© Franck Boston /123rf.com

Behandlungsfehler

PFUSCH AM PATIENTEN

Schätzungen zufolge kommt es hier zu Lande jährlich zu 40 000 bis 170 000 „Kunstfehlern“ durch Ärzte. In den meisten Fällen haben Betroffene es dann schwer, ihr Recht zu bekommen.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Bei einem ärztlichen Behandlungsfehler wurde ein Patient nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst therapiert, also die Behandlung nicht nach den aktuellen Standards der medizinischen Wissenschaft durchgeführt. Dabei kann es sich sowohl um unterlassene, notwendige als auch um schädigende oder unnötige Untersuchungen und Therapien handeln.

Ob der Fehler vorsätzlich oder aus Versehen geschehen ist, spielt hierbei keine Rolle. Mangelnde Aufklärung des Patienten sowie organisatorische Fehler sind ebenfalls Behandlungsfehler. Und: Der zuständige Arzt muss nicht direkt der Verursacher sein, sondern es kann sich auch um Personen handeln, die ihm zuarbeiten oder nachgeordnet sind. Wie viele Behandlungsfehler hier zu Lande jährlich geschehen, ist nicht belegt.

Die Zahlen schwanken laut Bundesgesundheitsministerium zwischen 40 000 und 170 000, wobei die AOK für das Jahr 2011 sogar von 190 000 Fällen ausgeht. Hüft- und Kniegelenksoperationen führen dabei die Beschwerdeliste an. Die Dunkelziffer ist sehr hoch, denn es ist wahrscheinlich, dass viele Ärztefehler nie erkannt werden oder Betroffene sie nicht melden wollen. Rund zehn Prozent aller dieser Fehler gehen tödlich aus. Dann können die Hinterbliebenen die Ärzte zur Rechenschaft ziehen.

Nachweis oft schwierig Seit einem Jahr gibt es das neue Patientenrechtgesetz. Doch Betroffene haben immer noch einen schweren Stand, denn die Beweislast liegt nach wie vor bei ihnen, es sei denn, der Arzt hat einen groben, sofort ersichtlichen Fehler gemacht, wie zum Beispiel die Knieoperation am falschen Bein. Weitaus häufiger kommen jedoch Fehler vor, die in der Gemengelage von Krankheit und Symptomen für den Patienten nicht klar zuzuordnen sind, manchmal auch nicht einmal für Mediziner und Gutachter. Für die Betroffenen stellt das die größte Hürde dar.

Die meisten sind darauf angewiesen, den Aussagen ihres Arztes glauben zu können. Gerade bei nicht eindeutigen Fällen können die Mediziner daher schnell abwiegeln – und oft tun sie das auch. Bei Therapien gibt es Standards, doch manchmal bringen auch neue, unorthodoxe Wege überraschende Erfolge. In Absprache mit dem Patienten können so auch Behandlungsmethoden eingesetzt werden, die vom Goldstandard abweichen. Mögliche negative Folgen können dann nicht als Ärztepfusch ausgelegt werden – sofern der Patient vollständig über diese Risiken aufgeklärt wurde Aber auch dies kann zum Streitpunkt werden.

Richtige Vorgehensweise Wer sicher ist, durch einen Behandlungsfehler geschädigt worden zu sein und wer um sein Recht kämpfen möchte, der sollte zuerst das Gespräch mit dem Arzt suchen. Merkt er dann, dass dieser versucht abzuwiegeln, ist es Zeit, sich professionelle Unterstützung zu suchen.

Eine erste Beratung ohne Gutachtenerstellung oder rechtlichen Beistand kann man beim Deutschen Patientenschutzbund oder der Unabhängigen Patientenberatung bekommen. Noch einfacher ist es, sich direkt an die Krankenkasse zu wenden. Diese fordert direkt die Krankenunterlagen an und beauftragt im berechtigten Fall auch den Medizinischen Dienst, ein Gutachten zu erstellen. Für den Patienten ist das kostenlos, kann aber bis zu einem halben Jahr dauern.

LIEBER WENIGER, DAFÜR SCHNELLER
In vielen Fällen kann daher eine außergerichtliche Einigung sinnvoll sein. Möglicherweise erhält man weniger Schadenersatz, dafür bekommt man das Geld aber zeitnah. Gerade in Fällen, in denen ein Ärztepfusch den Lebensalltag verändert hat, wo also die Betroffenen zum Beispiel teilweise oder ganz erwerbsunfähig geworden sind, kann es wichtig sein, schnellstmöglich wieder an Geld zu kommen. Generell müssen Betroffene abwägen, ob die mögliche Schadenersatzsumme den zeitlichen und nervlichen Aufwand einer Klage rechtfertigt.

Trotzdem können für die Betroffenen hier auch schon Kosten entstehen, denn der Mediziner oder das Krankenhaus liefern nur Kopien der Krankenakte. Dafür dürfen sie bis zu 50 Cent pro Kopie nehmen – bei einer umfangreichen Akte geht das schnell ins Geld. Außerdem: Haben Ärzte handschriftlich etwas in den Akten vermerkt, müssen sie diese Notizen nicht aushändigen. Somit ist eine umfassende Dokumentation nicht immer möglich.

Wer ohne professionellen Beistand Einsicht in die Krankenakten fordern möchte, muss das schriftlich tun – unter Berufung auf Paragraf 630g BGB, der das Recht auf Akteneinsicht regelt. Eine Fristsetzung von zwei bis höchstens drei Wochen ist dabei sinnvoll.

Ohne langen Atem geht nichts Wer eine Rechtsschutzversicherung hat, kann beruhigter in einen Streit gehen, für alle anderen könnte es teuer werden. Denn wird die Klage abgelehnt, trägt der Kläger alle Kosten. Daher ist es besonders wichtig, einen Fachanwalt für Medizinrecht zu beauftragen.

Vom ersten Verdacht an hat ein Patient drei Jahre Zeit, um einen Behandlungsfehler nachzuweisen. Die Zeit kann für Gutachten, die länger benötigen, ausgesetzt werden. Trotzdem sind drei Jahre für die meist komplizierten Sachverhalte bei einem Ärztepfusch oft knapp bemessen. Dazu kommt noch, dass Krankenakten nur zehn Jahre aufbewahrt werden müssen, was die Betroffenen auf jeden Fall auch im Auge behalten sollten. Wird der Klage stattgegeben, beginnt der Kampf um den Schadenersatz. Auch dieser dauert noch einmal einige Zeit, im Durchschnitt etwa fünf Jahre. Doch es sind auch Fälle bekannt, die weit über zehn Jahre verhandelt wurden.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 06/14 ab Seite 88.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

×