Brot in der Tüte © camacho9999 / iStock / Getty Images
Der Weg eines Kunden sollte nicht wegen eines Brötchens in die Apotheke führen, sondern wegen der Beratungsleistung. © camacho9999 / iStock / Getty Images

Politik

OFENKRUSTI ODER TASCHENTÜCHER

Im Juni hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe eine mit großer Spannung erwartete Entscheidung zu Werbegaben in der Apotheke getroffen. Die Arzneimittelpreisverordnung legten die Richter dabei unerwartet streng aus.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Gleich zwei Verfahren hatte die Wettbewerbszentrale gegen Apotheker angestrengt. Im ersten Verfahren, das als „Ofenkrusti-Prozess“ bekannt wurde, hatte die beklagte Apothekerin bei Rezepteinlösung Gutscheine über zwei Wasserweck oder ein Ofenkrusti in der benachbarten Bäckerei mitgegeben. Im zweiten Verfahren hatte der Apotheker Ein-Euro-​Gutscheine vergeben, die für weitere Einkäufe in der Apotheke genutzt werden konnten.

Gleiche Preise – überall und für jeden Die Richter haben die Arzneimittelpreisverordnung konsequent ausgelegt und entschieden, dass in Deutschland Gleichpreisigkeit bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln herrscht – das heißt, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel von Oberstdorf bis Flensburg den gleichen Preis haben. Dies darf nach Ansicht der Richter nicht durch Zugaben – und seien es auch nur Taschentücher, wenn dem Kunden mal grad die Nase läuft – unterlaufen werden. Dieser Entscheidung der Richter liegt die Annahme zugrunde, dass es in keiner Weise zu einer Beeinflussung der Kunden durch Zugaben oder Geschenke bei der Wahl der Apotheke kommen darf. Seitdem sind alle Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel unzulässig, die die Preisvorschrift des Arzneimittelgesetzes unterwandern.

Das Heilmittelwerberecht wurde entsprechend verschärft – Bußgelder sind bei Verstoß möglich. Dieses Urteil wurde recht kontrovers aufgenommen. Viele fanden es absurd, dass künftig nicht mehr das obligatorische Päckchen Taschentücher mitgegeben werden darf, wenn man von einer Erkältung oder Allergie geplagt vor dem HV-Tisch steht. Die Verwunderung wurde noch durch ein vergangenes Urteil vor einigen Jahren bestärkt, das Zugaben bis zu einem Euro erlaubt hatte. Auch im Internet wurde in vielen Foren das Urteil diskutiert: kleinkariert und anachronistisch schimpften es einige. Immerhin ist nach Auffassung der Richter die Abgabe einer Apotheken-Zeitung und die Erstattung der Busfahrkarte an die Kunden erlaubt.

Mit Qualität der Beratung werben, nicht mit Taschentüchern Aller Kritik muss entgegengestellt werden, dass das Urteil klarstellt, wie wichtig die Gleichpreisigkeit ist und unterstreicht, dass ein ruinöser Preiswettbewerb bei Rx-Arzneimitteln sowohl die flächendeckende Versorgung gefährdet als auch für die Verbraucher in letzter Konsequenz zur Ausbeutung führen kann. Ein EU-rechtliches Problem sahen die Richter nicht in dem Sachverhalt, da die Vorschriften der Arzneimittelpreisverordnung und des Heilmittel-Werbegesetzes nur innerhalb Deutschlands gelten und keinen Einfluss auf den freien Warenverkehr haben. Die Frage, die sich die Apotheker stellen sollten, ist, ob es wirklich der richtige Weg ist, mit einem Gutschein für ein Brötchen oder anderen Zugaben für sich werben zu müssen.

Ist das wirklich mit einem Studium der Naturwissenschaften, zu denen die Pharmazie schließlich zählt, vereinbar? Apotheker waren nie Krämer und umgekehrt waren Krämer nie auch gleichzeitig Apotheker – ganz gleich was Drogeriemärkte mit der Erweiterung ihres Sortiments auf pharmazeutische Produkte den Bürgern weis machen wollen. Das enorme Wissen, das ein Apotheker bei seinem Studium erworben hat – und sich natürlich auch PTA während ihrer Ausbildung aneignen – wird in eine direkte Kundenberatung umgesetzt, die im heutigen Unternehmertum selten geworden ist und individuell auf die Gesundheit des Menschen eingeht. Um diese Form der gesundheitlichen und pharmazeutischen Betreuung zu sichern, wurden auch jene Gesetze auf den Weg gebracht, die nun auf die beiden genannten Verfahren angewendet wurden.

Gleiches Recht für alle? Einigen stößt die Formulierung sauer auf, dass es mit dem Urteil zu keiner Inländerdiskriminierung komme. Doch wenn für Apotheken vor Ort mit diesem Urteil die Vereinheitlichung von Arzneimittel- und Wettbewerbspreisrecht klargestellt wurde, fragt man sich, warum gleiches nicht auch für Versandapotheken aus dem EU-Ausland gilt. Diese dürfen bisher Boni und Zugaben zur Kundenbindung nutzen. Und das soll dann die flächendeckende Versorgung gewährleisten (das politische Totschlagargument gegen ein Rx-Versandverbot)?

Im neuen Apothekenstärkungsgesetz, das 2020 in Kraft treten soll, wird zumindest die Gleichpreisigkeit von Rx-Arzneimitteln für die Apotheken beschlossen. Es bleibt wichtig, sich als Apotheke durch Service, Freundlichkeit und letztlich pharmazeutisches Fachwissen – direkt und persönlich – hervorzutun. Denn der Weg eines Kunden sollte nicht wegen eines Brötchens in die Apotheke führen, sondern wegen der Beratungsleistung, die sie dort erhalten. Das Urteil der Richter in Karlsruhe ist eine Klarstellung auf Auswüchse, die der Wettbewerb manchmal so mit sich bringt und so gesehen begrüßenswert.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/19 ab Seite 78.

Mira Sellheim, Apothekerin und Delegierte der Landesapothekerkammer Hessen

×