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Erinnerungen werden im Gehirn unterschiedlich abgespeichert

LOCHKARTEN IM KOPF

Das Gehirn muss sehr plastisch sein, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen, es soll sich aber auch an bestimmte Dinge lebenslang erinnern. Wie geht beides zusammen?

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Kennen Sie das auch? Da gibt es Dinge, die man mühsam und mit viel Zeitaufwand lernt und dann aber doch wieder vergisst, Prüfungsstoff etwa, während andere Dinge, zum Beispiel traumatische Erlebnisse, überhaupt nie wieder vergessen werden. Das Gehirn geht mit Erinnerungen unterschiedlich um, je nachdem, wie es eine bestimmte Information bewertet.

Gibt es hierfür auch unterschiedliche Speicher? Tatsächlich gibt es Gedächtnisinhalte, die durch ein lediglich einmaliges Erlebnis gelernt und dennoch nie wieder vergessen werden können. Hierher gehören Prägungen, die in frühen Phasen der individuellen Entwicklung in sogenannten kritischen Perioden entstehen und zu denen zum Beispiel das Erlernen von Sprachlauten oder räumlichem Sehen gehört – oder aber auch das Erinnern an die genannten traumatischen Erlebnisse mit möglicherweise daraus folgenden Angstzuständen.

Dieses lebenslange Abspeichern ist in diesen Fällen durchaus sinnvoll; bei Prägungen, weil hier insbesondere die Sinnessysteme lernen, wie Sinneseindrücke zu verarbeiten sind, und im Falle der post-traumatischen Erinnerungen, weil die künftige Vermeidung des erneuten Eintretens des negativen Ereignisses überlebenswichtig sein kann.

Generell ging man bislang davon aus, dass jede Langzeitgedächtnisbildung auf Veränderungen der synaptischen Kontakte zwischen den Nervenzellen beruht. Diese Verbindungen sind ein Leben lang hochplastisch und ermöglichen so, dass wir Neues dazulernen, aber auch Unnützes wieder vergessen können, was aber ein Problem für die lebenslangen Speicher darstellt, denn diese müssen ja offensichtlich vor dem Vergessen geschützt werden.

Als Kandidat für diesen Ultralangzeitspeicher hat sich nun in den letzten Jahren die sogenannte Extrazelluläre Matrix (ECM) herauskristallisiert. Sie besteht aus einem Geflecht von Chondroitinsulfat-Proteoglykanen, die den Zwischenraum zwischen den Neuronen ausfüllen und diese quasi ummanteln. Die ECM bildet sich mit Abschluss der kritischen Perioden, was wohl der Grund dafür ist, dass danach kein Prägungslernen mehr stattfinden kann.

Synaptische Kontakte zwischen Neuronen sind dann nur noch dort möglich, wo Löcher in der ECM existieren – und diese existieren eben nur da, wo sich keine ECM bilden konnte, weil dort bereits eine Synapse war. Die Löcher in der ECM stabilisieren also die Positionen der Synapsen und festigen so das Gedächtnis, verhindern aber gleichzeitig, dass an ganz anderer Stelle neue Synapsen gebildet werden können. Der Ultralangzeitspeicher im Gehirn funktioniert also quasi (so die Theorie) wie die klassischen Lochkarten früher Rechnersysteme.

Durch Zerstörung der ECM konnten im Tierexperiment tatsächlich die kritischen Perioden auch im erwachsenen Tier neu geöffnet oder auch das Angstgedächtnis gelöscht werden. Sollte diese Methode einmal Einzug in die Kliniken halten, nützt sie Ihnen ja vielleicht auch …

ZUR PERSON

Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de

Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/14 auf Seite 12.

 


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