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Tagesschlaf

POWER-NAPPING

John F. Kennedy machte einen, Winston Churchill und auch Konrad Adenauer: Sie alle hielten ihr Mittagsschläfchen in Ehren. Der „Power-Nap“, wie Churchill ihn nannte, ist gesund und steigert die Leistungsfähigkeit.

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Warum wir alle mal ein Nickerchen machen sollten“ nannte die DAK ihre Veröffentlichung, in der sie „5 Fragen zum Mittagsschlaf“ beantwortete, der leider in Deutschland eine eher mäßige Lobby besitzt. Wer sich nach dem Mittagessen hinlegt, gilt vielen als faul. Deshalb sind hier auch Ruheräume für Mitarbeiter in den Firmen eher unbekannt. Wahrscheinlich jedoch haben die Chefs die vielen Studien nicht gelesen, die eindeutig belegen: Ein kurzes Schläfchen zur „müden“ Zeit um den Mittag steigert die Leistungsfähigkeit der Angestellten um rund 34 Prozent.

In anderen Ländern sieht man das Nickerchen positiver. Japan hat sogar ein eigenes Wort für den energiespendenden Kurzzeit-Kick: Inemuri, ein kombiniertes Kunstwort, das sich in etwa als „schlafen und anwesend sein“ übersetzen lässt. Inemuri ist in Japan hoch angesehen, bedeutet es doch den vollen Arbeitseinsatz und die darauf folgende Erschöpfung eines Menschen. So sieht man dort überall (halb) eingenickte Menschen, ob in der U-Bahn, am Schreibtisch und sogar auf Parties. Japaner wertschätzen den polyzyklischen Schlaf (manche simulieren ihn gar), der übrigens in der Menschheitsgeschichte viel verbreiteter ist als der bei uns mittlerweile übliche monophasische Schlummer in der Nacht.

Die PhysiologieSieben bis acht Stunden braucht ein Mensch, um Körper und Gehirn zu regenerieren. Er legt sich dafür idealerweise ins Bett und fällt in einen Zustand von ungefähr fünf Schlafzyklen, in denen sich Tiefschlaf, Leichtschlaf und Traumphasen abwechseln – danach sind seine Zellen repariert beziehungsweise ausgewechselt, Erinnerungen abgespeichert, die Synapsen wieder frisch geschaltet. Doch der Mensch ist noch einem anderen Rhythmus, dem zirkadianen, unterworfen. Er ist so etwas wie unsere innere Uhr, steuert nicht nur die Reaktionen auf das Tageslicht und die Jahreszeiten und ist verantwortlich für den Jetlag auf Transatlantikreisen, sondern lässt uns auch ungefähr zwischen 12 und 15 Uhr ins „Kantinenkoma“ fallen.

Eine ganz normale Reaktion im Biorhythmus unseres Körpers: Die Körpertemperatur und der Blutdruck sinken, das Gehirn wird träge. Ein üppiges Mittagessen kann die Reaktionen zwar verstärken, ist aber nicht ursächlich dafür verantwortlich: Suppenkomatöse Zustände ereilen also auch Menschen, die wenig bis gar nichts gegessen haben. Wie schön wäre es jetzt, ein kleines Schläfchen zu halten! Große Unternehmen wie Opel, die Lufthansa, SAP, IBM und BASF halten dafür entsprechende Räumlichkeiten bereit. Die Stadtverwaltung Vechta war hierzulande Vorreiter: Sie führte im Jahr 2000 das mittägliche Dösen ganz offiziell ein. Die unglaubliche Folge: 2007 wurde den Rathaus-Mitarbeitern die höchste Arbeitsproduktivität unter allen vergleichbaren Gemeinden in Niedersachsen attestiert. Leider hat sich das gute Beispiel nicht so recht durchgesetzt.

Wegnicken ja, Tiefschlaf nein – das ist die hohe Kunst des Power-Nappings und bringt die gewünschte Frische zurück.

Power-Nap, aber richtig olsam und erfrischend ist, sollte eine goldene Regel befolgt werden: nicht länger als 20 Minuten! Denn danach folgt die Tiefschlafphase, nach der das Erwachen schwierig ist und eine längere Phase der Desorientierung folgt. Napping-Profis nehmen zur Einhaltung der Frist einen Schlüsselbund in die Hand, wenn sie sich zur Ruhe setzen oder legen. Fallen die Schlüssel aus der Hand, setzt die Muskelentspannung ein und der Tiefschlaf beginnt. Oder sie trinken vor dem Mittagsdösen einen Kaffee – der wirkt ziemlich genau nach zwanzig Minuten und weckt sie somit wieder auf. Wer nach dem Erwachen noch Zeit für einen kleinen Gang um den Block hat, der bringt seinen Kreislauf in Gang und ist wieder frisch und ausgeruht.

Medizinische Studien belegen den Segen eines Minischlafes zur Mittagszeit: Auswertungen des Allegheny Colleges in Pennsylvania ergaben, dass Menschen, die während des Tages ein Nickerchen machten, nach einer anstrengenden Aufgabe einen niedrigeren Blutdruck aufwiesen als diejenigen, die wach blieben. Eine andere Studie aus Griechenland bestätigte dies: Bei ihren Teilnehmern sank der Blutdruck um messbare fünf Prozent, was ausreichend ist, um das Risiko von Herzinfarkten zu senken. Auch die NASA, die ihre Astronauten testete, bestätigte, dass „strategische Nickerchen gut geeignet sind, um die Leistungsfähigkeit und die Aufmerksamkeit bei betriebsrelevanten Tätigkeiten zu verbessern“.

Beispiele gibt es viele: Den Konzertgeiger, der vor dem Auftritt ein Nickerchen hält, um seine Spielleistung zu verbessern. Studenten, die vor der Prüfung noch einmal kurz abschalten. Chirurgen, die vor Operationen einen Minutenschlaf einlegen. Arianna Huffington, kreativer Kopf hinter der amerikanischen Online-​Zeitung „Huffington Post“, musste die leidvolle Erfahrung eines gesundheitsgefährdenden Schlafentzugs machen. Nach einer langen Zeit durchgearbeiteter Tage und Nächte, in der sie nicht nur ihrem Start-Up, sondern auch ihrer Familie uneingeschränkt zur Verfügung stand, fand sie sich eines Nachts mit dem Kopf in einer Blutlache liegend am Schreibtisch wieder.

Was war passiert? Enthält man dem Körper längere Zeit den Schlaf vor, reagiert der mit einer Art Notabschaltung: Man fällt in Schlaf, der einer Bewusstlosigkeit gleicht. Huffington hatte sich bei diesem „Reset“ das Jochbein gebrochen und sie änderte daraufhin ihr Leben, schrieb das Buch „Die Schlaf-Revolution“ und ging mit ihren Landsleuten hart ins Gericht: „Die Praxis des Nickerchenmachens leidet immer noch unter unserer kollektiven Wahnvorstellung, die den Schlaf mit Schwäche und Faulheit gleichsetzt.“

Die Glühbirne ist schuld Doch wer hat das überhaupt erfunden, diese Begeisterung für das Wachsein? Zum 35. Jubiläum der Erfindung der Glühbirne im Oktober 1914 wurde Thomas Alva Edison von der New York Times interviewt. Dieser sagte wörtlich: „Früher stand der Mensch mit der Sonne auf und ging mit ihrem Untergang zu Bett. In einer Million Jahren wird er überhaupt nicht mehr zu Bett gehen. Wirklich, der Schlaf ist eine Absurdität, eine schlechte Gewohnheit.“

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2020 ab Seite 90.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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