutationen in den Genen COL1A1 und COL1A2 verursacht, die für verschiedene Bausteine des Kollagens vom Typ1 kodieren. Während bei der OI Typ 1 zu wenig Kollagen hergestellt wird, ist bei den anderen Erkrankungstypen die Struktur des Kollagens gestört. Mutationen in diesen beiden Genen werden in der Regel dominant vererbt. Inzwischen ist bekannt, dass auch Mutationen in zwei weiteren Genen zu seltenen schweren Formen der OI führen können. Ihre Vererbung erfolgt rezessiv.

Behandlung Eine ursächliche Therapie existiert nicht. Knochenbrüche werden – wie bei gesunden Menschen auch – durch Ruhigstellung behandelt. Seit einigen Jahren werden Teleskopnägel verwendet, die sich durch das Wachstum der Knochen auseinander ziehen. Dadurch müssen sie, wenn der Patient wächst, nicht mehr so häufig ausgetauscht werden. Deformierte Knochen können begradigt werden, indem sie in einer Operation in einzelne Stücke geteilt und diese gerade wieder zusammengefügt werden.

Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass die Muskeln durch die Ruhigstellung der Gliedmaßen noch schwächer werden als sie ohnehin schon sind, was wiederum weitere Brüche zur Folge haben kann. Deshalb wird versucht, die Patienten so schnell wie möglich wieder zu mobilisieren. Insgesamt spielt die Physiotherapie eine große Rolle, um die Patienten zu kräftigen und mobil zu halten. Außerdem werden Bisphosphonate (bekannt aus der Behandlung der Osteoporose) eingesetzt.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/14 ab Seite 110.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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