Mann bekommt Spritze © Moritz Wussow / stock.adobe.com
Ähnlich unerquicklich wie Impfungen sind für viele Patienten Blutabnahmen, Punktionen, Betäubungsspritzen beim Zahnarzt und andere Situationen. © Moritz Wussow / stock.adobe.com

Spritzenangst

PANIK VOR DEM PIKS

Ob Impfung oder Blutabnahme: Einige Menschen haben so große Angst vor der Spritze, dass sie die Flucht ergreifen oder gar ohnmächtig werden. Sie können jedoch lernen, die Angst zu überwinden und künftig besser mit der Nadel klarzukommen.

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Die Freude auf den bevorstehenden Tropenurlaub ist riesig, doch schon der Gedanke an die erforderliche Reiseimpfung beschert manch einem ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Wer lässt sich schon gerne mit der spitzen Nadel in die Haut stechen? Doch schließlich siegt bei den meisten Menschen der Verstand – sie beißen die Zähne kurz zusammen und lassen sich in der Arztpraxis ganz selbstverständlich die notwendige Injektion verabreichen.

Ähnlich unerquicklich wie Impfungen sind für viele Patienten Blutabnahmen, Punktionen, Betäubungsspritzen beim Zahnarzt und andere Situationen, in denen medizinisches Personal die Spritze zückt: Schön sind die kleinen Pikser sicher nicht, aber trotzdem oft zwingend erforderlich und, objektiv betrachtet, oft nur halb so schmerzhaft wie befürchtet. Völlig normal ist es, dass wir Spritzen unangenehm finden und sogar hartgesottene Zeitgenossen erleichtert aufatmen, wenn der Nadelstich vorüber ist.

Doch bei einigen Menschen ist die Panik vor dem Piks so ausgeprägt, dass sie Blutabnahmen, Impfungen und Co. verweigern und dadurch ihre Gesundheit ernsthaft gefährden. Lebensbedrohlich kann es beispielsweise werden, wenn der Tetanus-Impfschutz nicht aufgefrischt wird oder erforderliche Injektionen, etwa bei Diabetes mellitus, nicht konsequent erfolgen. Wer Zahnschmerzen hartnäckig ignoriert, weil er die Spritze des Zahnarztes fürchtet, muss ebenso mit schlimmen Folgen rechnen wie der Kranke, der für die Diagnostik erforderliche Blutuntersuchungen vor lauter Furcht ablehnt.

Furcht mit Folgen Spritzenangst, medizinisch als Trypanophobie (wörtlich: Angst vor dem Stechen) bezeichnet, ist ein ernsthaftes Problem mit erheblichem Krankheitswert. Sie zählt zur großen Gruppe der spezifischen Phobien, bei denen sich die Angst gegen bestimmte Objekte oder Situationen richtet – etwa gegen Spinnen, große Höhen, enge Räume oder eben gegen die Nadel. Eine Spritzenphobie macht schätzungsweise drei Prozent der Bevölkerung zu schaffen, betroffen sind Frauen und Männer aller Altersgruppen.

Oft manifestiert sich die panische Angst bereits im Kindesalter, ausgelöst werden kann sie zum Beispiel durch ein traumatisches Erlebnis bei einer Blutentnahme oder durch lange Krankenhausaufenthalte in jungen Jahren. Erwachsene Patienten wissen zwar, dass ihre Angst übertrieben ist, können sie aber dennoch nicht kontrollieren oder gar beherrschen. Wer unter einer Spritzenphobie leidet, hat typischerweise panische Angst vor Schmerzen, die durch den Einstich verursacht werden, oft aber auch vor Hautverletzungen durch spitze Gegenstände und/oder vor dem Anblick von Blut.

Die Furcht vor Blut und Verletzungen geht mit der Spritzenangst oft Hand in Hand, Mediziner sprechen dann von Blut-Spritzen-Verletzungsphobie. Die Konfrontation mit der Spritze, mitunter reicht allein der Gedanke an die Nadel oder den bevorstehenden Piks, löst bei Betroffenen eine regelrechte Panikattacke aus: Die Hände zittern, das Herz rast, der Schweiß bricht aus, der Atem stockt, nicht selten werden Patienten sogar ohnmächtig. Der Verlust des Bewusstseins kann die Angst künftig noch weiter verstärken. Als unmittelbare Folge der Panik fliehen viele Betroffene blitzartig aus der vermeintlich „bedrohlichen Situation“, schlagen nach der Spritze, suchen das Weite und entscheiden, die Arztpraxis künftig dauerhaft zu meiden.

Wegschauen hilft

Eine Spritze kann schmerzhaft sein. Die Pein wird jedoch als weniger stark wahrgenommen, wenn Betroffene während der Injektion wegschauen. Das hat eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Charité Berlin gezeigt, in der die Teilnehmer elektrische Schmerzreize als unangenehmer empfanden, wenn sie zusahen, wie eine „virtuelle Hand“ gepikst wurde. Diese Einschätzung der Probanden erfolgte sowohl subjektiv als auch objektiv, gemessen an der Pupillenerweiterung. Die Pupillen der Studienteilnehmer weiteten sich stärker, wenn sie Injektions-Videos sahen. Vor diesem Hintergrund scheint der ärztliche Rat, nicht hinzuschauen, wenn die Spritze kommt, durchaus sinnvoll zu sein.


Ohnmacht verhindern
Weil eine Spritzenphobie gefährliche Folgen haben und zudem die Lebensqualität erheblich einschränken kann, sollte sie konsequent behandelt werden. Bei Patienten, die zu Ohnmacht neigen, was insbesondere bei der komplexen Blut-Spritzen-Verletzungsphobie sehr häufig vorkommt, ist es das primäre Therapieziel, den Verlust des Bewusstseins künftig zu verhindern. Zu diesem Zweck erlernen viele Betroffene die Technik der Angewandten Anspannung.

Das Prinzip: Durch aktives Anspannen der Muskulatur wird der Blutdruck stabil gehalten und einer Ohnmacht entgegengewirkt. Wer die Methode beherrscht, ist schließlich auch in der Lage, Blutdruckabfall und Bewusstseinsverlust in brenzligen Situationen zu verhindern, also beispielsweise dann, wenn die Spritze naht. Patienten mit reiner Spritzenphobie, die nicht zur Ohnmacht neigen, hilft eine Expositionstherapie. Durch Konfrontation mit der angstauslösenden Situation trainieren sie unter therapeutischer Anleitung Schritt für Schritt, die Furchtreaktion wieder zu „verlernen“.

Oft gelingt es Patienten bereits nach wenigen Sitzungen, sich Bilder von Spritzen anzusehen, die angstauslösenden Gegenstände auszupacken und zu berühren, ehe schließlich auch trainiert wird die Nadelstiche zu tolerieren. Sehr vielen Betroffenen kann mit dieser verhaltenstherapeutischen Methode vergleichsweise rasch und effektiv geholfen werden. Und auch, wenn die Angst vor der Spritze nicht ganz aus dem Leben verschwindet, lernen sie doch, anders mit ihr umzugehen, sodass Impftermine und Blutabnahmen schließlich ohne Panikattacke gemeistert werden können.

Keine Angst entwickeln Am besten ist es natürlich, wenn Kinder erst gar keine allzu große Angst vor der Spritze entwickeln. Die gute Nachricht: Eltern können aktiv daran mitwirken, dem Nachwuchs Stress und Schmerzen bei Blutabnahmen oder Impfungen zu ersparen. Oft empfehlen Kinderärzte, das Kind gezielt vom Pikser abzulenken, je nach Alter zum Beispiel mit Schnuller, Bilderbuch, Lieblingsspielzeug, einer lustigen Geschichte, Musik oder dem Handy. Dass Ablenkung tatsächlich hilft, bestätigen die Untersuchungsergebnisse kanadischer Forscher.

Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass Vorschulkinder besser auf eine Impfung reagierten, wenn Eltern vor dem Piks zum Beispiel ein Smartphone zückten oder Pläne für die Zeit nach dem Arzttermin besprachen. Wichtig sei es zudem, Verhaltensweisen zu fördern, mit denen sich ein Kind selbst beruhigen könne, zum Beispiel tiefes Durchatmen. Unbedingt vermeiden sollten Eltern hingegen negative und belastende Verhaltensweisen.

Immer wieder zu betonen, dass „nichts passieren werde“, verängstige ein Kind eher, anstatt es zu beruhigen. Auch Aussagen wie „starke Mädchen weinen nicht“ seien kontraproduktiv. Generell sind kleine Kinder oft weniger ängstlich, wenn sie geborgen auf dem Schoß von Mutter oder Vater sitzen. Auch für größere Kinder ist es meist beruhigender, wenn im Sitzen gespritzt wird, denn in aufrechter Position fühlen sie sich nicht so ausgeliefert und hilflos wie im Liegen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 03/18 ab Seite 50.

Andrea Neuen, Freie Journalistin

Eine Spritze kann schmerzhaft sein. Die Pein wird jedoch als weniger stark wahrgenommen, wenn Betroffene während der Injektion wegschauen. Das hat eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Charité Berlin gezeigt, in der die Teilnehmer elektrische Schmerzreize als unangenehmer empfanden, wenn sie zusahen, wie eine „virtuelle Hand“ gepikst wurde. Diese Einschätzung der Probanden erfolgte sowohl subjektiv als auch objektiv, gemessen an der Pupillenerweiterung. Die Pupillen der Studienteilnehmer weiteten sich stärker, wenn sie Injektions-Videos sahen. Vor diesem Hintergrund scheint der ärztliche Rat, nicht hinzuschauen, wenn die Spritze kommt, durchaus sinnvoll zu sein.

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