© Alexlukin / iStock / Getty Images

Botanicals

MIT DER KRAFT DER PFLANZE

Neben Arzneimitteln werden auch zunehmend Nahrungsergänzungsmittel aus Pflanzen, Algen oder Pilzen angeboten. Obwohl die meisten Produkte schon lange bekannt sind, bestehen hinsichtlich ihrer Sicherheit und Qualität Bedenken.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Pflanzliche Bestandteile oder Zubereitungen, die als Nahrungsergänzungsmittel deklariert verkauft werden, sind nicht neu. Beste Beispiele hierfür sind Knoblauch-Kapseln, Ginkgo-Tabletten oder Johanniskrautöl – doch sie haben in den letzten Jahren deutlich Zuwachs in den Regalen von Apotheken, Drogerien und Reformhäusern bekommen, es geht zum Teil ganz schön exotisch her. Doch im Gegensatz zu Mineralstoffen und Vitaminen ist die Verwendung dieser auch als Botanicals bezeichneten Zusätze gesetzlich nur schwammig geregelt.

Keine Phytopharmaka … Häufig handelt es sich um Extrakte aus exotischen Pflanzen, Pilzen, Flechten, Algen oder bekannten Heilpflanzen. Die Aufmachung und getroffenen Werbeaussagen erinnern an gering dosierte Arzneimittel. Doch diese Verknüpfung ist ein Trugschluss. Anders als bei pflanzlichen Arzneimitteln gelten für Botanicals in Nahrungsergänzungsmitteln keine Deklarationsstandards, der Begriff ist zudem nicht genauer definiert. Auch bedürfen die Präparate keiner Zulassung vor dem Inverkehrbringen, ihre Qualität und Sicherheit muss daher vorher nicht nachgewiesen werden. Es fehlen für den Verbraucher wichtige Angaben, wie beispielsweise die Art der Ausgangspflanze oder der verwendeten Teile, die Art der Zubereitung, Angaben über das verwendete Extraktionsmittel oder wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe.

Das finden Sie jedoch immer auf einem als Arzneimittel zugelassenen Phytopharmakon. Botanicals gehören, wie alle Nahrungsergänzungsmittel, zu den Lebensmitteln. Im Gegensatz zu Vitaminen oder Mineralstoffen existiert für sie jedoch keine Positivliste in der Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie (Nem-RL) der EU, ganz zu schweigen von festgelegten Höchstmengen. In Deutschland müssen die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden daher im Einzelfall prüfen, ob die jeweiligen zugesetzten Stoffe den lebensmittelrechtlichen Vorschriften entsprechen und die Dosierungen bewerten. Dieses Vorgehen führte in der Vergangenheit schon öfter zu Rechtsunsicherheiten bezüglich des Inverkehrbringens und der Kontrolle.

Zudem sind fast alle Zusätze erlaubt – es existiert zwar eine Negativliste, auf der sich die Stoffe finden, deren Einsatz in Lebensmitteln, wie auch Nahrungsergänzungsmitteln, verboten sind, doch umfasst diese Liste lediglich Ephedra und dessen Zubereitungen. Ephedra, zu Deutsch Meerträubel, wird unter dem chinesischen Namen Ma-huang oder als Mormonen-, Brigham- und Mexikanischer Tee gehandelt und ist in China bereits seit 5000 Jahren als Heilkraut im Einsatz. Yohimbe, ein pflanzliches Aphrodisiakum, und dessen Zubereitungen, sowie drei weitere Stoffe, finden sich auf der Liste der „noch zu prüfenden Stoffe“. Der Wissenschaftliche Ausschuss der European Food Safety Authority (EFSA) veröffentlichte ein Kompendium zu pflanzlichen Materialien und Zubereitungen, die nach dem derzeitigen Kenntnisstand Gesundheitsbedenken aufwerfen, wenn sie in Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln verwendet werden. Diese Zusammenfassung ist nicht rechtsgültig, sie soll jedoch die zuständigen Behörden bei ihrer Einschätzung und Lebensmittelhersteller beim Inverkehrbringen unterstützen.

Auch wenn es manchmal nicht so aussieht: Pflanzliche Arzneimittel unterscheiden sich grundsätzlich von Botanicals.

… und keine pflanzlichen Lebensmittel Zwar gehören Botanicals per Definition zu den Lebensmitteln, doch sind die daraus gewonnen Extrakte deshalb nicht unbedingt mit den positiven Eigenschaften pflanzlicher Lebensmittel gleichzusetzen. So sind beispielsweise sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe aus Obst und Gemüse nachweislich mit positiven gesundheitlichen Aspekten verbunden. In einer ausgewogenen, abwechslungsreichen Ernährung werden sie als Vielstoffgemisch in geringen Konzentrationen aufgenommen. Doch konzentriert in Form von Kapseln oder Pulvern herrschen andere Voraussetzungen, laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist das potenziell problematisch. So können bestimmte Inhaltstoffe in höherer Konzentration durchaus eine pharmakologische Wirkung aufweisen, die für den Verbraucher nicht ersichtlich ist.

Beispiel: Synephrin, der bioaktive Inhaltsstoff von Bitterorangen-​Extrakt. Natürlicherweise findet er sich in Zitrusfrüchten wie Orangen oder Zitronen, bei einem mittleren Verzehr nimmt man ungefähr sieben Milligramm Synephrin pro Tag auf. In Nahrungsergänzungsmitteln zum Abnehmen oder zur Leistungssteigerung fand das BfR bis zu 200 Milligramm als Einzeldosis. Das Problem dabei: Aufgrund struktureller Gemeinsamkeiten mit köpereigenen Adrenorezeptor-Agonisten, zeigt Synephrin sympathomimetische Eigenschaften, nachgewiesen in tiertoxikologischen Studien. Das Produkt könnte daher zur Erhöhung von Herzfrequenz und Blutdruck führen.

Diese Problematik betrifft nicht nur chronisch Kranke, die bereits unter Herzproblemen leiden, sondern auch Menschen mit Polymedikation: Es kann zu nicht absehbaren Arzneimittelwechselwirkungen kommen. Zudem werden Nahrungsergänzungsmitteln häufig Mischungen verschiedener Botanicals zugesetzt, wodurch es zu gegenseitiger Wirkverstärkung und möglicherweise unerwünschten Wirkungen kommen kann. So fand sich beispielsweise in dem Synephrin-haltigen Präparat auch noch Coffein, ebenfalls für seine herzfrequenzerhöhende Wirkung bekannt.

Ungeprüfte Werbeversprechen Normalerweise müssen gesundheitsbezogene Aussagen bei Lebensmitteln nachprüfbar und auch durch Studien belegt sein, so sieht es die Health-​Claims-Verordnung der Europäischen Union vor. Wenn ein Hersteller also behauptet, sein Produkt senke den Cholesterinspiegel oder erhalte eine normale Knochengesundheit, so muss es dafür auch Studien geben (Hintergrundinformationen dazu finden Sie im Schwerpunktartikel ab Seite 52). Seit 2010 wurde dies von der EU-​Kommission jedoch für pflanzliche Produkte eingestellt. Erst Anfang dieses Jahres kritisierte der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI), dass weiterhin mit unbelegten Gesundheitsversprechen (Health Claims) geworben werde. 2017 hatte der EU-Gerichtshof eine entsprechende Klage des Verbandes auf Prüfung der Aussagen abgelehnt. Auch Verbraucher sind anscheinend zunehmend verunsichert.

Das Online-Verbraucherschutzportal www.klartext-nahrungsergaenzung.de wurde vor zwei Jahren ins Leben gerufen und zählte bis Januar 2019 bereits mehr als 2,3 Millionen Zugriffe, rund 1000 Beschwerden und Anfragen gingen bis dato bei der Verbraucherzentrale ein. Das verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass es zu den teils exotischen Pflanzen wie Kudzuwurzel, Schlafbeere oder Maca nur unzureichende Sicherheitsnachweise gibt. Das heißt nicht, dass diese Produkte nicht ihre Berechtigung auf dem Nahrungsergänzungsmarkt haben, nicht jede Pille muss per se giftig oder schädlich sein – aber warum dann nicht Sicherheit und Qualität im Vorfeld sicherstellen? Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des BPI, meinte dazu unlängst: „Wenn die Bundesregierung es ernst damit meint, Kennzeichnungen zu verbessern und somit den Verbraucherschutz zu erhöhen, dann muss sie bei der EU endlich darauf pochen, alle Botanicals durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bewerten zu lassen“.

Den Artikel finden Sie auch in der Sonderausgabe Nahrungsergänzungsmittel, Vitamine und Mineralstoffe der PTA IN DER APOTHEKE ab Seite 32.

Farina Haase, Apothekerin, Ernährungsberaterin/Redaktion

Auch wenn es manchmal nicht so aussieht: Pflanzliche Arzneimittel unterscheiden sich grundsätzlich von Botanicals.

×