Teller mit Wecker
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Kulinaria

WENIGER IST MEHR

Die Labormäuse wähnten sich im siebten Himmel: 24 Stunden am Tag konnten sie fressen, was sie wollten. Stets war der Futternapf gut gefüllt, und nebenbei gab es auch noch jede Menge Leckerchen.

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Neidisch schauten die Kollegen vom Nachbarkäfig auf ihre Artgenossen. Sie selbst bekamen ihr Futter nur während eines Zeitfensters von zehn bis zwölf Stunden. Da konnte man einfach nicht so viel fressen. Während sie noch über die Ungerechtigkeit grübelten, bekamen die mittlerweile dick gewordenen Nachbarmäuse buchstäblich ihr Fett weg: Sie entwickelten innerhalb relativ kurzer Zeit eine Fettleber und an Diabetes erkrankten sie ebenfalls. Die schlanken Mäuse jedoch blieben gesund.

Eine Mahlzeit pro TagÜber diese Studie reden Wissenschaftler, die das Intervallfasten propagieren, immer wieder gern. Zwar kann man nicht so ohne weiteres Tierstudien auf den Menschen übertragen, „doch gibt es bereits Untersuchungen an Menschen, die positive Effekte nahelegen.“ Das resümiert der Biochemiker Frank Madeo von der Universität Graz, der sich mit dieser Art des Fastens beschäftigt und sie auch selbst praktiziert: Er isst nur einmal am Tag, aber dann das, worauf er Lust hat. Interessanterweise nahmen die schlanken Mäuse in der ihnen vorgegebenen Zeit genauso viele Kalorien zu sich wie die anderen Tiere. Sie wurden trotzdem weder dick noch krank. Woran liegt das?

Segensreiche Auswirkungen „Der Rhythmus der Mahlzeiten ist der Schlüssel.“ Professor Andreas Michalsen, der an der Berliner Charité Klinische Naturheilkunde lehrt und praktiziert, meint: „Es kommt nicht nur darauf an, was man isst, sondern wann man es tut.“ In seinem lesenswerten Buch „Heilen mit der Kraft der Natur“ stellt der Arzt unter anderem auch das Fasten vor. Wenn wir nämlich hungern oder fasten, stellt der Körper sehr schnell seinen Stoffwechsel um und greift auf seine Speicher zurück: zuerst einmal auf das Glykogen der Leber, dann auf das Fett der Fettpolster. Bei der Oxidation der Fettsäuren entstehen Ketonkörper, denen eine entzündungshemmende Wirkung auf das Gehirn nachgesagt wird.

Die Auswirkungen auf degenerative Hirnerkrankungen wie Morbus Parkinson oder Demenz werden gerade erforscht. Und noch etwas anders geschieht: Der Körper startet ein Programm namens Autophagie. Das ist eine Art Recycling, bei dem der Zellmüll abtransportiert wird. Alte, beschädigte oder falsch gefaltete Proteine werden auseinandergebaut und die noch brauchbaren Teile wieder zu Neuem zusammengesetzt. Die Zelle tut das, weil sie unter Stress geraten ist: Kommt keine Nahrung herein, muss sie sich selbst Energie bauen. Dieser interne Verdauungsprozess kann nur ungehindert funktionieren, solange die Bauchspeicheldrüse kein Insulin produziert, denn das Hormon dämpft die Autophagie. Der japanische Forscher Yoshinori Ohsumi bekam für die Entdeckung und Beschreibung dieses Prozesses im letzten Jahr den Nobelpreis.

Zuviel des Guten Betrachtet man den Lebenslauf des Frühmenschen, waren regelmäßige Hungerphasen etwas völlig normales; schließlich fiel einem nicht jeden Tag ein Mammut in die Grube. Essgelage wechselten sich ab mit langen Zeiten, in denen es wenig bis nichts gab. Dass wir heute ständig und immer an Nahrung im Überfluss herankommen, ist etwas völlig Neues. Unser Körper hat sich daran noch nicht gewöhnt. Die meisten Menschen essen zuviel, weil der Neandertaler immer noch in ihrem Stammhirn sitzt: 60 Prozent der Deutschen sind übergewichtig und die Anzahl von Diabetes Typ 2-Erkrankungen steigt dramatisch. Dabei schotten sich die Zellen vor dem Überangebot an Zucker ab; die Glukose bleibt im Blut und führt zu gesundheitsschädigenden HbA1c-.Werten. Metformin wird bei dieser Erkrankung am häufigsten verschrieben; der Wirkstoff macht die Zellen wieder aufnahmebereit und senkt so den Blutzucker.

Wirksam wie ein MedikamentDoch es geht auch anders: Bei einem Diabetes Typ 2 zeitigt das Fasten geradezu dramatische Erfolge, berichtet Dr. Michalsen in seinem Buch: „Von den Patienten mit Diabetes, die über acht Wochen fastend täglich nur 600 Kalorien zu sich nahmen, erzielten die meisten ohne Medikamente normale Blutzuckerwerte. Auch die Fettleber, eine häufige Folge der Zuckerkrankheit, besserte sich deutlich.“ Fasten reduziert die Entzündungsvorgänge, die bei Diabetes entsteht, es reguliert das Sättigungshormon Leptin und wirkt auf den Körper wasserausscheidend. Richtig angewendet kann Fasten „der Wirksamkeit von zwei bis drei Medikamenten“ entsprechen, auch im Hinblick auf erhöhten Blutdruck, der ja Bestandteil des gefürchteten metabolischen Syndroms ist.

Es haben sich mittlerweile mehrere Modelle für den neuen Trend, das Fasten, herauskristallisiert. Wem das Hungern en bloc zu heftig ist, für den bietet sich das Intervallfasten an. Dabei schafft man sich (wie bei den Mäusen) ein Zeitfenster, in dem gegessen werden darf: Nach der 8:16-Methode lässt man eine Mahlzeit pro Tag ausfallen, wodurch man einen 16 Stunden langen Zeitraum erreicht, in dem dem Körper keine Nahrung zugeführt wird. Sehr gut ist das abends machbar: Wer um sieben Uhr das letzte Mal isst, braucht erst am nächsten Morgen um elf wieder etwas; einen Teil der Hungerphase hat er dann verschlafen. Der Biochemiker Frank Madeo berichtet, dass er selbst ungefähr zwei Wochen gebraucht hat, um keinen Hunger mehr zu spüren: „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Mein Körper ist jetzt daran gewöhnt“.

FASTEN
… bedeutet laut Duden „sich für eine bestimmte Zeit ganz oder teilweise der Nahrung zu enthalten oder auf den Genuss bestimmter Speisen zu verzichten“. In der Christenheit ist Fasten auch eine religiöse Tradition, etwa in den 40 Tagen vor dem Osterfest. In den Klöstern wurde während der Fastenzeit unter anderem die Maultasche („B‘scheißerle“) und das Bier („flüssiges Brot“) erfunden.

Verschiedene Fastenarten Bei der 5:2-Methode darf man an fünf Tagen die Woche wie gewohnt essen, an den anderen beiden Tagen wird die Kalorienzufuhr auf ungefähr 600 Kalorien reduziert. Wie auch bei der 8:16-Methode sind jederzeit ungezuckerte Säfte, viel Wasser und ungesalzene Gemüsebrühe erlaubt. Brot, Nudeln und sonstige Kohlenhydrate sind an den Fastentagen und -zeiten natürlich tabu. Nur so lernt der Körper von seinen Reserven zu leben. Allgemein berichten die Fastenteilnehmer von zunehmender Energie, wenn die Übergangsphase vorbei ist.

Der Nachtschlaf bessert sich erheblich und auch das Aussehen verändert sich: „Die Gesichtsmuskeln lockern sich, das Bindegewebe wird entwässert und die Haut beruhigt sich“, berichtet Dr. Michalsen, der auch die dramatische Verbesserung von rheumatischen Symptomen beobachtet hat sowie eine Abnahme der Schmerzen bei Arthrosen. Er geht so weit zu sagen: „Es ist viel sinnvoller, regelmäßig zu fasten, als ausschließlich ein spezifisches Medikament zur Beeinflussung der bei Krankheit betroffenen Körperabläufe einzunehmen.“

Vorsicht bei Vorerkrankungen Da der Blutdruck beim Fasten sinkt, sollten Menschen mit niedrigem Blutdruck vorsichtig sein und einen Arzt zu Rate ziehen. Ebenso ungeeignet ist diese Methode für Schwangere und Stillende. Die Auswirkungen des Fastens auf Krebserkrankungen werden gerade untersucht. Kontraindiziert ist Fasten auch bei Essstörungen wie Bulimie oder Magersucht. Übrigens: Die Gewichtsabnehme beim Fasten ist lediglich ein angenehmer Nebeneffekt bei adipösen Menschen. Da die biochemischen Vorgänge im Körper in Bezug auf Fett- und Zuckerstoffwechsel dauerhaft umgestellt werden, kommt es auch zu keinem Jojo-Effekt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/17 ab Seite 130.

Alexandra Regner, PTA und Redaktion

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