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Seltene Erkrankungen von A bis Z

MARFAN-SYNDROM

Bei dieser Erkrankung führt eine genetische Mutation zu einer Schwäche des Bindegewebes. Da dieses überall im Körper vorkommen kann, sind die Ausprägungen der Krankheit vielschichtig.

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Hier zu Lande leben schätzungsweise etwa 8000 Menschen mit Marfan-Syndrom. Bei ihnen liegt eine Mutation im Gen für Fibrillin vor, einem wichtigen Bestandteil des Bindegewebes, der diesem Stabilität und Flexibilität verleiht. Je nach Art der Genveränderung kann der Körper das Fibrillin nur fehlerhaft und/oder nicht in ausreichenden Mengen produzieren. Das hat massive Auswirkungen, besonders auf das Gefäßsystem, das Herz, das Skelett sowie die Augen.

Als genetisch bedingte Erkrankung ist das Marfan-Syndrom erblich. Die Vererbung erfolgt autosomal dominant. Das heißt, falls ein Kind das Fibrillingen des betroffenen Elternteils erbt – wofür die Wahrscheinlichkeit 50 Prozent beträgt –, wird es ebenfalls erkranken. Dies ist bei rund drei Viertel aller Patienten der Fall. Bei dem letzten Viertel ist die Mutation spontan entstanden, kann aber von nun an wiederum an Nachkommen weitergegeben werden.

Herz und Gefäße Die schwerwiegendsten Folgen für die Gesundheit beim Marfan-Syndrom haben die Manifestationen an der Aorta und den Herzklappen. Aufgrund der verminderten Stabilität und Elastizität kommt es bei vielen Patienten mit der Zeit zu einer Erweiterung der Hauptschlagader und zu einer Undichtigkeit der Aortenklappe, also der Herzklappe zwischen Aorta und linker Herzkammer.

Es können sich auch Aortenaneurysmen, das heißt Aussackungen der Gefäßwand, bilden. Außerdem kann eine Aortendissektion auftreten. Hier reißt die Innenwand der Hauptschlagader ein, während die äußere Wand intakt bleibt. Das Blut tritt in diesen Spalt ein und erweitert ihn zunehmend, sodass eine Art zweiter – falscher – Flusskanal entsteht.

Skelett Menschen mit Marfan-Syndrom fallen durch einen langen und schmalgliedrigen Körperbau auf. Auch der Gaumen ist meist schmal und hoch, was zu Zahnfehlstellungen führt. Typisch für das Marfan-Syndrom sind zudem Deformitäten der Wirbelsäule, meist in Form einer Skoliose oder Kyphose. Auch Fehlstellungen der Hüfte und der Füße sind häufig zu beobachten. Beim Brustkorb kann eine Trichter- oder eine Kielbrust vorliegen, was wiederum Auswirkungen auf die innenliegenden Organe haben kann.

Weil ihr die nötige Stabilität und Elastizität fehlt, kann sich die Dura, die äußere Hirnhaut, die das Rückenmark umgibt, beim Marfan-Syndrom erweitern – man spricht von einer Duraektasie. Meist geschieht dies auf Höhe der Lendenwirbelsäule. Vielfach bereitet eine Duraektasie keine Beschwerden, sie kann aber auch auf austretende Nervenbahnen drücken und so Schmerzen oder auch Lähmungen oder Taubheitsgefühle verursachen.

Augen Da der Aufhängungsapparat der Linse besonders reich an Fibrillin ist, kommt es bei Marfan-Patienten häufig zu einer Verlagerung der Linse. Außerdem sind eine Abflachung der Hornhaut, eine axiale Verlängerung des Auges sowie eine mangelhafte Ausbildung der Regenbogenhaut typische Augenveränderungen bei dieser Erkrankung. Linsentrübungen und Netzhautablösungen kommen häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung.

Regelmäßige Kontrollen essenziell Nicht alle Symptome treten bei allen Patienten auf, zudem kann ihre Ausprägung unterschiedlich stark sein. Häufig wird das Marfan- Syndrom über lange Zeit nicht erkannt, weil es als seltene Erkrankung Ärzten nicht immer unbedingt geläufig ist. Vor allem, wenn nur einzelne Symptome auftreten, kann es schwerfallen, sie richtig zuzuordnen.

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Neurofibromatose
+ Osteogenesis imperfecta
+ Progressive Supranukleäre Blickparese
+ Rett-Syndrom
+ Sarkoidose
+ Transverse Myelitis
+ Ullrich-Turner-Syndrom
+ von Hippel-Lindau Erkrankung (VHL)
+ Williams-Beuren-Syndrom
+ Xanthinurie

Das Marfan-Syndrom ist nicht heilbar. Aber eine konsequente Überwachung der Patienten erlaubt es, drohende Komplikationen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. So lassen sich in vielen Fällen Notoperationen, die wegen lebensbedrohlicher Komplikationen nötig werden könnten, vermeiden. Stattdessen ist es möglich, Eingriffe gezielt zu planen oder durch regelmäßige Medikamenteneinnahme vorzubeugen.

Therapie Eine kausale Behandlung gibt es nicht. Stattdessen versuchen die Ärzte, Schäden in den individuell betroffenen Organen zu verhindern oder wenigstens hinauszuzögern. So kann mit der Einnahme von Betablockern der Bildung von Aneurysmen entgegen gewirkt werden. Zudem spielt die Endokarditisprophylaxe (vorbeugende Einnahme von Antibiotika, um eine Entzündung der Herzinnenwand und der Herzklappen zu verhindern) eine wichtige Rolle. Werden dennoch Eingriffe an der Aorta oder den Herzklappen nötig, so sollten sie als geplante Operation erfolgen.

Das Fortschreiten der Skelettschädigungen lässt sich durch orthopädische Maßnahmen, etwa dem Tragen eines Korsetts oder der Versorgung mit Einlagen, vermeiden oder verzögern. Es können auch chirurgische Eingriffe nötig werden. Wegen der Augenprobleme ist eine enge augenärztliche Betreuung erforderlich. Eine gesunde, an die Erkrankung angepasste Lebensweise und regelmäßige Bewegung können neben den medizinischen Maßnahmen maßgeblich zum Wohlbefinden beitragen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/14 ab Seite 106.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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