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Berühmte Apotheker

POLITIK BERUFUNG, APOTHEKE EHER HOBBY

Sozialdemokrat, Wiederstandskämpfer, KZ-Häftling, niedersächsischer Landtagsabgeordneter, Ministerpräsident und einer der Väter des Grundgesetzes: der Apotheker Georg Diederichs (1900 bis 1983).

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Politisch zu werden ist stets schwierig. Besonders in Zeiten, in denen immer wieder beklagt wird, dass die Apotheker von der Politik im Stich gelassen werden. War das früher anders? Oder haben sich Apotheker selbst auch mehr politisch engagiert? Nicht nur in der Kommunalpolitik! Kamen sie womöglich in der „großen“ Politik auch mal auf Posten, in denen ihr Wort Gewicht hatte und ihre Stimme zählte? Ein Apotheker, dem dies vor langer Zeit gelang, war Georg Diederichs.

Pharmaziestudium als Pflicht, VWL die Kür Kennen Sie nicht? Wir helfen beim Kennenlernen! 2. September 1900: Georg Diederichs wurde als jüngstes von sieben Kindern in eine konservative Apothekerfamilie hineingeboren. Seinem Vater – Georg Diederichs senior – gehörte die Rats-Apotheke Northeim. Schon 1814 hatte einer seiner Vorfahren, der Apotheker Johann Friedrich Gottlieb Diederichs, die 1574 gegründete Rats-Apotheke in Northeim gepachtet. Dessen Sohn, Carl Diederichs, erwarb 1882 vom Magistrat der Stadt die Apotheke für damals stolze 75 000 Mark. Doch schon sechs Jahre später erbte Georg Diederichs senior diese. So besuchte Georg Diederichs junior in Northeim das Corvinus-Gymnasium, wechselte später nach Goslar, wo er 1918 vorzeitig das Abitur ablegte, um noch schnell als Soldat in den Ersten Weltkrieg zu ziehen.

Anschließend begann Georg Diederichs junior eine Apothekerlehre in Grabow, bestand im Dezember 1920 in Rostock die Pharmazeutische Vorprüfung und studierte in Göttingen Pharmazie – wobei er den Apothekerberuf weniger aus Berufung, vielmehr aufgrund familiärer Pflichten wählte. Er trat – wie sein Vater und seine Brüder – einer schlagenden Studentenverbindung bei (Corps Hercynia), schlug 19 Mensuren, obwohl nur sechs Pflicht waren, und die dabei erworbenen Schmisse trug er später „wenn auch nicht gerade mit Stolz, so doch mit Würde und Amüsement“. 1924 schloss er das Pharmaziestudium mit dem Staatsexamen ab, setzte danach das neben Pharmazie begonnene Volkswirtschafts-Studium (VWL) in Rostock fort. Die durch den Tod des Vaters (1923) vakante Northeimer Rats-Apotheke pachtete er von seiner Mutter, leitete sie und schloß doch 1926 die VWL-Diplomprüfung sowie vier Jahre später eine Dissertation zum Thema „Probleme aus der deutschen Krankenversicherung“ beim Göttinger Professor der Staatswissenschaften Waldemar Mitscherlich (1877 bis 1961) ab. Privat heiratete Diederichs 1926 Anneliese Sundermeyer, drei Jahre später kam seine Tochter Sonja zur Welt.

Politisches Engagement Parallel dazu begann seine politische Tätigkeit. Zunächst Mitglied bei der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), wechselte er 1930 zur Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Als infolge Anwachsens der NSDAP (Nationalsozialistische Partei Deutschlands) Anfang der Dreißiger Jahre die politische Arbeit für die demokratischen Kräfte in Northeim erheblich erschwert wurde und dadurch auch familiäre Spannungen entstanden, übergab er auf Drängen der Verwandtschaft die Leitung der Northeimer Apotheke an einen Verwalter. Georg Diederichs ging statt dessen in die pharmazeutische Industrie, unter anderem zur Firma Goedecke nach Hamburg. Wegen „unerlaubter Parteiweiterführung“ und Widerstands gegen den Nationalsozialismus (Parteiverbot 1933) verbrachte er ab 1935 ein Jahr im Gefängnis Fuhlsbüttel sowie mehrere Monate im Konzentrationslager Esterwegen.

Sein Arbeitgeber erwirkte die Freilassung. Im zweiten Weltkrieg wurde Diederichs dann aber als Soldat/ Unteroffizier im Sanitätswesen eingesetzt, drei Jahre davon an der Ostfront. Nach dem Krieg von der britischen Besatzungsmacht noch im Oktober 1945 zum Bürgermeister seiner Geburtstadt Northeim berufen, blieb Georg Diederichs 1946 ehrenamtlicher Bürgermeister und nahm auch das Landratsamt im Kreis Northeim wahr. 1947 erfolgte die Wahl als SPD-Abgeordneter in den niedersächsischen Landtag. Drängendste Probleme auf Landesebene damals: Unterbringung der zahlreichen Flüchtlinge und Versorgung der Bevölkerung. Daneben arbeitete er aktiv an der Gestaltung des niedersächsischen Kommunalwahlrechts und der Bodenreform im neugegründeten Bundesland Niedersachsen. Als einer von neun niedersächsischen Abgeordneten wurde er Mitglied des verfassungsgebenden Organs, des parlamentarischen Rates und wirkte dadurch 1948/49 an der Gestaltung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland mit.

Der weite Weg zum Ministerpräsidenten Doch trotz seiner erfolgreichen Arbeit im Parlamentarischen Rat wurde Diederichs bei der Nominierung der niedersächsischen SPD-Kandidaten für die Bundestagswahlen 1949 und 1953 nicht berücksichtigt. „Was kann ich in meiner SPD schon groß werden, ich – ein Sozi mit drei Schmisse ins Jesicht“ soll Georg Diederichs 1953 auf die Frage nach seinen politischen Ambitionen gesagt haben. Statt dessen pachtete er 1950 die nach dem Krieg wieder aufgebaute Rats-Apotheke Hannover und leitete diese bis 1962 auch. Mit dem Wandel der SPD zur Volkspartei standen ihm die Türen in höhere Ämter schließlich doch offen: 1955 wurde er Vizepräsident des niedersächsischen Landtags, 1957 Sozialminister – und hatte so Anteil an der Schaffung des Niedersächsischen Kammergesetzes. 1961 wurde Diederichs sogar Ministerpräsident. Seine apothekerliche Vergangenheit leugnete er nie, im Gegenteil, sie kam das ein oder andere Mal in seinen Ansprachen und Reden deutlich zum Ausdruck.

So schmiedete er im Juni 1963 eine kleine Koalition der SPD mit der FDP – kam dabei aber nicht umhin, in Ansprachen nach Koalitionsbildung auch mal den ein oder anderen Giftpfeil zu versenden. „Irrtümlicherweise spricht man immer [Bezug: FDP] von dem Zünglein an der Waage. Das können Sie mir zutrauen: Ich habe die Hälfte meines Lebens mein Geld mit einer Waage verdient, die sehr genau gehen mußte. Schon von daher können Sie mir zutrauen, daß ich lieber etwas zu wenig als zu viel gebe, was auch im Umgang mit schweren Giften durchaus in Ordnung sein kann.“ Bis 1970, also neun Jahre lang, wirkte Diederichs als Ministerpräsident in Niedersachsen. Nicht als „Manager der politischen Macht“ sondern als „Mann des Ausgleichs“ wird er selbst vom „Vorwärts“, der Zeitung der deutschen Sozialdemokratie seit 1876, gewürdigt. Zugehörigkeit zum Corps (schlagende Verbindung) und SPD-Mitgliedschaft, politische Arbeit und noch bis 1961 aktive Apothekertätigkeit waren für Diederichs kein Widerspruch. 1966 ernannte ihn die Stadt Northeim zum Ehrenbürger. 1970 erlitt er einen leichten Schlaganfall. Er verzichtete auf eine weitere Amtszeit als Ministerpräsident, behielt aber sein Landtagsmandat bis 1974. Am 19. Juni 1983 verstarb Dr. Georg Diederichs in Laatzen.

Und die Rats-Apotheke Northeim? Noch während seines VWL-Studiums ließ Georg Diederichs 1927 die alteingesessene Apotheke umbauen und an die Erfordernisse der Zeit anpassen, was sogar in der Ortszeitung damals entsprechend gewürdigt wurde. Nach seinem politisch motivierten Weggang aus Northeim 1930 verwaltete zunächst Apotheker Wilhelm Köthe aus Arnsberg die Apotheke, 1936 pachtete sie Werner Rathmann, ab 1939 Dr. Hermann Timmel. 1962 übernahm Georg Diedrichs´ Neffe Peter-Georg Diederichs die Apotheke in fünfter Generation als Eigentümer. Heute ist Apotheker Andreas Hartwig Inhaber der Traditionsapotheke. 

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/17 ab Seite 82.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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