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Angioödem

SCHWELLUNG IM GESICHT

Etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung trifft es mindestens einmal im Leben: Plötzlich macht sich ein Spannungsgefühl im Gesicht bemerkbar, dann sind auch schon die Lippen zu prallen Wülsten verformt und die Augenlider angeschwollen.

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Der Arztbesuch bestätigt, dass es sich hier um die typischen Symptome eines Angioödems handelt. Früher nannte man diese Hauterscheinung auch Quincke-Ödem. Mediziner verstehen darunter eine Flüssigkeitsansammlung in den unteren Hautschichten, die durch eine vorübergehend erhöhte Gefäßdurchlässigkeit hervorgerufen wird. Vor allem der aus den Mastzellen freigesetzte Botenstoff Histamin und das Gewebshormon Bradykinin sind bekannt dafür, dass sie diesen Prozess auslösen. Innerhalb weniger Tage, wenn die aus dem Gewebe ausgetretene Flüssigkeit dann langsam wieder in den Blutkreislauf abtransportiert wird, bilden sich die Schwellungen vollständig zurück, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen.

Im Unterschied zur Urtikaria, die durch eine lokale Rötung und juckende Quaddeln an den oberflächlichen Anteilen der Haut gekennzeichnet ist, spielt sich die Entwicklung von Angioödemen in größerer Tiefe ab. Am deutlichsten tritt die Erscheinung im Gesicht zutage, da dort das Bindegewebe sehr locker ist. Mitunter, aber eher selten, schwellen auch Handflächen, Fußsohlen sowie die Genitalien und die Darmwand an. Da sich im weichen Gewebe der Unterhaut mehr Platz für Wasseransammlungen findet, sind Angioödeme meist größer und weniger scharf begrenzt als die Quaddeln der Nesselsucht.

In etwa der Hälfte der Fälle ist ein Angioödem jedoch mit einer Urtikaria vergesellschaftet. Äußerst unangenehm ist für die Patienten, dass Angioödeme ganz unverhofft und meist in den unpassendsten Momenten auftreten und dann sofort medizinisches Eingreifen erforderlich machen. Denn eine anfänglich leichte Schwellung kann sich rasch zum Kehlkopfödem mit Erstickungsgefahr weiterentwickeln. Tritt ein solcher Fall ein, sollte der Betroffene sofort einen Notarzt rufen.

Ursachen und Auslöser Genauso vielfältig wie die Symptome sind auch die Ursachen eines Angioödems. In den meisten Fällen handelt es sich um allergische Reaktionen oder die Nebenwirkung von Medikamenten. Aber auch chronische Entzündungen, körperliche Anstrengung, physikalischer Druck oder Kälte können Auslöser dieser massiven Schwellungen sein. Eher selten liegt dem Angioödem ein genetischer Defekt zugrunde. Aufgrund der beteiligten Botenstoffe unterscheiden Experten zwischen allergischen, histaminergen und nicht-allergischen, meist Bradykinin-vermittelten Angioödemen.

Bei Angioödemen, die durch die Ausschüttung des Gewebshormons Histamin verursacht werden, treten oft auch typische Nesselsucht-Beschwerden auf. Beim Bradykinin-vermittelten Angioödem bleiben diese Reaktionen meistens aus. Tendenziell entwickelt sich die Bradykinin-vermittelte Form auch langsamer als die Histamin-vermittelte Variante. Eine seltene erbliche Unterform des Bradykinin-vermittelten Angioödems ist das hereditäre Angioödem (HAE). Hierbei liegt ein Gendefekt vor, der zu einem Mangel eines bestimmten Blutproteins, des sogenannten C1-Esterase-Inhibitors, führt.

ASS und ACE-Hemmer - die Nebenwirkung kennen Beim Auftreten eines Angioödems sollten vor allem zwei Medikamentengruppen als mögliche Verursacher nicht außer Acht gelassen werden. Relativ häufig sind in der täglichen Praxis Fälle zu beobachten, die durch Acetylsalicylsäure und nichtsteroidale Antirheumatika wie beispielsweise Diclofenac, Ibuprofen oder Indometacin ausgelöst werden. Gut bekannt ist das Phänomen aber auch als Nebenwirkung einer Behandlung mit ACE-Hemmern wie Enalapril, Ramipril und Lisinopril.

In den ersten Behandlungswochen ist die Gefahr einer solchen Nebenwirkung am größten, doch auch nach mehrjähriger problemloser Einnahme kann sich die seltene Komplikation akut und unvorhersehbar entwickeln. Patienten, die ACE-Hemmer einnehmen, müssen wissen, dass sie auch bei Auftreten leichter Symptome eines Angioödems unverzüglich ärztliche Hilfe benötigen. Nach einem Ereignis besteht Kontraindikation für jeden ACE-Hemmer. Arzneistoffe aus der Klasse der AT1-Blocker sind ebenfalls zu meiden.

Wie wird behandelt? Ein Angioödem kann vor allem dann gut therapiert werden, wenn es sich um ein allergisch bedingtes Auftreten handelt, denn Antihistaminika und Glukokortikoide schwächen die Wirkung des körpereigenen Botenstoffs Histamin ab und lindern die Symptome in der Regel rasch. Bei Schwellungen des Kehlkopfes muss sofort gehandelt werden: Adrenalinspray und Sauerstoffmaske helfen gegen die akute Atemnot. Unter Umständen folgt eine Infusionsbehandlung mit Antihistaminika unter ärztlicher Überwachung im Krankenhaus.

Ist der Auslöser für ein allergisches Angioödem bekannt, bekommt der Patient einen Allergiepass ausgehändigt und muss sich in Zukunft bemühen, den auslösenden Stoff zu meiden. Außerdem wird der Arzt dazu raten, stets ein Notfallset mit Antihistaminikum und Cortison in flüssiger Form parat zu haben, um im Akutfall eine weitere Verschlimmerung aufzuhalten. Ein Angioödem als Folge der Einnahme von ACE-Hemmern ist nicht allergisch bedingt, sodass Antihistiminika hier keinen oder nur geringen Nutzen zeigen. Ist gesichert, dass ein Arzneimittel der Auslöser eines Angioödems ist, wird der behandelnde Arzt die Therapie aussetzen oder umstellen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 01/18 auf Seite 98.

Dr. Andrea Hergenröther, Apothekerin

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