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Berühmte Apotheker

WEGWEISENDER PHARMAKOGNOST

Auch wenn sein Name heute ein wenig in Vergessenheit geraten ist – an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war der Apotheker und Hochschulprofessor Alexander Tschirch die Koryphäe der pharmazeutischen Botanik.

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Er war Sohn des Diakons und späteren Stadtpfarrers Adolf Tschirch (1815 bis 1875), seine Mutter Marie, geborene Sausse, starb lang nach dem Vater erst 1906. Geboren am 17. Oktober 1856 in Guben (Niederlausitz) besuchte er bis 1872 dort Volksschule und Gymnasium, wobei er die Schulzeit – wie er in seiner Autobiographie „Erlebtes und Erstrebtes. Lebenserinnerungen“ (1921) selbst berichtet als „humanistischen Schindanger“ wahrnahm und selbst in den Naturwissenschaften, wie er empfand, gar nichts leistete.

So verließ er auch das Gymnasium ohne Abschluss ... ... und begann eine dreijährige Apothekerlehre bei seinem Vetter Paul Friedrich Mündel in Loschwitz bei Dresden, die er mit dem Gehilfenexamen mit Bestnote im Jahr 1875 beendete. Dabei hatte er zu Anfang durchaus Beifuss, der für einen Gänsebraten bestimmt war, mit Wermut verwechselt, was nicht nur unangenehme Folgen für seinen Chef hatte, sondern in Anbetracht seiner späteren Karriere als Koryphäe der pharmazeutischen Botanik doch zum Schmunzeln anregt. Und so manche PTA (in Ausbildung) oder auch angehende Apotheker beruhigen mag...

Ohne Abi zur Dissertation Anschließend konditionierte er bis 1878 als Apothekergehilfe in Oberlahnstein, in der Münsterplatz-Apotheke in Freiburg im Breisgau und in der Staatsapotheke in Bern. Nebenher besuchte Tschirch Vorlesungen an der Universität Freiburg und beschäftigte sich intensiv in Bern mit der berühmten Drogensammlung des Schweizer Apothekers und Chemikers Friedrich August Flückiger (1828 bis 1894). Am 30. Oktober 1878 immatrikulierte sich Tschirch schließlich zum Studium der Pharmazie an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Er lernte dort bei einer großen Zahl herausragender Professoren, etwa dem Chemiker August Wihelm von Hofmann (1818 bis 1892), dem Physiologen und Physiker Hermann von Helmholtz (1821 bis 1894), dem Apotheker und Chemiker Ferdinand Tiemann (1848 bis 1899), dem Pathologen Rudolf Virchow (1821 bis 1902) sowie dem Botaniker August Wilhelm Eichler (1839 bis 1887).

Letzterer sowie sein Doktorvater, der Botaniker Simon Schwendener (1829 bis 1919), prägten seinen Weg hin zum Pharmakognosten. „Das war kein Staubgefäßzählen und Heusammeln. Hier vereinigten sich Morphologie, Anatomie, Systematik und Pflanzengeographie zu einem Gemälde von eigenem Reiz. Das, was sich meinem staunenden Auge bot, war Wissenschaft, das merkte ich in der ersten Vorlesungsstunde.“ Das pharmazeutische Staatsexamen bestand er am 10. März 1880 mit „optime“ in Berlin, seine Doktor-Promotion allerdings erfolgte unter Friedrich H.G. Hilderbrand (1835 bis 1915) an der Universität Freiburg, da dies in Berlin ohne Abitur nicht ermöglicht wurde.

Habilitation mit „Sondergenehmigung“ Schwendener vermittelte ihm anschließend eine Stelle als Privatassistent bei dem Botanikprofessor Nathanael Pringsheim (1823 bis 1894). Nachmittags arbeitete Tschirch im Chemischen Privatlabor seines Onkels und späteren Schwiegervaters Otto Ziurek (1821 bis 1886) und führte gerichtliche, technische und lebensmittelchemische Analysen durch, zusätzlich arbeitete er ab Oktober 1881 im Pflanzenphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin bei Albert Bernhard Frank (1839 bis 1900). Eichler ermutigte ihn zur Habilitation. Am 30. Oktober 1884 habilitierte sich Tschirch mit dem Themengebiet „Über die Rolle des Chlorophyllfarbstoffs im Assimilationsprozeß“, nachdem großzügigerweise das Kultusministerium die „Beibringung eines Abiturzeugnisses und eines preußischen Doktordiploms“ erlassen hatte.

Im Rückblick bezeichnete Tschirch die „Venia Legendi“ (Erlaubnis zu Lesen, Lehrbefugnis) als das wichtigste Ziel seines Lebens. Er wurde Privatdozent an der Universität Berlin für botanisch-mikroskopische Übungen für Pharmazeuten, Chemiker und Mediziner, hielt Vorlesungen über anatomische Grundlagen der pflanzlichen Rohstofflehre, angewandte Pflanzenanatomie und Pharmakognosie. 1888/89 unternahm er eine Studienreise nach Indien, Ceylon und Java. Da Tschirchs mehrmaliges Ersuchen nach Einrichtung eines Mikroskopiersaals mit 30 Arbeitsplätzen sowie eines Auditoriums mit 60 Sitzplätzen erfolglos blieben, er weiterhin trotz zahlreicher Publikationen, darunter 1889 sein erfolgreiches Werk , die „Angewandte Pflanzenanatomie“ sowie acht Dissertationen, die er betreute, nur den Status eines Privatdozenten innehatte, folgte er 1890 einem Ruf nach Bern.

„Eh Sie annahmen, hätten Sie erst bei mir anfragen sollen. Vielleicht hätte sich doch ein Modus gefunden, Sie hier zu halten“, war die Reaktion des zuvor immer ablehnend sich äußernden Referenten für Universitätsangelegenheiten, Geheimrat Friedrich Althoff (1839 bis 1908). Doch für Tschirch war der Ruf nach Bern die „Peripetie“ (der Wendepunkt, das unerwartete Glück) seines Lebens.

Erfolgreiche Berner Jahre Nicht nur wissenschaftlich, wie primär in Berlin, sondern auch karrieremäßig war er nun erfolgreich – und anscheinend auch glücklich. Privat hatte er sich schon im Januar 1885 mit seiner Cousine Elise Ziurek verbunden. Der Ehe entstammten zwei Töchter, Margarete (1888 geboren) und Anna (geboren 1891). Knapp ein Jahr nach Antritt der außerordentlichen Professur in Bern wurde er zum ordentlichen Professor der Pharmazie und Pharmakognosie ernannt – das war schon vor dem Umzug von Berlin nach Bern zusammen mit ausreichend Räumen im Pharmazieinstitut und weiteren Bedingungen, die Tschirch gestellt hatte, ausgehandelt worden. Später wurde die Professur auf Tschirchs Anregung in „Professor der Pharmakognosie, Pharmazeutischen und gerichtlichen Chemie“ umbenannt, einen Titel, den er 41 Jahre innehaben sollte.

Gehaltserhöhungen, gute Arbeitsbedingungen, ein neues Institut mit erweiterten Räumlichkeiten ab 1893 folgten, ebenso sein weiterer Aufstieg zum Dekan der Medizinischen Fakultät und schließlich 1908/1909 zum Rektor der Universität Bern. Umfangreiche Lehre, Forschung, mehr als 388 Publikationen (71 gemeinsam mit Studenten), 21 Bücher, 158 betreute Dissertationen von zum Teil später ebenfalls namhaften Pharmazeuten entstanden. Der Pharmakognosie gab er zahlreiche neue Impulse (sein wichtigstes Werk „Handbuch der Pharmakognosie“ war jahrzehntelang ein internationales Standardwerk), trieb die Entwicklung von einer rein beschreibenden hin zu einer chemischen/physikochemischen Disziplin wesentlich voran und organisierte diese Wissenschaft neu. Auch die Arzneibuchkommission für die Pharmacopoea Helvetia leitete Tschirch.

Zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen wurden ihm zuteil. Er war fünffacher Ehrendoktor und Ehrenmitglied von fast dreißig wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Mehrere Rufe an andere Universitäten, unter anderem 1917 nach Wien, lehnte er ab. 1931 wurde noch ein nach seinen Vorstellungen neu erbautes Pharmazeutisches Institut eingeweiht, ein Jahr später, im Alter von 76 Jahren, zog er sich vom Lehramt zurück. Die letzten sechs, sieben Lebensjahre Tschirchs waren mehr und mehr von Krankheit und Einsamkeit geprägt. Er beschäftigte sich aber weiter mit Forschungsmethoden in den Pflanzenwissenschaften. 1935 starb seine Frau, am 2. Dezember 1939 folgte Tschirch ihr. Er wurde 83 Jahre alt. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/17 ab Seite 130.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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