Kind verzieht Gesicht vor Schmerzen© mmg1design / iStock / Getty Images

Säuglinge und Kleinkinder

MEIN KOPF TUT WEH!

Eine Migräne ist bei Kindern nicht leicht zu erkennen. Oft fehlen den Kleinen die richtigen Worte, ihre Beschwerden genau zu beschreiben. Vor allem äußert sich die Migräne anders als bei Erwachsenen.

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Kopfschmerzen verschiedener Art treten bereits ab dem Kindergarten- und zunehmend im Schulalter auf. Die Migräne stellt im Kindes- und Jugendalter die am besten untersuchte Kopfschmerzform dar.

Böser Kopf So bezeichnen kleine Kinder häufig ihre Migräneschmerzen. Eine Migräne beginnt meist um das sechste Lebensjahr, kann sich aber auch schon im Kleinkindalter zeigen. Vor der Pubertät sind etwa vier bis fünf Prozent der Kinder betroffen, danach leiden zirka elf Prozent unter Migräneanfällen. Bei einigen verschwinden die Attacken nach der Pubertät spontan wieder, bei etwa der Hälfte bleiben sie weiter bestehen und nehmen im Erwachsenenalter einen chronischen Verlauf. Während bei den Kleinen beide Geschlechter gleich häufig betroffen sind, zeigt sich bei den Jugendlichen eine höhere Prävalenz bei den Mädchen.

Anderer Verlauf Migräneattacken stellen sich bei Kindern und Jugendlichen anders als bei Erwachsenen dar. Charakteristischerweise dauern sie meist nicht lange. Kindliche Migräneanfälle erstrecken sich in der Regel über etwa vier bis sechs Stunden. Selten sind sie länger als 48 Stunden, vor allem bei kleinen Kindern können sie sich sogar nur für 30 bis 120 Minuten bemerkbar machen. Typisch ist zudem, dass sich Kinder mit Beginn einer Migräneattacke unaufgefordert zum Schlafen hinlegen und danach meist weitgehend beschwerdefrei wieder aufwachen. Der Migräneschmerz selbst zeigt sich mit mittlerer bis schwerer Intensität und wird in der Regel als pulsierend, selten als drückend empfunden. Er ist bei Kindern meist beidseitig lokalisiert und nicht wie bei Erwachsenen auf eine Kopfseite beschränkt.

Statt der Schmerzen können bei Kindern Übelkeit und Erbrechen als Symptome im Vordergrund stehen. Manchmal fehlen die Schmerzen im Kopf sogar ganz. Eine Licht- und Geräuschempfindlichkeit ist möglich, selten reagieren Kinder auf beides. Nur vereinzelt kommt es vor dem eigentlichen Migräneanfall zu einer Aura. Sollten sich neurologische Symptome einstellen, berichten Kinder am häufigsten über visuelle Phänomene wie Augenflimmern und gelegentlich über Sensibilitäts- oder Sprachstörungen. Manche klagen auch über Schwindel, der das Geschehen beherrschen kann.

Attacken medikamentös in den Griff kriegen Bei leichten Verlaufsformen mit seltenen Anfällen raten Experten erst einmal abzuwarten und nicht gleich Schmerzmittel zu geben. Legen sich die Kinder nicht freiwillig hin, sollten sie dazu animiert werden, am besten mit einem kalten Lappen auf der Stirn in einem abgedunkelten und akustisch gedämpften Raum. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, gilt Ibuprofen (10 Milligramm (mg)/Kilogramm (kg) Körpergewicht (KG)) als Mittel der ersten und Paracetamol (15 mg/kg KG) als Mittel der zweiten Wahl.

Acetylsalicylsäure (500 mg) wird bei Kindern nicht vor dem 12. Lebensjahr empfohlen, auch wenn bisher im Zusammenhang mit einer Migränebehandlung kein Reye-Syndrom beobachtet wurde. Bei schweren Migräneattacken verordnen Ärzte ab dem 12. Lebensjahr vorzugsweise Sumatriptan (10 mg) oder nachrangig Zolmitriptan (5 mg) als Nasenspray. Sollten die Jugendlichen auch darauf nicht ausreichend ansprechen, sind orale Triptane die Alternative (Zolmitriptan 2,5 bis 5 mg, Rizatriptan 5 bis 10 mg, Almotriptan 12,5 mg).

Praxistipp
An Kinder mit Kopfschmerzen und ihre Eltern richtet sich das Buch „Kopfweh adé“, das unter dem Link der Techniker Krankenkasse kostenlos online abgerufen werden kann. Eine Tiergeschichte vermittelt den Kindern kindgerecht ihre Schmerzen und den richtigen Umgang mit ihnen. Im anschließenden Ratgeberteil können sich die Eltern über das Thema detailliert informieren. Ebenso ist ein Kopfschmerzkalender für Kinder enthalten, in den sie ihre Beschwerden eintragen können, um den Triggern ihrer Migräneattacken auf die Spur zu kommen. Mit Hinweisen auf einen Comicfilm und eine Migräne-App erhalten die Betroffenen zudem noch digitale Angebote.

Ohne Medikamente vorbeugen Eine medikamentöse Migräneprophylaxe mit Magnesium, Flunarizin oder Betablockern wie Propranolol oder Metoprolol kommt bei Kindern und Jugendlichen zur Reduktion der Anfälle nur sehr selten in Betracht. Hingegen hat eine nicht-medikamentöse Prophylaxe einen hohen Stellenwert, um einen Übergebrauch an Schmerzmitteln und damit einen Medikamenten-induzierten Kopfschmerz zu vermeiden. Neben Verhaltensregeln (z. B. Führen eines Kopfschmerztagebuches, Schlafhygiene, regelmäßige Bewegung, feste Essenszeiten) werden insbesondere Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie wie Entspannungsverfahren (Fantasiereisen, Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson sowie für ältere Kinder Autogenes Training), Biofeedbackverfahren und kindgerechte kognitiv-verhaltensorientierte Therapieprogramme empfohlen.

Vor allem machen den Kleinen Fantasiereisen Freude, bei denen sie sich bestimmte Bilder und Situationen vorstellen sollen, die ihnen guttun. Damit können sie sich in kritischen Situationen ablenken, um einem Migräneanfall vorzubeugen. Ebenso haben Kinder Spaß an Biofeedbackverfahren. Dabei wird per Elektrode die Anspannung der Stirn- und Schläfenmuskulatur registriert und dem Kind optisch oder akustisch zurückgemeldet. Die Kinder trainieren, mit bewusster Konzentration die Signale zu beeinflussen. Die Methode greift damit nicht nur das Medienverhalten der Kinder auf, sondern spiegelt ihnen auch ihre Selbstkompetenz zurück.

Kinder mit Kopfschmerzen gehören immer in die Hand eines erfahrenen Arztes, damit eine korrekte Diagnose gestellt und eine adäquate Behandlung eingeleitet werden kann.

Auslösern auf die Spur kommen Zentraler Bestandteil aller nicht-medikamentösen Verfahren ist, dass die Kinder und Jugendlichen lernen, die Triggerfaktoren zu identifizieren und zu vermeiden, die bei ihnen zu einer Migräneattacke führen. Potenzielle Auslöser gibt es viele: Körperliche Überanstrengung, unregelmäßiges Zubettgehen, Änderungen im Essverhalten, Wetterumschwung, Lärm, schlechte Luft, grelles Licht oder starke Gerüche zählen ebenso dazu wie psychischer Stress. Vor allem psychische Belastungsfaktoren wie schulische Probleme, Spannungen in der Familie oder im Freundeskreis sowie Leistungs- und Termindruck lösen Migräneattacken aus. Da häufig das Verhalten der Eltern im Migränegeschehen eine Rolle spielt, sehen spezielle therapeutische Interventionen ihre Mitbeteiligung vor.

Migräne ohne Kopfschmerzen Leiden Kinder attackenweise unter Bauchschmerzen, kann eine besondere Form der Migräne vorliegen. Sie wird als abdominelle Migräne oder Migräne des Bauchraums bezeichnet und gilt als Vorläufer einer Migräne mit Kopfschmerzen, die sich in späteren Jahren (oft nach der Pubertät) einstellt. Dabei klagen vorzugsweise Kinder im Grundschulalter über plötzliche Bauchschmerzen, die mehrere Stunden anhalten. Die Schmerzen (vorzugsweise rund um den Nabel) sind so stark, dass sich die Kinder hinlegen müssen. Begleitet werden sie von Appetitlosigkeit, Übelkeit/und oder Erbrechen und auffälliger Blässe. Kopfschmerzen fehlen typischerweise.

Ebenso können wiederkehrende Episoden von plötzlichem Erbrechen (zyklisches Erbrechen) oder Gleichgewichtsstörungen mit und ohne Erbrechen (Schwindelanfälle) Zeichen für eine Migräne ohne Kopfschmerzen sein. Typisch bei Kindern sind auch Störungen des Körperschemas (Alice-im-Wunderland-Syndrom). Dabei nehmen sie ihren Körper wie die Heldin in der gleichnamigen Geschichte vergrößert oder verkleinert wahr.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/2021 ab Seite 52.

Gode Chlond, Apothekerin

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