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HINTER DEN KULISSEN

Hugh Jackman hat sie gerade getroffen, diese tolle Frau. „Phineas Barnum, guten Abend“, sagt er zu ihr, vor uns, auf einem großen Bildschirm. Doch seine Stimme, die ist nicht von ihm.

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Die leiht ihm gerade Thomas Wolff. Wir befinden uns im Synchronstudio der FFS Film- und Fernseh Synchron GmbH, mitten im Herzen Berlins. Auf der Leinwand läuft eine Szene des Films „Greatest Showman“ mit Jackman in der Hauptrolle. Dieser Film kommt jetzt in die Kinos und wurde im November synchronisiert.

Perfekte Illusion Thomas Wolff, ein schlaksiger Mittfünfziger mit klassischer Hornbrille, Jeans und Sweatshirt, steht an einem Pult, vor ihm das aufgeschlagene Textbuch, und schaut gebannt auf die Leinwand. Hugh Jackman öffnet seinen Mund und er müsste eigentlich jetzt englisch sprechen. Doch ihm fließt wie selbstverständlich die deutsche Sprache über die Lippen und es wirkt so, als habe er tatsächlich gerade gesprochen, kein Unterschied ist zu erkennen.

Man sollte Schauspieler sein, wenn man anderen Schauspielern seine Stimme leiht. Das bekräftigt Thomas Wolff ebenso wie auch Michael Johnson, der Leiter der Synchrongesellschaft, die vom Walt Disney-Film über die aktuellen Blockbuster bis hin zur neuen Netflix-Serie von Matthias Schweighöfer alles „bespricht“, was in der Branche Rang und Namen hat. Es ist ein hochprofessionelles Genre, das hinter dieser Art von Arbeit steckt, und sie wird meist von den Zuschauern gar nicht wahrgenommen.

Schauspieler reden wie Schauspieler Wie auch sonst? Denn die Zuschauer sollen ja nicht merken, dass es gar nicht Hugh Jackman ist, der da redet, sondern einer, der ihre (deutsche) Sprache spricht. Thomas Wolff ist ausgebildeter Schauspieler; man merkt es an seinen Gesten, während er Jackman synchronisiert, an seinem Timbre, an der Art, wie er in den Leinwandhelden hineinschlüpft. Aus dem Off, hinter der großen Glasscheibe steht der Regisseur mit seinem Tonmeister am Mischpult. Er hört ganz genau zu.

Jeder der kleinen Bildschnipsel, Takes genannt, muss perfekt sein. Jetzt sagt er: „Ein bisschen würdevoller noch, Thomas.“ Also spricht Wolff noch einmal: „Phineas Barnum, guten Abend.“ Jetzt klingt er wie ein Mann, der die Form wahrt, jedoch deutliches Interesse an der Frau zeigt, die vor ihm steht. Perfekt? Nein. „Du hast den Handkuss vergessen.“ Noch einmal läuft der Take, zum Schluss legt Thomas Wolff zwei Finger an die Lippen und auf der Tonspur ist nun ein leiser, gehauchter Kuss zu hören.

Synchronisieren ist planbar Später, in einer Pause auf dem Gang, erzählt Wolff, warum er die Arbeit als Synchronsprecher so liebt: „Sie lässt mir mehr Zeit für meine Familie, ich habe drei Kinder.“ Seit mehr als zwanzig Jahren leiht er Hollywoodstars wie Tom Hanks oder Woody Harrelson die Stimme, er kann davon leben und muss nicht herumreisen, da in Berlin alles an einem Ort ist. Seine Stimme hat es in sich.

Sie besitzt ein Volumen, das der Normalbürger nicht hat, sie klingt tief im Brustraum, und Wolff kann sie modulieren wie ein Instrument. Wer einmal Hugh Jackman in „Wolverine“ gehört hat, weiß, dass der Amerikaner nicht nur sanft daherkommt. Wolff spricht tief oder hoch, guttural oder rau, distinguiert oder wie ein Reibeisen, er kann das. Deshalb gehört er wohl auch zu Deutschlands bestbeschäftigten Sprechern; es sind ja nur zwei- bis drei Hände voll, die die großen Hollywoodstars stimmlich vertreten.

Multitalent aus „Die drei ???“ Oliver Rohrbeck, der Regisseur im Tonstudio, bestätigt die Eigenschaften, die ein Sprecher unbedingt haben muss: „Es ist eine emotionale Leistung, dieselbe, die ein Schauspieler erbringt.“ Rohrbeck ist selbst kein Unbekannter im Geschäft; so spricht er schon seit dreißig Jahren den Justus in den Hörspielen der Jugendkrimireihe „Die drei ???“ und ist als solcher bekannt wie ein bunter Hund. Weniger bekannt ist, dass er auch die deutschen Textbücher für viele Blockbuster geschrieben hat, jenes für „Greatest Showman“ liegt gerade auf dem Stehpult im Aufnahmeraum. Ein solches Textbuch ist schwierig zu schreiben: „Im Deutschen sind die Sätze um ein Drittel länger als im Englischen“, sagt er.

Jeder „Anatmer“, jeder „Zögerer“ muss im Text vermerkt sein. Und dann ist da noch die Sache mit den Lippenbewegungen. „I love you“ sieht gesprochen anders aus als „Ich liebe dich“. „Und das kommt dann meist auch noch in Großaufnahme“, lacht Rohrbeck und lehnt sich lässig zurück. Es ist eine kleine, verschworene Gemeinschaft in diesem Studio, jeder weiß, was er zu tun hat, alle sind Profis. Und es wird viel gescherzt: „Wir haben gern Spaß bei der Arbeit“, sagt Rohrbeck. Knapp drei Wochen dauert die Synchronisation eines so großen Films – nur. „Durch die Digitalisierung wächst der Zeitdruck“, sagt Michael Johnson, der “Head of Production“.

„Die Filmpremieren sind jetzt, anders als früher, zeitgleich in Amerika und Deutschland“. Johnson muss zwischen all den Arbeiten an „Harry Potter“, „Pirates of he Carribean“ oder „Dr. House“ den Überblick behalten, die Zeitpläne einhalten. Gerade war er wieder drei Wochen in Los Angeles, dem Zentrum der amerikanischen Filmindustrie. Das Geschäft geht gut, doch es ist ein hartes Geschäft, in dem es um viel Geld geht. Sein neustes Projekt ist übrigens die Schweighöfer-Serie „You are wanted“, von dem gerade die zweite Staffel gedreht wird, hier in Berlin, quasi vor der Haustür.

Der Bauchrednereffekt Thomas Wolff spricht schon den nächsten Take, man muss sich beeilen, der Arbeitsplan ist eng. Länger als vier Stunden pro Tag arbeitet er nicht, sagt der Schauspieler, weil dann die Konzentration nachlässt. Für „The Greatest Showman“ wird er ungefähr 20 Stunden brauchen, „das sind dann vier bis fünf Termine“. Er freut sich, als eine Mitarbeiterin von Pohl-Boskamp ihm einige Röhrchen „GeloRevoice®“ überreicht, den Stimmschmeichler, der auch von professionellen Sängern geschätzt wird. Und dann dreht er sich wieder um. Hugh Jackman sagt: „Dann will ich hoffen, dass es gut ist, was Sie von mir gehört haben.“

Es ist übrigens ein neurophysiologisches Phänomen, dass seine Stimme mit dem Äußeren des Amerikaners verschmilzt: Unser Sehsinn rangiert vor dem Gehör; und es ist der Grund, warum unser Gehirn die Stimme des Bauchredners der Puppe zuordnet („Bauchrednereffekt“). Deshalb finden wir es auch nicht schlimm, wenn das deutsche „Ich liebe dich“ gar nicht mit dem englischen Pendant zusammenpasst. Hugh Jackman lächelt verliebt. Wir gehen ganz leise aus dem Studio, wollen die Aufnahme nicht stören. Spätestens im Januar, im Kino, sind alle Takes gesprochen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/18 ab Seite 86.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

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