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Politik

NEUE HERAUSFORDERUNG

Die Corona-Pandemie hat unser Leben total umgekrempelt. Es gibt seit vier Monaten fast täglich neue Erkenntnisse über das Virus und damit verbunden auch ganz neue Aufgaben in unserem Apothekenalltag.

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Wir haben unzählige Gespräche geführt, Kun- den beruhigt, Ängste genommen und manchmal einfach nur zugehört. Die Kontaktsperre und Ausgangsbeschränkungen, die Schließung aller Schulen, Kindertagesstätten, Gaststätten und Kultureinrichtungen bedeutete für alle eine massive Einschränkung. Alleinlebende hatten dann nur noch beim Einkauf von Lebensmitteln Kontakt zur Außenwelt. Und natürlich beim Besuch der Apotheke. Dies ist die eine Seite, die in der Apotheke oft aufgefangen wird. Die andere Seite tritt nicht so offen zu Tage.

Es geht um die erschreckende Zunahme von Gewalt und sexuellem Missbrauch in Familien. Es ist kaum zu glauben, aber jede dritte Frau ist von Gewalt betroffen. Die Gewalt findet zu Hause statt, an einem Ort, an dem man sich eigentlich sicher fühlen sollte. Räumliche Enge, die Homeoffice-Situation, verbunden mit den quengelnden Kindern, die nicht aus dem Haus und auf den Spielplatz dürfen, das ist sicher für alle eine anstrengende Situation. Ist Gewalt in der Partnerschaft schon vorgekommen, ist die Spirale der Gewalt meist nicht mehr aufzuhalten.

Die Apotheke genießt Vertrauen Die Zunahme der Beratungen an den Hilfetelefonen macht deutlich, wie hoch der Bedarf ist – die wahrscheinlich hohe Dunkelziffer noch nicht eingeschlossen. Apotheken mit einem hohen Anteil an Mitarbeiterinnen sind prädestiniert dafür, besonders sensibel an die Betroffenen herantreten zu können. Das soll nicht heißen, dass unsere männlichen Kollegen nicht genauso behutsam mit dem Thema umgehen können, aber Frauen sind erfahrungsmäßig häufig stärker sensibilisiert, diese Anzeichen zu erkennen.

Noch dazu fällt es den betroffenen Frauen meist leichter, sich einer Frau anzuvertrauen. Die ABDA hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe und dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben eine gemeinsame Aktion gestartet. Das flächendeckende Netz von 19 000 Apotheken ist aufgerufen sich an der Aktion zu beteiligen. Dabei geht es vor allem darum Infomaterialien über das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ auszulegen. Nicht nur Betroffene selbst, auch deren soziales Umfeld oder Fachkräfte können dieses Angebot nutzen und den Frauen einen Weg aus der Gewalt zeigen.

Hilfe nach einer Vergewaltigung Oft findet man auch vor Ort in den „Frauenbüros“ der einzelnen Städte viel Informationsmaterial, das auf die Bedürfnisse im direkten Umfeld zugeschnitten ist. Frauen, deren Situation so eskaliert ist, dass sie ein Frauenhaus aufsuchen müssen, werden in Einrichtungen untergebracht, die weit entfernt von ihrem Zuhause liegen. Das soll die Gefährdung eines Übergriffes erschweren. Sie werden niemals in einem Frauenhaus in der eigenen Stadt untergebracht. Es kommt immer wieder vor, dass Frauen nach einer Vergewaltigung den Täter nicht anzeigen möchten. Auch hier gibt es seit einiger Zeit ein Projekt: Soforthilfe nach Vergewaltigung.

Dieses Angebot ermöglicht Frauen sich medizinisch versorgen zu lassen und die Spuren zu sichern ohne Einschalten von Polizei und Staatsanwaltschaft. Danach haben die Betroffenen ein Jahr Zeit, sich zu überlegen, ob sie Anzeige erstatten wollen oder nicht. Bei Kindern beginnt die Jahresfrist mit dem 18. Geburtstag. Leider ist das Modell zurzeit nur in Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz umgesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Bundesländer hier bald nachziehen. Zivilcourage ist gerade im Bereich von Gewalt – sei es bei Erwachsenen oder Kindern – dringend erforderlich. Sie kann Leben retten und bietet einen Ausweg aus der Spirale von Gewalt und Misshandlung. Nutzen Sie die Materialien auch in Ihrer Apotheke, denn ein niedrigschwelligeres Angebot für Betroffene als in den öffentlichen Apotheken gibt es nicht.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 07/2020 ab Seite 66.

Mira Sellheim, Apothekerin und Delegierte der LAK Hessen

Hilfe für Frauen
Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr kostenfrei und anonym unter der Nummer 0800 0116016 zu erreichen. Informationen bekommt man auch im Internet unter http://hilfetelefon.de und unter www.frauen-gegen-gewalt.de.

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