Wirkstoffe – historisch beleuchtet

O – WIE ORALE REHYDRATATIONSLÖSUNG

In ausreichender Menge getrunken, kann die einfache und kostengünstige Lösung selbst bei schweren Durchfallerkrankungen Leben retten.

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Diarrhö ist keine Krankheit, sondern ein Symptom, dessen Ätiologie durch Nahrungsmittelgifte, bakterielle und andere mikrobielle Infektionen hervorgerufen wird und tödlich enden kann. Mitte der 1920er-Jahre wurde erstmals die Dehydratation – der Verlust von Elektrolyten – als Ursache der hohen Todesrate bei der gefürchteten Cholera erkannt. Mittels intravenöser Infusionen wurde eine effektive Rehydratationstherapie entwickelt.

Wegen fehlender Infrastruktur war diese aber in den stark von Cholera- und Ruhrepidemien betroffenen Entwicklungsländern praktisch undurchführbar. So lag die Mortalitätsrate Erkrankter bei etwa 50 Prozent, viele hiervon Kleinkinder. In den 1940er-Jahren erforschte der Kinderarzt Dr. Daniel C. Darrow von der Yale-Universität die Elektrolytverluste bei Diarrhö und entwickelte die physiologischen Grundlagen der Rehydratation. Seine Forschungen führten schon zu Rehydratationslösungen, die im Wesentlichen Natrium, Kalium und Glukose enthielten.

Auch zog Darrow schon den Schluss, dass eine solche Lösung, oral verabreicht, womöglich helfen könne, den Wasser- und Elektrolytverlust auszugleichen und damit die lange Infusionstherapie zu verkürzen. Seine intravenös-orale Kombinationstherapie senkte die Letalität schwerer Diarrhöen bei Säuglingen auf unter fünf Prozent – ein Rekord! Der Gedanke an eine alleinige orale Therapieform kam ihm aber noch nicht.

Die gezielte Suche Der schwedische Arzt Per Selander postulierte in den 1950er-Jahren Karottensuppe als mögliche effektive Therapie, andere schworen auf Bananen oder wollten der Diarrhö nicht symptomatisch auf den Grund zu gehen, sondern mittels Antibiotikatherapie die mögliche Ursache bekämpfen. 1961/62 versuchte Dr. Robert Allan Phillips (1906 bis 1976), der viel Erfahrung mit einer von ihm entwickelten intravenösoralen Kombinationstherapie hatte, im Rahmen einer Cholerapandemie auf den Philippinen erstmals die alleinige orale Rehydratation. Leider scheiterte er durch die Gabe zu hoch konzentrierter Lösungen, was zum Herztod der Versuchspersonen führte.

1962 begann eine Gruppe von Ärzten und Medizinstudenten in Dhaka/Ost-Pakistan, und Kalkutta/Indien, an einer effektiven Therapie der Cholera-induzierten Diarrhö zu arbeiten. Ziel war es, eine einfache Lösung aus Zucker, Salz und Wasser zu entwickeln, um das Leben von Tausenden dehydrierter Erwachsener, Jugendlicher und Kindern während saisonaler Choleraepidemien zu retten. Innerhalb von sechs Jahren wurde der physiologische Wirksamkeitsnachweis erbracht. Die etablierten Paradigmen zur Diarrhötherapie wurden dabei auf den Kopf gestellt.

Insbesondere wurde die bis dahin gültige Hypothese, eine „Vergiftung“ der Natrium-Kalium-Pumpe in den Zellmembranen der Darmschleimhaut sei Ursache der hohen Elektrolytverluste, widerlegt. Zudem wurde bewiesen, dass Glukose die Natriumaufnahme in die Zellen verbessert. 1968 führten Dr. David Nalin und Dr. Richard Cash (beide geb. 1941) einen ersten großen Feldversuch in Matlab/Ost-Pakistan, unter den realen Bedingungen eines Entwicklungslandes erfolgreich durch. Sie bewiesen die Effizienz der Oralen Rehydratationstherapie (ORT) sowohl hinsichtlich Letalität als auch Praktikabiliät unter widrigen infrastrukturellen Bedingungen.

Die Massenanwendung Ab den frühen 1970er-Jahren produzierten UNICEF und die WHO riesige Mengen Orale Rehydratationssachets und verteilten sie in den Endemiegebieten. Der Anteil tödlicher gemeldeter Cholerafälle liegt mittlerweile unter drei Prozent. Auch bei den meisten anderen Diarrhöformen wurde die gute ORT-Wirksamkeit nachgewiesen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/12 auf Seite 20.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin/Journalistin

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