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Repetitorium

NEURODERMITIS – TEIL 2

Wie diagnostiziert der Arzt eine Atopische Dermatitis? Was kann Neurodermitikern vorbeugend empfohlen werden? Und wie kann sich die Apotheke sinnvoll in Prävention und Therapie einbringen? Es gibt keine Heilung im eigentlichen Sinn.

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„Deine Haut sind die wichtigsten zwei Quadratmeter Deines Lebens.“ Mit diesem Slogan warben Unfall- und Krankenkassen vor einiger Zeit für einen besseren Hautschutz. Neurodermitiker werden angesichts ihrer vielschichtigen Leiden diesem Slogan sicherlich voll zustimmen. Denn schon allein die Diagnosestellung durch den Arzt ist alles andere als einfach. Es gibt keinen Labortest, mit dem das Atopische Ekzem sicher von anderen Ekzemformen abzugrenzen ist.

Ein gängiges Klassizifizierungssystem fußt auf den vier Hauptkriterien:

  • massiver Juckreiz,
  • Ekzem mit typischer Form, Struktur und Verteilung,
  • chronischer und/oder wiederkehrender Verlauf,
  • positive Eigen- beziehungsweise Familienanamnese für Atopie.

Daneben können erhöhte Serum-IgE-Werte, positive Hautreaktionen auf mögliche Allergene in Prick- und Intrakutantest sowie weißer Dermografismus Hinweise sein. Dennoch existieren eine Reihe seltener Erkrankungen (z. B. kongenitale Ichtyosen, wie das Netherton Syndrom, oder bestimmte Immundefekt-Syndrome), die dem Atopischen Ekzem klinisch in einzelnen oder mehreren Aspekten täuschend ähneln.

Der Arzt hat bei der Diagnosestellung also große Sorgfalt walten zu lassen. Umgekehrt sollte in der Apotheke bei Kunden, die nach unterstützenden Möglichkeiten zur Neurodermitisbehandlung fragen, immer hinterfragt werden, ob die Erkrankung ärztlicherseits abgeklärt wurde oder es sich um eine reine Eigendiagnose des Betroffenen handelt.

Ist Neurodermitis gestellt, gilt: Die Veranlagung für atopische Erkrankungen tragen Betroffene ein Leben lang. Es gibt keine Heilung im eigentlichen Sinn. Ziel jeder Behandlung ist es, die Symptome zum Verschwinden zu bringen oder zumindest zu lindern und symptomfreie Phasen zu stabilisieren.
All dies ist nicht mit einem einzelnen Medikament oder einer einzelnen Maßnahme möglich.

Die Therapie bei Neurodermitis besteht idealerweise aus einer Vielzahl von Bausteinen, die zum Teil auch ausprobiert werden müssen. Denn was dem Einzelnen hilft, kann sehr verschieden sein. Studien haben gezeigt, dass Patienten besser mit ihrer Erkrankung zurecht kommen, wenn sie gut informiert sind. Idealerweise erarbeiten Arzt und Patient beziehungsweise dessen Eltern ein individuelles Konzept, mit dem die Krankheit gut kontrolliert werden kann. Betroffene erfahren dabei, welche Maßnahme in welcher Situation am besten hilft und können sich entsprechend verhalten.

Als Grundregel gilt bei Neurodermitis: Auslöser vermeiden, die Haut gut pflegen und bei Bedarf die Entzündung mit wirkstoffhaltigen Cremes bekämpfen.

Präventionsmaßnahmen Säuglinge mindestens vier Monate voll Stillen: Zur Vorbeugung kindlicher Atopie bei hohem Atopierisiko ist der prophylaktische Wert des Stillens (ohne Zufütterung) gesichert. Risikokinder können nach dem Abstillen hypoallergene Säuglingsnahrung (HA-Nahrung) erhalten. Sojaprodukte sind zu meiden, da sie stark allergen wirken. Ferner sollte die Mutter während der Stillperiode wichtige Allergene wie Kuhmilch und -produkte, Eier, Fisch und Erdnüsse meiden.

Besondere Diätempfehlungen für Schwangere, um eine Atopische Dermatitis beim Kind zu verhindern, existieren nicht. Besteht jedoch ein hohes familiäres Risiko für Neurodermitis oder bekannte Allergien bei den Eltern, sollte die Schwangere – nur in Absprache mit dem Arzt – eventuell auf die genannten Produkte verzichten. Das Risiko einer Mangelernährung darf nicht unterschätzt werden. Ob Probiotika als Ergänzung der Darmflora ein sinnvoller Zusatz in der Ernährung von Schwangeren und Säuglingen sind, ist noch umstritten.

»Die Veranlagung für atopische Erkrankungen tragen Betroffene ein Leben lang.«

Untersuchungen zeigen, dass Atopiker weniger Bifidobakterien im Darm beherbergen als Gesunde. Feste Nahrung für die Säuglinge sollte möglichst spät und dann mit Karotte, Kartoffeln und Banane begonnen werden. Weitere gesicherte prophylaktische Maßnahmen sind:

  • Rauchverbot während und nach der Schwangerschaft, am besten generell im Haus.
  • Verzicht auf pelztragende Haustiere, mindestens für die ersten zwei Lebensjahre.
  • Haustaubmilbenbekämpfung: statt Teppich besser wischbarer Korkfußboden, Plüschtiere häufig waschen und ein Mal pro Woche über Nacht in die Gefriertruhe legen.
  • Vermeiden von Nahrungsmittelallergenen, die einen akuten Krankheitsschub auslösen können. Bei etwa 30 bis 40 Prozent aller Kinder mit Atopischer Dermatitis treten nach Aufnahme bestimmter Lebensmittel, wie Milch, Ei, Erdnüssen, Fisch, Juckkrisen auf, die zu heftigem Kratzen und letztlich auch Ekzemen führen. Bei bestätigter Allergie sollten diese Nahrungsmittel konsequent gemieden werden. Im Handel angebotene Neurodermitikerdiäten sind jedoch ungeeignet. Auch Ernährungsempfehlungen wie generell Schweinefleisch, Tomaten oder tierische Proteine zu meiden, sind nicht haltbar, so die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Allerdings sollte beim Naschen beachtet werden, dass viele Süßigkeiten eine Reihe von Pseudoallergenen wie Farb-, Aroma- und Konservierungsstoffe enthalten.
  • Manchmal sinnvoll: Aufenthalt in allergenarmer Umgebung (Meer oder Hochgebirge).

BehandlungsprinzipienGrundlage jedweder sinnvollen Therapie beim Atopischen Ekzem ist:

  • die Basistherapie, also die Kompensation der defekten Hautbarriere mit rückfettenden und rehydrierenden Externa. Diese Basispflege dient dazu, die trockene Haut feucht und geschmeidig zu halten und ihre Schutzfunktion zu verbessern. Es gibt allerdings kein Externum, dass für alle Neurodermitiker und für alle Stadien der Erkrankung jederzeit gleichermaßen geeignet wäre. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass Patienten mit Atopischer Dermatitis nur eine Salbe „für alle Fälle“ verordnet wird. Durch eine ungeeignete Salbengrundlage oder das Nichtanpassen der häufig als „Hautpflege“ verharmlosten Basistherapie an ein geändertes Ekzemstadium, kann jedoch sogar eine Verschlechterung provoziert werden. Die Hautpflege ist deshalb an das Ekzemstadium, seine Lokalisation, Alter des Neurodermitikers und sogar an die Jahreszeit anzupassen.
  • die Vermeidung von Hautinfektionen, da die Besiedelung mit Bakterien gerade bei Atopie eine ständige Reizquelle für das Immunsystem ist. Infektionen können zudem zu ernsthaften Komplikationen führen. Schon eine gute Basistherapie ist eine wichtige Voraussetzung, um die Infektionsneigung zu vermindern. Durch den zusätzlich gezielten Einsatz antimikrobiell wirksamer Substanzen kann die Keimzahl auf der Haut reduziert und dadurch die Infektionsrate deutlich vermindert werden.
  • die Re-Balancierung des Haut-Immunsystems, indem überstarke Entzündungsreaktionen und Juckreizattacken bekämpft werden. Entzündungshemmende sowie juckreizstillende Substanzen helfen hier. Es werden durch sie nicht nur der Juckreiz gemindert sowie Krankheitsschübe beendet, sondern sogar neue Ekzemschübe verhindert.

Stadienabhängige BasistherapieFür die Behandlung gilt das Prinzip: Erst das Feuer löschen – mit Wasser! Dann die Barriere wieder aufbauen – mit Lipiden und Feuchthaltefaktoren wie Glycerol, Dexpanthenol und/oder Harnstoff.

In einer akuten Ekzemphase mit ausgedehnter Rötung, starkem Juckreiz und insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern stark nässenden Hautabschnitten (vorzugsweise im Gesicht) gilt es die Haut zu kühlen und auszutrocknen. Es gilt die Maxime: „feucht auf feucht, trocken auf trocken“. Feuchte kühlende Umschläge, etwa ein Aufguss von unparfümiertem schwarzem oder grünem Tee, für 24 bis 36 Stunden auf stark nässenden Hautbereichen, wirkt adstringierend, antibakteriell und juckreizstillend. Nach ein bis zwei Tagen kann dann meist auf eine wasserreiche Salbe (Unguentum emulsificans aquosum oder eine hydrophile Creme) übergegangen werden.

Tipps für den Umgang mit Neurodermitikern
+ Beim ersten Kontakt ein ausführlicheres Gespräch über den Charakter der Erkrankung führen. Oft herrschen Vorurteile über die Ursachen („rein seelisch“, nur Ernährung, Erbkrankheit etc.).
+ Dem Betroffenen beziehungsweise seinen Eltern vermitteln, dass die Erkrankung durch Zusammenspiel vieler Einzelfaktoren (beispielsweise: Trockene Haut, Allergieneigung, Nahrungsmittel, Klimafaktoren, saisonale Faktoren, Stress etc.) entsteht und kein Faktor allein ursächlich ist.
+ Eltern neigen oft zu „Übertherapien“, wie etwa Spezialdiäten, Psychotherapie, multiple paramedizinische Hilfsmittel (Tees, „Brottrunk“, Bioresonanztherapie, Auspendeln von Lebensmitteln) etc. Auf diese Vorstellungswelt von Eltern sollte sanft regulierend eingegangen werden. Statt Aussagen wie „das bringt doch nichts“, hilft diesen Eltern, die aktiv gegen die Erkrankung etwas tun wollen, ein konkreter Behandlungsplan mit Präventivmaßnahmen und einer klaren Therapieoption.
+ Schulung bezüglich der Hautpflege ist von entscheidender Bedeutung. Konkrete Produktempfehlungen aussprechen, wenn möglich Proben mitgeben.

Bei sich ausweitenden Ekzemen ohne Flüssigkeitsabsonderung hilft besonders die „fett-feuchte“ Behandlung mit Trikotschlauchverbänden. Die Schlauchverbände bestehen aus feuchtigkeitsresorbierenden, elastischen, aber rutschfesten Viskosematerialien. Sie sind waschbar, wieder verwendbar und es gibt sie in verschiedenen Größen für Rumpf, Arme, Beine und Kopf. Nachdem die Verbände abgemessen und zugeschnitten sind, wird direkt auf die Ekzemhaut eine hydrophile Creme (Basiscreme) aufgetragen.

Bei drei bis fünf Mal täglichem Verbandwechsel wird häufig einmal eine Glukokortikoid-haltige Creme (Säuglinge von drei bis sechs Monaten: 0,1 Prozent Prednicarbat; Säuglinge von sieben bis zwölf Monate: 0,15 Prozent Prednicarbat; ältere Kinder: 0,25 Prozent Prednicarbat) für diese halbokklusive Behandlung verwendet. Über die eingecremte Region wird der zurechtgeschnittene Schlauchverband gestülpt, der zuvor in lauwarmes Wasser eingelegt und ausgewrungen wurde. Als äußere Schicht wird dann nochmals ein weiterer, trockener Schlauchverband angelegt.

Alle vier bis sechs Stunden wird dieser feuchte Verband erneuert. Bei Säuglingen sollte die Anwendung nicht zeitgleich am ganzen Körper erfolgen, sondern abwechselnd an Extremitäten und Stamm. Im akuten Ekzemstadium erfolgt diese Anwendungsform drei Tage „rund um die Uhr“, anschließend bei Bedarf noch weitere drei bis fünf Nächte. Auch Juckreizattacken werden mit dieser Technik gut unterbunden und gelindert. Manchmal wird diese Technik auch etwas freier und weniger effektiv im Sinne des „feuchten Schlafanzugs“ (eine Lage feuchter Schlafanzug oder feuchtes T-Shirt, darüber eine Lage trockener Schlafanzug beziehungsweise T-Shirt) durchgeführt.

Ist zusätzlich allerdings eine bakterielle (oder virale) Hautinfektion vorhanden, was häufig zur Ausbreitung des Ekzems beiträgt, muss der Arzt abwägen, ob eine ergänzende antimikrobielle Therapie lokal erfolgt (etwa mit Chlorhexidindigluconat-Creme 1 % NRF 11.116., Methylrosaniliniumchlorid-Lösung 0,1 % NRF 11.69., wässriger Eosin-Dinatrium-Lösung 0,5 % NRF 11.95., lipophile Triclosan-Creme 1 bis 2 % NRF 11.122.) oder eher eine systemische Antibiotikagabe (Cephaloporine der ersten Generation wie Cefadroxil, Cefalexin, Cefaclor, Amoxicillin/Clavulansäure, Amoxicillin/Sulbactam beziehungsweise bei Penicillinallergie Clindamycin, Fusidinsäure, Erythromycin) notwendig wird.

Ist die Ekzemphase subakut bei noch deutlicher Rötung und Juckreiz erfolgt ein allmählicher Übergang von überwiegend wässrigen Grundlagen zu stärker rückfettenden. Lipophile Cremes oder Lipolotionen, bei weiter rückläufigem Entzündungszustand auch amphiphile Cremes sind hier sinnvoll.

Da der Haut von Atopikern bereits von Geburt an natürliche Feuchthaltefaktoren fehlen, ist dieser Mangel entsprechend durch die Auswahl geeigneter Pflegepräparate mit feuchtigkeitsbindenden Zusätzen auszugleichen. Feuchthaltefaktoren (Moisturizer), insbesondere zehn Prozent Glycerol sowie fünf Prozent Dexpanthenol sind sinnvoll. Meist empfehlen die Ärzte hier zudem für sieben bis zehn Tage einmal täglich auf die Haut aufzutragende Glucocorticoide beziehungsweise topische Immunmodulatoren (Immunsuppressiva: Tacrolimus, Pimecrolimus) zwei Mal täglich für 14 Tage. Beide Therapieprinzipien werden dann „ausgeschlichen“, also nicht abrupt abgesetzt und durch andere antientzündlich wirkende Externa ersetzt.

ZUSATZINFORMATIONEN
In der chronischen Ekzemphase bei der insbesondere die flächenhafte Verdickung und Vergröberung der Haut (Lichenifikation) sowie eine verminderte Talgabsonderung der Haut (Sebostase) im Vordergrund stehen, muss durch intensive, rückfettende Hautpflege der Hauttrockenheit entgegen gewirkt werden. Insbesondere Cremesalben und Salben mit einem Lipidanteil von 40 bis 70 Prozent kommen hier zum Tragen. Gerne werden als Moisturizer im ersten und zweiten Lebensjahr noch zehn Prozent Glycerol sowie fünf Prozent Dexpanthenol, dann Glycerol und drei bis fünf Prozent Harnstoff (Vorschulalter), ab sechs Jahren bis zu zehn Prozent Harnstoff zugesetzt.

Während Urea mit drei Prozent die Granulation fördert, wirkt es in 5-prozentiger Konzentration hydratisierend. Ist Urea zu zehn Prozent in der Formulierung eingearbeitet, wirkt es zusätzlich keratolytisch, hilft also abgestorbene Hautzellen, eine Hornsschicht abzustoßen. Bei Säuglingen und Kleinkindern führen Harnstoffzubereitungen häufig zu Brennen und Missempfindungen, weshalb ihr Einsatz hier noch nicht sinnvoll ist. Ältere Kinder vertragen Harnstoff hingegen – außer im Gesichtsbereich und bei akuten Ekzemverschlechterungen – ausgesprochen gut.

Den ersten Teil finden Sie hier, und im letzten Teil geht es unter anderem um Therapiemöglichkeiten zur Juckreizstillung, Hemmung der Hautentzündung sowie der Behandlung schwerster Ekzemformen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/13 ab Seite 88.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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