Anämien – Teil 1

EINGESCHRÄNKTE TRANSPORTKAPAZITÄT

Ermüdbarkeit, Schwäche, blasse Haut, Leistungsabfall, Atemnot und Schwindel – die schlechte Versorgung der Organe mit Sauerstoff äußert sich in typischen Symptomen.

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Für den Transport des Sauerstoffs aus der Lunge zu den verschiedenen Geweben ist der rote Blutfarbstoff Hämoglobin in den Erythrozyten (rote Blutkörperchen) verantwortlich. Eine Anämie oder Blutarmut ist durch eine zu geringe Anzahl der Erythrozyten oder einen Mangel an Hämoglobin definiert, die aus den verschiedensten Ursachen entstehen können. Wenn eine Anämie nachgewiesen ist, ist das noch keine Diagnose: Grundsätzlich muss zunächst die zugrunde liegende Ursache abgeklärt und wenn möglich beseitigt werden.

Der Lebenszyklus der Erythrozyten Die roten Blutkörperchen leben rund 120 Tage; danach werden sie in Leber, Milz und Knochenmark abgebaut. Für Nachschub sorgt permanent die Neubildung im Knochenmark (Erythropoese). Abgesehen von so genannten Blutungsanämien, die durch hohen Blutverlust entstehen, kann die Balance aus Auf- und Abbau auf jeder der beiden Seiten gestört sein: Eine Anämie kann sich einerseits durch Umstände entwickeln, welche die Synthese des Hämoglobins und/oder die Bildung der Blutkörperchen hemmen oder umgekehrt dadurch zustande kommen, dass die Erythrozyten vorzeitig zugrunde gehen (hämolytische Anämie).

Ein pathologischer Abbau, der nicht durch die Neusynthese kompensierbar ist, kann beispielsweise auf eine erbliche defekte Hämoglobinsynthese zurückgehen (wie etwa bei der vor allem im Mittelmeerraum vorkommenden Thalassämie); solche genetischen Fehler machen sich bereits früh in der Kindheit bemerkbar. Auch bei Erwachsenen kann sich eine hämolytische Anämie entwickeln: etwa durch Autoimmunprozesse, Infektionen (bei Malaria) oder auch als Reaktion auf Medikamente (z. B. nichtsteroidale Antirheumatika wie Diclofenac, Cephalosporine, Tuberkulostatika).

Gestörte Blutbildung Andererseits gibt es viele Gründe für eine unzureichende Blutbildung. Wenn keine adäquaten Mengen an Erythrozyten produziert werden, kann dies beispielsweise an einer Schädigung oder Krankheiten des Knochenmarks liegen; auch Tumore können verantwortlich sein. Oder es liegt eine Nierenerkrankung vor: Ist die Niere nicht mehr imstande, den Botenstoff Erythropoetin in ausreichender Menge auszuschütten, der eine Schlüsselrolle bei der Reifung von Erythrozyten spielt, können die kernlosen Blutkörperchen ebenfalls nicht im normalen Umfang gebildet werden (renale Anämie).

MAKROZYTÄRE ANÄMIEN
Zu den Nährstoffen, die für die Bildung der roten Blutkörperchen unabdingbar sind, gehören auch Folsäure und Vitamin B12. Beide Vitamine spielen eine Rolle bei der DNS-Replikation, wie sie im Rahmen jeder Zellteilung stattfindet, und sind somit auch wichtig für die Zellneubildung. Da die Vorläuferzellen der Erythrozyten eine relativ hohe Teilungsrate haben, sind sie von einem Mangel dieser Vitamine betroffen: Es entstehen weniger und größere (makrozytäre) rote Blutkörperchen mit mehr Hämoglobin (hyperchrom) als normal; man spricht von einer makrozytären hyperchromen Anämie.

Häufig liegen der erlahmten Produktion auch Mangelzustände zugrunde: Die Eisenmangelanämie etwa ist die häufigste Form der Blutarmut überhaupt. Eine Unterversorgung mit dem Spurenelement haben nicht nur viele Menschen in der Dritten Welt, sondern auch Teile der Bevölkerung hier zu Lande.

Vitamin-B12-Mangel Unter einer rein pflanzlichen Ernährung kann es bisweilen zu einer Unterversorgung mit Vitamin B12 (Cobalamin) kommen. In den meisten Fällen liegt dem Mangel aber eine Resorptionsstörung durch eine autoimmun bedingte Atrophie der Magenschleimhaut zugrunde; dann spricht man von perniziöser Anämie. Der Begriff bedeutet so viel wie “Verderben bringende Blutarmut”. Diese dramatische Bezeichnung wurde im 19. Jahrhundert geprägt, als man der sich schleichend verschlimmernden Krankheit noch nichts entgegensetzen konnte.

Vitamin B12 kann nur aus der Nahrung aufgenommen werden, wenn es mit einem speziellen Glykoprotein, das in der Magenmukosa gebildet wird, dem Intrinsic Factor, einen Komplex eingeht. Liegt zu wenig von diesem Eiweißmolekül vor, etwa infolge einer Autoimmun-Gastritis (Typ-A-Gastritis) oder nach einer Magenresektion, werden, wenn überhaupt, zu geringe Mengen des Vitamins resorbiert. Neben der Anämie kommt es zu weiteren Störungen wie neurologischen Symptomen.

Auch andere Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts können hinter der Mangelsituation stecken, darunter eine bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms oder die Sprue (Zöliakie), eine Unverträglichkeit des Getreidebestandteils Gluten, bei der die Darmschleimhaut angegriffen wird, was letztlich zu einer gestörten Nährstoffaufnahme führt.

Manchmal kann auch die übermäßige Anwendung von Antazida oder Protonenpumpenhemmern die Aufnahme von Vitamin B12 stören, weil für diese ein ausreichend saures Milieu nötig ist. Aus diesem Grund kann auch die mit zunehmendem Alter nachlassende Säureproduktion des Magens bei älteren Menschen die Versorgung mit Cobalamin gefährden. Wenn der Vitaminmangel nachgewiesen ist, ist zur weiteren Abklärung eine entsprechende Magen-Diagnostik einzuleiten.

Im Fall eines diätetisch bedingten Mangels wird zur Ernährungsumstellung geraten, während die gestörte Resorption zu Beispiel bei Magen- oder Dünndarmkrankheiten eine – häufig lebenslange – Substitution erforderlich macht. Dafür wird das synthetische Vitamin (Cyanocobalamin) i.m. oder i.v. gegeben. Unter hohen täglichen Dosen normalisiert sich die Blutbildung binnen weniger Tage wieder. Sind die Speicher aufgefüllt, reicht eine Erhaltungstherapie von beispielsweise 100 Mikrogramm (μg) im Monat.

Folsäuremangel Ebenfalls ein Vitamin der B-Gruppe ist Folsäure. Hitzestabiles Folat kommt in grünem Gemüse vor. Ein Mangel kann bei sehr einseitiger Ernährung auftreten. Häufiger ist die Unterversorgung bei Menschen mit erhöhtem Bedarf, wie beispielsweise während der Schwangerschaft. Auch bei diesem Vitamin gibt es Resorptionsstörungen (Sprue). Außerdem können verschiedene Medikamente unter Umständen die Wirkung der Folsäure antagonisieren (z. B. Methotrexat, Trimethoprim, Phenytoin).

Vor Eintritt und in den ersten Wochen einer Schwangerschaft ist die Einnahme von 400 μg synthetischer Folsäure täglich zur Prävention eines Neuralrohrdefekts beim Kind angezeigt, dagegen wird zur Therapie einer Anämie eine Tagesdosis von 5 mg empfohlen. Vor der Substitution sollte allerdings ausgeschlossen sein, dass zusätzlich ein Vitamin-B12-Mangel vorliegt – was nicht selten ist. Wird in einem solchen Fall nämlich nur Folsäure gegeben, geht zwar die Anämie zurück. Damit kann aber der gleichzeitig bestehende Vitamin-B12-Mangel mit seinen weiteren möglichen Folgen verschleiert werden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/11 ab Seite 116.

Waldtraud Paukstadt, Medizinjournalistin

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