Darreichungsformen

PHYTOWIRRWARR

Pflanzliche Arzneimittel erfreuen sich großer Beliebtheit. Doch trotz jahrhundertelangem Einsatz ist die galenische Aufbereitung immer noch uneinheitlich und die evidenzbasierte Beratung herausfordernd.

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Drogenkunde gehört zur grundlegenden Materie der pharmazeutischen Ausbildung. Der Laie hingegen verliert leider häufig das Interesse, wenn es nicht um die psychoaktiven Substanzen geht, die der Volksmund als Droge bezeichnet. Dabei schließt die eigentliche Bedeutung die moderne Assoziation nicht aus. Als Droge, abgeleitet vom Wort „dröge“, mittelniederdeutsch für trocken, werden alle Teile von Pflanzen, Tieren, Pilzen und Mikroorganismen bezeichnet, die pharmazeutisch einsetzbar sind und eine Wirkung auf den menschlichen Organismus entfalten. Erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich der allgemeine Gebrauch des Wortes gewandelt. In der Offizin teilweise als veraltet, zu sanft oder wenig evident belächelt, bilden pflanzliche Drogen wichtige Therapiemöglichkeiten nicht nur in der Selbstmedikation, sondern auch als ärztliche Verschreibung.

Das berühmt-berüchtigte Schöllkraut sorgt beispielsweise immer wieder für Schlagzeilen. Als wichtiger Bestandteil in Produkten für Magen-Darm-Beschwerden enthält es das Alkaloid Chelidonin, welches in hohen Dosierungen zu Leberversagen führen kann. Diese bestens untersuchte Wirkung eines pflanzlichen Inhaltsstoffs auf ein bestimmtes Organ bildet in der Drogenheilkunde allerdings die Ausnahme. Der Begriff Phytopharmakon bezeichnet in der Regel Vielstoffgemische pflanzlicher Herkunft, die aus bestimmten Pflanzenteilen über Extraktionsverfahren hergestellt werden. Anders als bei chemischen Wirkstoffen ist hier auch der Weg das Ziel. Auszugsmittel, Extraktionsdauer und die technischen Verfahren sind nicht bis ins Detail vorgegeben, sondern werden von den entsprechenden Herstellerfirmen entwickelt und auf dem neuesten Stand der Technik gehalten.

Nur das Endergebnis ist durch das europäische Arzneibuch an strenge Auflagen geknüpft, falls der Hersteller sein Endprodukt als Arzneimittel auf den Markt bringen möchte. Vorsicht geboten ist bei Phytopharmaka, die als Nahrungsergänzungsmittel nur eine Registrierung benötigen. Anstelle eines Wirkstoffs muss gesetzlich nur eine Zutatenliste angegeben werden, die den Herstellern viel Platz für Interpretation lässt. Schon das eingesetzte pflanzliche Ausgangsmaterial unterliegt kaum einer Kontrolle der qualitätsbestimmenden Inhaltsstoffe.

Teezubereitungen und Drogenpulver Diese Ungenauigkeit gilt auch für die simpelste Art eines Phytopharmakons, der Teezubereitung. Als typisches Mittel bei kleineren Befindlichkeiten wird diese gerne in Eigenregie bei Husten, Magen-Darm-Beschwerden oder Einschlafschwierigkeiten eingesetzt. Die zusätzliche Flüssigkeitszufuhr unterstützt den Kreislauf und die erzielte Erhöhung der Körpertemperatur fördert das Immunsystem und lässt eine gemütliche Stimmung aufkommen. Leider ist Wasser als eingesetztes Auszugsmittel oft nicht ideal. Nur die wasserlöslichen Inhaltsstoffe gelangen in die Zubereitung und selbst die Konzentration dieser Inhaltsstoffe hängt von vielen Faktoren wie Temperatur, Zeit oder Menge des Ausgangsmaterial ab.

Einige Inhaltsstoffe unterliegen hydrolytischen Spaltreaktionen, die ihre Konzentration verringern. Eine gute Reproduzierbarkeit kann nicht gewährleistet werden. Als qualitativ hochwertigere Phytopharmaka können bestimmte Drogen in Form von gemahlenem Pulver eine evidente Therapieoption darstellen. In der Regel als Kapsel appliziert, können diese dann geschluckt werden. Bekannte Beispiele bilden Kapuzinerkresse und Meerrettich. Die enthaltenen Senfölglycoside sind schon in der Pulverform ausreichend hoch dosiert und bioverfügbar, sodass sie eine Therapie zum Erfolg führen können. Für die meisten bekannten Phytopharmaka hat sich der Einsatz in Form von Extrakten durchgesetzt.

Extrakte Diese Extraktzubereitungen bezeichnen einen Auszug aus einer bestimmten Pflanze oder einzelnen Pflanzenteilen. Dabei ist die Herangehensweise während der Produktion meistens sehr ähnlich. Extrakte werden erst über pharmazeutisch-technologische Einteilungen hergestellt und daraufhin an pharmazeutisch-therapeutischen Kriterien gemessen. Technologisch wird zunächst ein Fluidextrakt aus dem pflanzlichen Ausgangsmaterial gewonnen. Ein Teil der Droge entspricht hier in der Regel einem Teil Fluidextrakt. Diese Fluidextrakte haben vereinzelt schon einen Anteil an Wirkstoff, der ausreicht, um ihn in Säften und halbfesten Zubereitungen zu verarbeiten. Nach Verdampfen des Extraktionsmittels entsteht der zähflüssige Dickextrakt.

Auch dieser kann als Grundlage für halbfeste Zubereitungen oder Tropfen dienen. Über eine finale Trocknung zum Trockenextrakt wird ein Feuchtigkeitsgehalt von unter fünf Prozent erreicht. Ehe die jeweiligen Extrakte zum endgültigen Produkt weiterverarbeitet werden können, müssen diese den Definitionen der pharmazeutisch-pharmakologischen Einteilung standhalten. Welche Einteilung gewählt wird, hängt von der Datenlage der jeweiligen Pflanze ab. Ist ein isolierter, wirksamkeitsbestimmender Inhaltsstoff bekannt, gibt das europäische Arzneibuch einen standardisierten Extrakt mit einem vordefinierten Gehalt vor. Mariendistelfrüchte oder die Rosskastanie gehören in diese Kategorie.

Jede Kapsel muss die gleiche, festgelegte Menge an Silymarin beziehungsweise Aescin enthalten, um die spätere Wirkung garantieren zu können. Im Falle des Ginkgos konnte bisher keine isolierte Einzelsubstanz für die nachgewiesene Wirkung bestimmt werden. In so einem Fall gibt das europäische Arzneibuch quantifizierte Extrakte an. Das heißt, es werden verschiedene Gehaltsspannen an Inhaltsstoffen vorgegeben, die in Kombination ihre Wirkung entfalten. Die Grenzen werden entweder aufgrund der Wirksamkeit oder aufgrund von Unbedenklichkeit festgelegt. Die Einstellung auf die richtige Menge erfolgt ausschließlich durch das Mischen von verschiedenen Extraktchargen. Zu beachten ist, dass sich solche Extrakte von Hersteller zu Hersteller oft deutlich unterscheiden, auch wenn die Vorgaben erfüllt werden.

Je nach Extraktionsmittel und Herstellungsprozess können zum Beispiel ganz andere sekundäre Pflanzenstoffe enthalten sein. Die dritte Kategorie sind die sogenannten „anderen Extrakte“. Hier ist nicht bekannt welche Substanzen genau für die Wirkung verantwortlich sind. Um trotzdem eine einheitliche Qualität des Produktes gewährleisten zu können, wählen die Hersteller bestimmte Pflanzeninhaltsstoffe aus, die gut nachweisbar sind. Im Handverkauf ist das leider nicht zu erkennen. Als Qualitätsmerkmal auf der Packung ist aber das Verhältnis zu erkennen, wie viel Gramm Droge genutzt wurde um ein Gramm des gewünschten Extraktes zu erhalten.

Insbesondere bei quantifizierten und „anderen“ Extrakten lohnt sich eine tiefergehende Recherche. Da jeder Hersteller seinen eigenen Produktionsweg aufgebaut hat, besteht die Möglichkeit, dass trotz gleichem Ausgangsmaterials die Therapieergebnisse variieren. Durch eine kurze Recherche können die einzelnen Präparate ins richtige Licht gerückt werden und einer fundierten, qualitativ hochwertigen Beratung steht nichts mehr im Wege.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2021 ab Seite 90.

Manuel Lüke, Apotheker und PTA-Lehrer für Gefahrstoffkunde

Beratungshinweise
In der Beratung sollte zwischen zugelassenen, pflanzlichen Arzneimitteln und registrierten Nahrungsergänzungsmitteln unterschieden werden. Firmeneigene Spezialextrakte können patentiert und mit Studien untermauert werden, die für keine anderen Hersteller gelten. Evidenzbasierte Berichte zu vielen pflanzlichen Arzneimitteln sind über die HMPC-Monografien der EMA zu finden.

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