Mann fühlt Temperatur bei Kind. © yacobchuk / iStock / Getty Images
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Krankheiten im Kindesalter

POTENZIELL TÖDLICH

Invasive Meningokokken-Erkrankungen sind gefürchtet, weil sie mit unspezifischen Symptomen beginnen, jedoch innerhalb von Stunden lebensbedrohlich werden können. Impfungen bieten Schutz.

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Meningokokken erscheinen auf den ersten Blick kompliziert: Es gibt von ihnen verschiedene Sorten – Serotypen genannt – und sie können unterschiedliche Krankheitsbilder verursachen. Für eine Reihe von Impfungen existieren zudem jeweils spezielle Empfehlungen. Doch mit einem zweiten Blick lassen sich diese Unübersichtlickeiten beseitigen.

Serotypten Meningokokken, mit wissenschaftlichem Namen Neisseria meningitidis, sind Bakterien mit einer Kapsel aus Polysacchariden. Die Zusammensetzung dieser Kapselpolysaccharide bestimmt den Serotyp – am häufigsten bei uns in Europa sind die Serotypen A, B, C, W und Y. In Deutschland treten jedes Jahr etwa 300 invasive Meningokokken-Erkrankungen auf. Gut die Hälfte davon ging im Jahr 2019 auf das Konto von Serogruppe B, 11 Prozent von Serogruppe C, 16 Prozent von Serogruppe Y und 7 Prozent von Serogruppe W. Die verbleibenden 15 Prozent wurden durch andere Serogruppen verursacht.

Altersverteilung Ein Großteil der Meningokokken-Erkrankungen tritt bei Kleinkindern auf, und dort besonders im ersten und zweiten Lebensjahr. Ein weiterer, kleinerer Erkrankungsgipfel wird im Jugendalter beobachtet. Schließlich sind auch Personen über 60 Jahren gehäuft von Meningokokken-Erkrankungen betroffen. Die erhöhte Häufigkeit im Kleinkindalter wird dem noch nicht ausgereiften Immunsystem zur Last gelegt, die im Jugendalter den engen sozialen Kontakten. Meningokokken werden durch Tröpfcheninfektion übertragen. Dabei tragen etwa zehn Prozent der Bevölkerung die Erreger im Nasen-Rachen-Raum ohne selbst zu erkranken; bei Jugendlichen sind es knapp 25 Prozent. Sie können die Bakterien aber an andere weitergeben, die Inkubationszeit beträgt meist drei bis vier Tage.

Krankheitsbild Die korrekte Bezeichnung lautet „invasive Meningokokken-Erkrankungen“, weil Meningokokken dann schwere Erkrankungen verursachen, wenn sie in den Körper eindringen. Typischerweise beginnen invasive Meningokokken-Erkrankungen mit unspezifischen Symptomen im Nasen-Rachen-Raum, Kopfschmerzen und Fieber und sind somit erst einmal nicht von anderen Infekten zu unterscheiden. Schüttelfrost, Schwindel und schwerstes Krankheitsgefühl können hinzukommen. Das Problem: Die Erkrankung schreitet häufig so schnell fort, sodass Patienten innerhalb von Stunden in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten können.

Im Verlauf entwickelt sich nämlich eine Meningitis (Entzündung der Hirnhäute) oder eine Sepsis. Bei einer Sepsis kommt es zu Einblutungen in die Haut, Blutdruckabfall, Störung der Blutgerinnung und Organversagen. Charakteristisch für eine Meningitis sind Erbrechen und Nackensteifigkeit. Es können auch Symptome wie Reizbarkeit, Schläfrigkeit und Krampfanfälle auftreten. Bei Säuglingen und Kleinkindern sind die Symptome jedoch oft weniger eindeutig. Die Letalität beträgt trotz Behandlung im Krankenhaus rund zehn Prozent. Etwa jeder fünfte bis jeder zehnte Überlebende trägt bleibende Schäden davon.

Therapie und Meningokokken-Impfstoffe Bei Verdacht auf eine invasive Meningokokken-Erkrankung ist eine umgehende Therapie mit Antibiotika angezeigt, die jedoch schwere Verläufe nicht immer verhindern kann. Im Verlauf kann eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich werden. Die ersten Impfstoffe, die gegen Meningokokken entwickelt wurden, waren sogenannte Polysaccharidimpfstoffe gegen die Serogruppen A, C, W und Y. Hier wurden (vereinfacht gesprochen) die Kapselpolysaccharide der Meningokokken-Bakterien isoliert und als Antigen genutzt. Wie sich herausstellte, war der erzielte Impfschutz jedoch zeitlich begrenzt, die Impfung ließ sich durch eine Auffrischung nicht gut erneut boostern und zeigte bei Kleinkindern ohnehin kaum Wirkung.

Polysaccharidimpfstoffe wurden vor allem bei Erwachsenen als Reiseimpfstoffe (z.B. bei Reisen nach Afrika) genutzt und sind heute nicht mehr verfügbar. Seit den 1990er Jahren wurden sogenannte Konjugat-Impfstoffe gegen Meningokokken C entwickelt, bei denen die Kapselpolysaccharide an ein Trägerprotein, zum Beispiel das Tetanus-Toxoid, gekoppelt werden. Mit dieser Modifikation konnten die Nachteile der Polysaccharid-Impfstoffe überwunden werden: Die Konjugatimpfstoffe sind bereits bei Säuglingen und Kleinkindern wirksam, der Impfschutz hält länger und lässt sich später auffrischen. In England, wo damals vergleichsweise viele Meningokokken C-Erkrankungen und Todesfälle zu verzeichnen waren, konnte der Serotyp C mit einem breit angelegten Impfprogramm mit Meningokokken-C-Konjugatimpfstoffen weitestgehend eliminiert werden.

Der nächste Schritt: Das Prinzip wurde auch auf die Serogruppen A, W und Y angewandt, sodass 2010 ein erster Kombinations-Konjugat-Impfstoff gegen die Serogruppen A, C, W und Y verfügbar wurde. In England, wo seit 2014 ein deutlicher Anstieg der Serogruppe W beobachtet wurde, wurde der Vierfach-Konjugat-Impfstoff im Rahmen eines Schulimpfprogramms sodann bei 14- bis 18-Jährigen als Auffrischimpfung eingesetzt. Auf diese Weise konnte die Serogruppe W erfolgreich zurückgedrängt werden. Am schwierigsten gestaltete sich die Entwicklung eines Impfstoffs gegen die Serogruppe B, hierzulande die häufigste Serogruppe. Doch auch hier stehen mittlerweile zwei Impfstoffe zur Verfügung, die einen Großteil der Meningokokken B-Stämme abdecken.

Empfehlungen in Deutschland Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die einmalige Impfung aller Kinder im 12. Lebensmonat mit einem Meningokokken-C-Konjugatimpfstoff. Manche Experten kritisieren, dass der Zeitpunkt der Impfung zu spät gewählt sei, da ein erheblicher Anteil der Erkrankungen bereits im ersten Lebensjahr zu verzeichnen ist. Sie favorisieren ein Modell wie beispielsweise in England oder in den Niederlanden, wo die Impfung bereits im Säuglingsalter erfolgt (allerdings sind dann mehrere Impfungen nötig).

In Deutschland werden Impfungen mit dem Vierfach-Impfstoff sowie auch gegen Meningokokken B aktuell nur für bestimmte gesundheitlich gefährdete Personen sowie für Schüler und Studierende in Ländern mit empfohlener allgemeiner Impfung empfohlen. Die STIKO prüft, ob sie auch für Deutschland eine generelle Empfehlung für sinnvoll hält. Darüber hinaus existieren weitere Impfempfehlungen gegen Meningokokken für Erwachsene, zum Beispiel für gefährdetes Laborpersonal und als Reiseimpfung.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/2021 ab Seite 52.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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