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Seltene Erkrankungen von A bis Z

CYSTINOSE

Weil ein Transporterprotein nicht ausreichend hergestellt wird, akkumuliert bei Betroffenen die Aminosäure Cystin in den Lysosomen der Zellen. Besonders die Nieren reagieren empfindlich.

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Ursache für die Erkrankung, die nur einen von 100 000 Menschen betrifft, sind Mutationen im Gen CTNS, das für das lysosomale Transporterprotein Cystinosin kodiert. Wird es nicht korrekt oder in zu geringen Mengen synthetisiert, kann die Aminosäure Cystin nicht aus den Lysosomen heraus transportiert werden und reichert sich dort an. Obwohl dies im gesamten Körper geschieht, treten vor allem Funktionsstörungen der Niere auf. Eine medikamentöse Behandlung kann den Krankheitsverlauf verzögern. Letzter Ausweg kann eine Spenderniere sein.

Drei verschiedene Verlaufsformen Die mit 95 Prozent aller Fälle häufigste Form ist die infantile nephropatische Cystinose. Bei ihr entwickeln betroffene Kinder im Alter von sechs bis zwölf Monaten ein proximales tubuläres Fanconi-Syndrom: Wasser, Elektrolyte, Bikarbonat, Kalzium, Glukose, Phosphat, Aminosäuren und niedermolekulare Proteine, die zunächst aus dem Blut in den Primärharn übergehen, können nicht wie gewöhnlich in den proximalen Tubuli resorbiert werden. Deshalb werden sie im Urin vermehrt ausgeschieden.

Durch den Verlust von Bikarbonat kommt es zu einer Übersäuerung des Bluts ; weil zu viel Kalium ausgeschieden wird, steigt das Risiko für Funktionsstörungen des Herzens. Der Verlust an Phosphaten und Kalzium führt zu einer Vitamin- D-resistenten Rachitis. Kalziumkristalle können sich zudem in der Niere ablagern (Nephrokalzinose). Insgesamt ist die Menge des Urins deutlich erhöht, die Kinder haben ständig Durst. Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und Essstörungen.

Nachdem betroffene Säuglinge in den ersten Monaten nach der Geburt zunächst normal wachsen, fällt die Wachstumskurve mit Auftreten des Fanconi-Syndroms ab. Unbehandelt verliert die Niere im Alter von etwa zehn Jahren auch ihre glomeruläre Funktion, das heißt, es kann nicht mehr ausreichend Primärharn gebildet werden, die Konzentrationen von giftigen und harnpflichtigen Substanzen im Blut steigen. Betroffene sind zudem sehr lichtempfindlich, da sich Cystin auch in der Hornhaut ablagert. Die Intelligenz ist nicht beeinträchtigt.

ÜBERSICHT
In unserer Serie „Seltene Erkrankungen A bis Z“ stellen wir Ihnen demnächst folgende Themen vor:
+ Familiäre Dysautonomie
+ Ehlers-Danlos-Syndrom
+ Fibrodysplasia Ossificans Progressiva
+ Galaktosämie
+ Haarzell-Leukämie
+ Imerslund-Gräsbeck-Syndrom
+ Jacobsen-Syndrom
+ Kälte-Urtikaria, familiare
+ Lymphangioleiomyomatose
+ Morbus Osler
+ Norrie-Syndrom
+ Osteopetrose
+ Primäre Hyperoxalurie
+ Romano-Ward-Syndrom
+ Smith-Lemli-Opitz-Syndrom
+ Tuberöse Sklerose
+ Usher-Syndrom
+ von-Willebrand-Syndrom
+ Wilson-Krankheit
+ Xeroderma pigmentosum
+ Zapfen-Stäbchen-Dystrophie

Ähnlich wie die infantile verläuft auch die adoleszent nephropathische Form der Cystinose, nur dass die Symptome später einsetzen, zum Teil erst im zweiten Lebensjahrzehnt. Bei der adult-benignen Form schließlich lagern sich im Erwachsenenalter Cystinkristalle in der Hornhaut ab – was in der Regel zufällig bei augenärztlichen Untersuchungen festgestellt wird. Die Nieren sind hier nicht beeinträchtigt.

Diagnose Das klinische Bild zusammen mit Laboruntersuchungen von Blut und Urin führt zur Diagnose der Cystinose. Allerdings zeigt nur eine Minderheit der Kinder von Beginn an alle Symptome. Da die Erkrankung aufgrund ihrer Seltenheit vielen Ärzten zudem nicht geläufig ist, wird die Diagnose oftmals erst im dritten Lebensjahr gestellt.

Erbliche Stoffwechselstörung Die Ursache für die Erkrankung liegt in Mutationen im Gen CTNS auf dem Chromosom 17. Bei etwa zwei Drittel aller Patienten in Nordeuropa fehlt ein 57 Kb großes Stück DNA, darüberhinaus sind etwa 80 weitere Mutationen bekannt. Die Vererbung erfolgt autosomal rezessiv. Da der veränderte Transporter nur eingeschränkt funktioniert, reichert sich Cystin in den Lysosomen an und bildet Cystinkristalle.

Therapie Die Behandlung erfolgt einerseits symptomatisch: Durch reichliche Flüssigkeitszufuhr wird der Verlust ausgeglichen. Elektrolyte, Natriumhydrogenkarbonat, Phosphatsalze sowie Vitamin D müssen ersetzt werden. Eine hochkalorische Nahrung ist wichtig; bei starken Ernährungsproblemen kommt eine Ernährung über eine Sonde infrage. Andererseits wird die Cystinose seit einigen Jahren mit Cysteamin/Cystagon behandelt. Diese Substanz mobilisiert das Cystin, das in der Folge abgebaut werden kann.

 »Mit der zunehmenden Lebenserwartung treten Komplikationen in anderen Organsystemen auf.«

Es zeigt sich, dass besonders bei früher und konsequenter Therapie die Verschlechterung der glomerulären Funktion deutlich verlangsamt und die Notwendigkeit einer Nierentransplantation hinausgeschoben werden kann. Trotz guter Nierenwerte wachsen aber Kinder mit Cystinose nicht altersgemäß. Hier kann eine Behandlung mit Wachstumshormon hilfreich sein.

Allerdings treten mit der zunehmenden Lebenserwartung Komplikationen in anderen Organsystemen auf. So kann die Akkumulation von Cystin in den Augen zu Erblindung führen. Muskeln werden zunehmend geschädigt, was unter anderem zu schweren Schluck- und Sprechbeschwerden führen kann. Zudem können eine Schilddrüsenunterfunktion und ein Diabetes auftreten. Es besteht die Hoffnung, dass eine frühe Diagnose und Therapie mit Cysteamin diese Komplikationen verringert und Patienten, die von Anfang an damit behandelt wurden, im Erwachsenenalter weniger darunter leiden werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/15 ab Seite 82.

Dr. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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