© DIE PTA IN DER APOTHEKE
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Berühmte Giftmorde

MORD MIT DEM REGENSCHIRM

Der Dissident Georgi Markow wartet in London auf seinen Bus, als ein Mann mit Regenschirm an ihm vorbeihastet. Er verspürt einen kurzen, stechenden Schmerz in der Wade – und ist vier Tage später tot.

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Nun sind Regenschirme in London nichts Besonderes, daher fällt der Mann auch niemandem so richtig auf. Viel später kommt erst heraus, dass er mit dem Schirm einen Mord begangen hat – und das auf besonders perfide Weise.

Exilant in England Markow lebt in London im Exil. Eigentlich kommt der beliebte Schriftsteller aus Bulgarien. Doch dort hat er sich mit dem Regime überworfen und geht 1969 außer Landes: Erst nach Italien, dann nach London. Hier wettert er aus sicherer Entfernung gegen sein Heimatland und vor allem gegen dessen kommunistischen Herrscher, den Diktator Todor Schiwkow. Als Schiwkow seinen 67. Geburtstag feiert, steht Markow an der Haltestelle Waterloo Bridge, mitten in London. Der Mann, der ihn gerade angerempelt hat, murmelt ein paar Entschuldigungen und hastet davon. Markow denkt sich nichts dabei und fährt nach Hause. Dort wird ihm erst schummrig, dann befällt ihn hohes Fieber und sein Blutdruck gerät außer Rand und Band. Am Unterschenkel hat er einen großen roten Fleck, wie ein Pickel, und an der Jeans ist Blut zu sehen. Markows Frau ruft den Krankenwagen.

Vergiftet – aber womit? Im Hospital stehen die Ärzte ratlos an seinem Bett. Der Patient scheint eine Vergiftung zu haben, aber welche? Der Blutdruck fällt in den Keller, der Puls rast, die Anzahl der weißen Blutkörperchen schießt in die Höhe. In der Notaufnahme erzählt er einem Arzt: „Ich bin vom KGB vergiftet worden und werde sterben, da können Sie nichts mehr tun.“ Wenig später fällt er ins Koma und stirbt. Bei der Obduktion findet man im Unterschenkel des Verstorbenen eine winzig kleine Kugel aus einem Platin-Iridium-Gemisch. Sie hat einen Durchmesser von nur 1,52 Millimetern und außerdem zwei im rechten Winkel zueinander gebohrte Gänge, die mit Zuckerguss verschlossen waren.

Die Ärzte schließen schnell daraus, dass sich der Zucker leicht durch die Körpertemperatur aufgelöst hatte und somit eine Art biologischen Zeitzünder für in der Kugel befindliches Gift darstellte. Da in dieser Kugel nur sehr wenig Platz war, bedeutete das, dass eine sehr toxische Substanz angewandt worden sein musste. Der kleine Rest der Substanz wurde identifiziert und einem Schwein injiziert. Das Tier zeigte daraufhin dieselben Symptome wie Markow und verstarb ebenfalls nach vier Tagen – zweifellos durch das verabreichte Rizin. Rückgerechnet musste der Dissident durch eine in der Kugel versteckte Dosis, die sich zwischen 200 und 500 Mikrogramm bewegte, getötet worden sein.

Tödlicher Samen Rizin stammt aus dem Samen des Wunderbaumes (Ricinus communis) aus der Familie der Wolfsmilchgewächse. Gelangt es in den Organismus, hindert es die kontaminierten Zellen an der Proteinsynthese; seine letale Wirkung durch geringste Mengen ist so durchschlagend, dass die Substanz sogar unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fällt. Kann Rizin im Körper seine Wirkung entfalten und wird nicht vorher durch Erbrechen oder Durchfall ausgeschieden, zerstört es letztlich die roten Blutkörperchen und der Tod tritt nach 36 bis 72 Stunden ein. Pharmazeutisch ist der Samen des Wunderbaumes vor allem durch sein ausgepresstes Öl bekannt, das ein sehr wirksames Abführmittel darstellt. In Vergiftungsfällen wurde vor allem der Samen gegessen – zwei bis vier Stück reichen für eine tödliche Dosis.

Um das Tatmotiv ranken sich bis heute die wildesten Agentengeschichten. Erst seit 1990, nach der Wende, kann in Bulgarien ermittelt werden und es erwies sich, dass nicht nur Akten und Zeugenaussagen verschwunden sind, sondern auch der damals zuständige Geheimdienstchef. Irgendwie scheint tatsächlich auch der KGB verwickelt zu sein, der von Schiwkow in Marsch gesetzt worden war – doch noch bevor es zu einem ordentlichen Gerichtsprozess kommen konnte, wurde ein wichtiger Zeuge erschossen aufgefunden und die Verhandlung verlief im Sande. Die ganze Geschichte ist so verwickelt, dass bereits eine Dokumentation über den „Fall Markow“ gedreht und ausgestrahlt wurde. In diesem Film tritt auch der mutmaßliche Täter auf, der jedoch seitdem ebenfalls spurlos verschwunden ist.

Eine ganz besondere WaffeUnd was war nun mit dem Regenschirm? Der hatte im Griff einen tödlichen Mechanismus versteckt, der durch einen Hohlraum das winzig kleine Projektil abfeuern konnte, direkt in Markows Unterschenkel. Seit dem aufsehenerregenden Mord mitten in London hat diese spezielle Waffe nicht nur in Agentenkreisen einen eigenen Namen: Sie nennt sich „Bulgarischer Regenschirm“.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/19 ab Seite 136.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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