© wildpixel / iStock / Getty Images

Viruserkrankungen

MERKWÜRDIGE GESELLEN

Sind Viren lebendige Wesen oder leblose Biopartikel? Die Meinungen dazu gehen auseinander. Und jeder kann seinen Standpunkt plausibel erklären. Wichtiger ist allerdings momentan die Frage, wie man sie schnellstmöglich bekämpfen kann.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Viele Menschen setzen Viren mit Bakterien gleich und verstehen deshalb auch nicht, dass Antibiotika gegen Viren nichts ausrichten können. Doch die Unterschiede sind gewaltig. Denn während Bakterien richtige Einzeller sind und mit Zellkern, Plasma und Zellorganellen wie Mitochondrien und Ribosomen ausgestattet sind, bestehen Viren nur aus DNA oder RNA und einer proteinbesetzten Hülle (Kapsid) außenrum. Manche besitzen zusätzlich zum Kapsid noch eine sogenannte Virushülle und werden dann als behüllt bezeichnet. Im Prinzip sind Viren aber nur verpacktes Erbmaterial. Sie haben keinen Stoffwechsel und können sich auch nicht selbstständig vermehren. Damit fehlen ihnen zwei Merkmale von echten Lebewesen.

Auf Wirtszellen angewiesen Für die Vermehrung von Viren müssen andere herhalten. Deshalb schleusen Viren ihre DNA oder RNA in die Zellen des Wirtes ein, den sie befallen haben und programmieren dessen Zellen so um, dass diese große Mengen neuer Viren produzieren. Die Zellen platzen dann, die Viren werden per Tröpfchen- oder Schmierinfektion weiterverteilt und der Kreis- lauf beginnt von vorne. Die Viren sind dabei auf bestimmte Wirte und bestimmte Zellen spezialisiert. Im Falle der SARS-CoV-2-Infektion zwingen sie die Zellen der menschlichen Rachenschleimhaut neue Viren zu produzieren. Man kennt auch Viren, die auf Bakterienzellen spezialisiert sind. Man nennt sie Bakteriophagen. Sie gelten als ein Hoffnungsträger im Kampfgegen Antibiotikaresistenzen. Auf der einen Seite fehlen Viren also Merkmale des Lebens, auf der anderen Seite sind Viren zur Mutation fähig und damit in der Lage ihr Erbgut weiterzuentwickeln, wodurch sie sich besser an ihren Wirt anpassen können.

Dies ist ebenfalls ein Merkmal von lebenden Organismen. Einige Forscher sind der Meinung, dass sich Viren aus vollständigen Zellen entwickelt haben. Vergleiche bestimmter Proteine von Bakterien und denen, die durch die Viren-DNA hergestellt werden, legen dies nahe. Möglicherweise waren es Zellparasiten, die sich im Laufe der Zeit alles gespart haben, was ihnen die Wirtszelle zur Verfügung stellen kann. So gesehen sind Viren doch irgendwie Lebewesen oder zumindest dem Leben nahe stehend, wenn auch auf das Allerwesentlichste reduziert. Es könnte aber auch anders gewesen sein. Viren könnten auch aus Genen von lebenden Organismen entstanden sein, die sich aus Zellen gelöst haben. Auf jeden Fall gibt es sie schon sehr, sehr lange und sie sind uns in vielen Punkten noch immer ein Rätsel.

Schwer zu knacken Während Antibiotika in bestimmte Stoffwechselprozesse von Bakterienzellen eingreifen und sie so an der Vermehrung hemmen oder sie abtöten, funktioniert dieser Ansatz bei Viren, die ja keinen Stoffwechsel haben, nicht. Mit Virustatika versucht man entweder die Infektion der Wirtszelle, die Vermehrung in der Wirtszelle oder das Austreten der neu gebildeten Viren zu behindern. Da die biochemischen Prozesse bei jeder Virusart ein bisschen anders laufen, ist es sehr schwer einen geeigneten Wirkstoff zu finden. Und völlig unmöglich, einen Wirkstoff zu finden, der gegen alle Viren wirksam wäre. Noch dazu dürfen die Wirtszelle und der gesamte Wirtsorganismus dadurch nicht im gleichen Maße geschädigt werden. Erschwert wird die Entwicklung antiviraler Arzneistoffe durch mögliche Resistenzentwicklungen der Viren. Denn auch dazu sind sie durch Mutationen fähig und durch ihren kurzen Vermehrungszyklus kommt es sogar relativ schnell zu Resistenzen. Sie durchlaufen quasi eine Turbo-Evolution.

Beschleunigte Suche nach einem Impfstoff Das Prinzip der aktiven Immunisierung ist simpel: Der Impfstoff konfrontiert den Organismus mit einem spezifischen Oberflächenantigen des Erregers beziehungsweise mit dem abgetöteten oder zumindest abgeschwächten Erreger selbst. Das Immunsystem bildet daraufhin Antikörper und wenn sich der Mensch später mit diesem Erreger infizieren sollte, kann der Körper sofort reagieren und den Eindringling abwehren. Die Herstellung des Impfstoffes ist dagegen überhaupt nicht einfach. Jedes Impfstoffprojekt durchläuft mehrere Etappen.

Zunächst muss der Erreger analysiert werden und es muss geklärt werden, welche immunrelevanten Bestandteile der Impfstoff überhaupt enthalten soll. Diese müssen nun in ausreichender Menge hergestellt werden. Bei Bakterien ist das vergleichsweise einfach, denn man kann Bakterien direkt züchten und gegebenenfalls die Oberflächenantigene gewinnen. Für Viren benötigt man geeignete Wirtszellen. Häufig werden dazu Hühnereier verwendet, die mit Saatviren bebrütet werden. Wenn genügend Material vorliegt, kann mit der Erprobung im Tierversuch begonnen werden, um Wirksamkeit und Verträglichkeit zu testen.

Bei einem positiven Ergebnis wird der Impfstoff im Anschluss an gesunden Freiwilligen erprobt. Erst dann wird das Zulassungsverfahren eingeleitet. Nach der Zulassung beginnt die Massenproduktion für die Versorgung der Bevölkerung. Auch das braucht etwas Zeit. Bis ein Impfstoff auf den Markt kommt und für alle verfügbar ist, dauert es normalerweise durchschnittlich 15 Jahre. Zu lange im Falle einer Pandemie. Gegen SARS-CoV-2 laufen zurzeit über 50 Impfstoffprojekte. Durch Vorerfahrungen mit anderen Impfstoffprojekten gegen verwandte Viren kann der ganze Prozess allerdings enorm beschleunigt werden. Einige Projekte gegen das Corona-​Virus sollen bereits in der Erprobung an Freiwilligen sein. Dennoch wird es wohl noch mindestens ein Jahr dauern, bis ein zugelassener Impfstoff zur Verfügung steht.

Repurposing Schneller als ein vorbeugender Impfstoff könnte eine Therapie gegen die Erkrankung auf den Markt kommen. Auch die Entwicklung eines neuen Arzneistoffes dauert normalerweise lange, im Schnitt sind es 13,5 Jahre. Und von 5000 bis 10 000 Kandidaten schafft es in dieser Zeit nur einer bis zur Zulassung. Es kommen aber auch Arzneistoffkandidaten in Betracht, die bereits gegen andere Erkrankungen zugelassen oder zumindest in der Erprobungsphase sind. Eine neue Indikation für einen bekannten Wirkstoff also – Repurposing nennt man das. Wirklich neu ist das nicht, so wurde beispielsweise Sildenafil, das heute bei erektiler Dysfunktion eingesetzt wird, zunächst zur Behandlung von Angina pectoris getestet. Die neue Indikation wurde damals aber eher zufällig entdeckt. Die pharmazeutische Forschung läuft momentan auf Hochtouren, und zwar gezielt. In der Pipeline ist zum Beispiel Remdesivir, ein Virustatikum, das bereits in Studien bei Ebola-Patienten eingesetzt wurde. In Zell- und Tiermodellen konnte es schon seine antivirale Aktivität gegen verschiedene Viren aus der Corona-Familie zeigen.

Was ist mit Chloroquin? Die verantwortungslose und unqualifizierte Äußerung von Donald Trump, das Antimalariamittel Chloroquin sei ein „Geschenk Gottes“, hat bei einigen Amerikanern zur unkontrollierten Einnahme in der Selbstmedikation geführt. Nicht wenige landeten wegen schwerer Herzrhythmusstörungen direkt im Krankenhaus. Zumindest einer starb. Er hatte das Arzneimittel zur Behandlung seiner Koi-Karpfen im Haus gehabt. Aus China kam die Information, dass Chloroquin ermutigende Ergebnisse bei Covid-19-Patienten gezeigt hätte. Ob Chloroquin oder die Kombination mit dem Antibiotikum Azithromycin geeignete Kandidaten zur Behandlung der am Corona-Virus Er- krankten sind, muss sich in klinischen Studien zeigen. Selbst wenn Sicherheitsdaten für die ursprüngliche Indikation vorhanden sind, kann das Sicherheitsprofil für eine neue Indikation oder eine andere Einnahme ganz anders aussehen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/2020 ab Seite 28.

Sabine Breuer, Apothekerin/Chefredaktion

×