Am Bildrand liegen mehrere verschiedene leere Arzneimittelblister. In der Mitte liegen in einem Kreis verschiedene Tabletten und Kapseln.© vadimrysev / iStock / Getty Images Plus
Nehmen Apothekenkundinnen oder -kunden mindestens fünf verschiedene Arzneimittel ein, können sie im Rahmen der pharmazeutischen Dienstleistungen eine Medikationsanalyse erhalten – aber nicht durch PTA.

Neue Apothekenservices

PHARMAZEUTISCHE DIENSTLEISTUNGEN BRINGEN PTA NICHT WEITER

Die Krankenkassen müssen nach einem Schiedsspruch fünf neue pharmazeutische Dienstleistungen in Apotheken finanzieren. Zwei Angebote können auch PTA erbringen. Ein echter Fortschritt ist das aus Sicht des Bundesverbands PTA nicht.

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Carmen Steves betont: „Grundsätzlich halte ich die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) für etwas Positives, weil sie die Bedeutung von Apotheken unterstreichen. Doch die Vorsitzende des Bundesverbands PTA (BVpta) schränkt ein: „Es fehlt auch hier die Aufwertung des PTA-Berufs und die Einbindung von PTA in weitere Leistungen in Verbindung mit Weiterqualifizierungen.“

Es gebe viele Pharmazeutisch-Technische Assistentinnen, die bereit wären, mehr Verantwortung zu übernehmen: „Es wäre schön, wenn der wichtigste Fachberuf der Apotheke mehr gefördert würde.“

Fünf vergütete Dienstleistungen

Die pDL wurden am 10. Juni durch einen Schiedsspruch auf den Weg gebracht. Gesetzliche Grundlage für die fünf neuen Angebote ist das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz. Ende Juni würdigte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening, die pDL-Entscheidung als „Meilenstein“. Aber nun müsse man die Apothekerinnen und Apotheker vor Ort dabei begleiten und dazu motivieren, denn: „Es liegt auch große Verantwortung auf unseren Schultern.“ Von den fünf pDL können PTA allerdings nur zwei übernehmen:  

  1. Wenn Kundinnen und Kunden einen ärztlich diagnostizierten Bluthochdruck haben und Blutdrucksenker einnehmen, ist eine standardisierte Risikoerfassung von hohem Blutdruck einmal im Jahr in Apotheken möglich, nach einer Medikamentenumstellung auch früher. Honoriert wird die Kontrolle mit 11,20 Euro netto.
     
  2. Ab einem Alter von sechs Jahren dürfen Atemwegserkrankte, die Medikamente zum Inhalieren erhalten, zur standardisierten Einweisung in die korrekte Arzneimittelanwendung und zum Üben der Inhalationstechnik ebenfalls Unterstützung in der Apotheke suchen. Hier beträgt die Vergütung 20 Euro netto.

Die drei weiteren, anspruchsvolleren Dienstleistungen liegen in der alleinigen Verantwortung von Apothekerinnen und Apothekern. Sie umfassen verschiedene Medikamentenchecks: eine erweiterte Medikationsberatung, wenn Kunden fünf oder mehr verordnete Arzneimittel einnehmen. Eine Beratung, wenn sie wegen einer Krebserkrankung neue Tabletten oder Kapseln erhalten. Oder eine, wenn sie nach einer Organtransplantation neue Medikamente verordnet bekommen, um die körpereigene Abstoßungsreaktion zu hemmen (Honorar: jeweils 90 Euro netto).

Wozu die pDL, um die es jetzt geht, eigentlich gut sein sollen, hat die ABDA Anfang 2021 in einem Grundsatzpapier festgehalten:
+ Um das Risiko der Polymedikation zu verkleinern. 42 Prozent der über 65-Jährigen in Deutschland nehmen mindestens fünf Arzneimittel täglich ein. Bei den 75- bis 80-Jährigen sind es bei jedem Dritten sogar mehr als acht täglich. Betroffen sind von diesem Thema also rund 7,6 Millionen Rentnerinnen und Rentner. Unerwünschte Effekte sind schädliche Wechselwirkungen bis hin zu notwendigen Krankenhauseinweisungen. Strukturierte Analysen in der Apotheke könnten, so die ABDA, helfen gegenzusteuern.
+ Um die mangelnde Therapietreue zu verbessern. Vieles, was Ärztinnen und Ärzte verordnen, wird nicht richtig oder regelmäßig eingenommen: Aus Sorge vor Nebenwirkungen, aber auch, weil es kompliziert ist. Auch hier könnten laut ABDA strukturierte Gespräche mit dem Patienten in der Apotheke Besserung bewirken.
+ Um Vorsorge und Früherkennung von Volkskrankheiten auszubauen. Typ-2-Diabetes bleibt oft über Jahre unentdeckt. Im niedrigschwelligen Kontakt in der Apotheke ließe sich manches Risiko bestimmen, so die ABDA.

Zu wenig Personal für zusätzliche Angebote

„Ich frage mich, wer diese pharmazeutischen Dienstleistungen alle übernehmen soll“, kommentiert Carmen Steves. „Ich höre aus vielen Apotheken, dass es dafür nicht genug Personal gibt. Viele Teams stehen unter großem Druck. Teilweise werden Standorte geschlossen.“ Die BVpta-Vorsitzende fordert: „Wir brauchen Änderungen, Möglichkeiten zur persönlichen Weiterqualifizierung für PTA, damit es überhaupt genügend Menschen für die pDL gibt. Es wäre schlecht, wenn man Wege für neue Leistungen bahnt, und dann können sie nicht angeboten werden.“

Abwertung des PTA-Berufs?

Steves ist nicht die Einzige, die mit gewisser Skepsis auf das neue Angebot blickt.  Eine Autorin des Online-Dienstes „PTA in Love“ hat in einer Berliner Apotheke kritische Töne des Inhabers eingefangen. Apotheker Nico Reinhold kritisierte, angesichts des Fachkräftemangels sei es zu kurz gedacht, dass PTA nur zwei der fünf pDL übernehmen könnten. „PTA sollten endlich Kompetenzen bekommen, die ihrer Ausbildung gerecht werden“, findet er.

Für die Zukunft brauche man zudem Dienstleistungen, die sich am Individualbedarf der Menschen orientierten statt pauschaler Angebote. Reinhold merkte außerdem an: „Patienten mit einer Organtransplantation kann ich bei uns in der Apotheke an einer Hand abzählen. Auf der anderen Seite könnten wir im Bereich Polymedikation oder Bluthochdruck die ganze Straße mit Patien:innen füllen.“

Beim Online-Dienst „Apotheke Adhoc“ ist gar von einem „Verlust für die PTA“ durch die neuen pDL die Rede. Die zwei neuen Beratungsleistungen für PTA seien für diese keine Herausforderung, wird argumentiert: „Nichts, wo sich PTA beweisen könnten. Dabei würde es dem Berufsbild so guttun, endlich mehr Verantwortung übernehmen zu dürfen.“

Und was seien die Folgen, wenn PTA bestimmte Beratungen gar nicht erst übernehmen oder eventuell nicht zu Ende führen dürften? Weil die Abrechnung am Ende an die Leistungserbringung durch Apotheker gekoppelt sei? Schon jetzt würden PTA „von Laien häufig als einfache Verkäufer:innen angesehen – dieses falsche Bild dürfte sich in Zukunft verstärken“.

Arbeitsgruppe soll Zusatzqualifikation planen

All diese Bedenken kann Carmen Steves nachvollziehen. „Weiterbildungen für PTA sind im Gespräch. In Kürze wird eine entsprechende Arbeitsgruppe der ABDA hierzu ihre Arbeit aufnehmen“, berichtet sie. Das Thema ist wichtig. Denn fachkundige Apothekenteams werden auch in Zukunft gebraucht.

„Qualifizierte junge Menschen schauen sich häufig nach einem Studium um“, so die BVpta-Vorsitzende. Mit Blick auf diejenigen, die nicht Pharmazie studieren wollen, aber denen die PTA-Ausbildung nicht reicht, hat der Verband in seiner berufspolitischen Agenda schon Vorschläge gemacht. So ließe sich die Ausbildung staffeln: In einen Berufsfachschulteil und ein abschließendes, bestenfalls berufsbegleitendes (Fach-) Hochschulstudium: „Dann gäbe es auch eine ganz andere Beratungskompetenz, und pharmazeutische Dienstleistungen könnten wirklich durchgeführt werden.“

Geht das Geld für pDL aus?

Steves sieht derzeit noch ein weiteres Problem: Die Finanzierung der pDL. Nach dem Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz vom Herbst 2020 sollen jährlich 150 Millonen Euro von den Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden. „Was, wenn diese 150 Millionen Euro verbraucht sind? Ich muss mich auf das Angebot der Dienstleistungen vorbereiten in der Apotheke, vielleicht Mitarbeitende im Team qualifizieren. Ist das Honorar gedeckelt, macht das womöglich keinen Sinn.“

Hinzu kommt: Rund um das Abrechnungsverfahren wurde festgelegt, wie die Honorare gekürzt werden, wenn die vereinbarten 150 Millionen Euro nicht ausreichen. Dann wird als erstes bei den zwei pDL gekürzt, die PTA erbringen können. Sie haben die Priorität 3 (Blutdruckmessung) und 2 (Einweisung und Übung Inhalationstechnik), die anderen drei Leistungen von Apothekern die Priorität 1.

ABDA-Präsidentin Overwienig hat die Honorarbegrenzung in einem Interview mit der „Ärzte-Zeitung“ eingeräumt: „Die jährlich zur Verfügung stehende Summe ist letztlich gedeckelt... Das ist ganz ähnlich wie bei den Ärzten, deren Honorare auch budgetiert sind.“  Trotzdem plädierte sie dafür, sie anzubieten: „Die einzige Frage, die mich wirklich interessiert, ist, welchen Beitrag wir mit den pharmazeutischen Dienstleistungen jetzt schaffen, um die Arzneimitteltherapie für die Menschen zu verbessern. Daran lohnt es sich, gemeinsam zu arbeiten.“

Quellen:
https://www.abda.de/pharmazeutische-dienstleistungen/ (inklusive Hinweise zur Abrechnung)
https://www.aerztezeitung.de/Politik/BDA-Chefin-Overwiening-Auch-unser-Honorar-ist-gedeckelt-430445.html
https://www.apotheke-adhoc.de/nachrichten/detail/pta-live/pharmazeutische-dienstleistungen-verlust-fuer-die-pta/
https://www.pta-in-love.de/pharmazeutische-dienstleistungen-ein-schritt-in-die-richtige-richtung/

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