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Schmöker des Monats

LIEBE IN ZEITEN DES HASSES

Erich Kästner schreibt immer an die Mutti. Josephine Baker hängt sich ein Bananenröckchen um und macht alle Männer verrückt. So sind sie, die Dreißiger Jahre – und Florian Illies schreibt darüber. Er ist ein blendender Erzähler.

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So macht Geschichte Spaß. Florian Illies, ehemaliger Feuilletonchef der ZEIT und heute Mitherausgeber, hat sich durch rund 350 Biografien, Romane und Sachbücher gelesen und daraus etwas Einzigartiges gemacht: Erzählende Geschichtsschreibung nennt man das wohl. Es ist ein ganz neues Genre, welches er da erfunden hat, und er hat schon im Buch davor bewiesen, dass er’s kann: „1913“ hieß das und war auch ein Bestseller. Was am Vorabend des Ersten Weltkrieges passierte, setzt er aus den Lebensgeschichten großer Männer und Frauen zusammen, eine Art Patchworktext.

Die schönsten und kühnsten Romanzen, sie sind hier versammelt Auch die „Liebe in Zeiten des Hasses“ ist ein solcher Text; einer, nach dessen 430 Seiten man bedauert, dass er zu Ende ist. Diesmal geht es um die Jahre 1932 bis 1934 und noch ein bisschen weiter. Hier enden die goldenen Zwanziger. Was vorher vergnügungssüchtig, aber harmlos war, endet nun mit den Vorboten der neuen Zeit, des Nationalsozialismus. Als wären Hingabe und Liebe vorläufig die einzig möglichen Antworten darauf, berichtet das Buch von all den kühnen, schönsten, aussichtslosesten Affären und großen Romanzen dieser Zeit.

Es sind so viele, dass man aufpassen muss, den Überblick zu behalten. Bertold Brecht, der Dramatiker, und seine Frauen beispielsweise. Nein, das war nicht nett; hemmungslos betrügt und belügt er die ihm Ergebenen. Immerhin besitzt er Selbsterkenntnis: „In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.“ Stimmt. Aber Marlene Dietrich, der deutsche Weltstar in Hollywood, war auch nicht viel besser. Lebenslang mit einem Berliner verheiratet, mit dem sie auch ein Kind hat, pflegt sie häufig wechselnde Liebschaften von großer Leidenschaft.

Den Anfang macht ihr Lieblingsregisseur, und dann geht es Schlag auf Schlag – ab und zu besucht Rudolf, der Ehemann mit seiner Geliebten sie, ansonsten tingelt man zu mindestens viert um die Welt. Pablo Picasso malt in seinen Ateliers jeweils wechselnde Musen, die auch immer seine Geliebten sind und die Dichterin Mascha Kaléko schreibt ihrem Mann ein Gedicht, als sie morgens nach Hause kommt: „Die anderen sind das weite Meer. Du aber bist der Hafen. So glaube mir: kannst ruhig schlafen, ich steure immer wieder her.“ So machen Poetinnen das.

Man trifft sich im französischen Sanary Über all dem Vergnügungstaumel der Libertinage droht der große Schatten der nächsten Jahre: Schon werden die ersten jüdischen Intellektuellen aus dem Land getrieben, bevor die Verhaftungen losgehen. Bevorzugter Fluchtort scheint das französische Sanary zu sein. Hier treffen sich Familie Thomas Mann, die Feuchtwangers und viele andere. In Spanien lernt Salvador Dali seine Frau Gaia kennen. In Amerika trifft Erich Maria Remarque („Im Westen nichts Neues“) Marlene Dietrich.

Robert Musil schreibt „Der Mann ohne Eigenschaften“. Gottfried Benn ist eigentlich Arzt, und in Zeiten seiner größten persönlichen Krise schreibt er seine besten Stücke – auf Postkarten, die er einem Freund schickt. Kurt Tucholsky fährt mit einer jungen Dame nach Schweden, und danach entsteht sein berühmtestes Buch: „Schloss Gripsholm“. Und jetzt wird’s verwickelt: Eigentlich ist er mit einer anderen verheiratet, die er wirklich liebt, doch er kann die Finger nicht von den Damen lassen.

Am Ende erschießt er sich, ob wegen der Frauen oder der Politik, man weiß es nicht. Willy Brandt geht ins Exil, Konrad Adenauer auch, und letzterer denkt betrübt, dass seine besten Zeiten wohl hinter ihm liegen (wie wir wissen, stimmt das gar nicht). Josephine Baker wünscht sich nichts mehr als Kinder, und als sie keine bekommt, adoptiert sie welche.

Natürlich muss sie auch arbeiten: Keine tanzt auf den Bühnen dieser Welt so wie sie, sie hüpft, sie gurrt und verdreht die Augen so weit nach hinten, dass man nur noch das Weiße sieht. Die Pfarrer weisen sonntagsmorgens im Gottesdienst so eindringlich auf die Gefahren dieser verwerflichen Tänze hin, dass sich viele Kirchenbesucher direkt nach dem Vaterunser eine Karte besorgen.

Adam und Eva, direkt von der Kreuzung Apropos Kirche: Tamara de Lempicka malt gerade ein Bild von einem weiblichen Aktmodell, als ihr durch den Kopf schießt: Die wäre eine super Eva. Kaum hat sie das erzählt, springt die Dame auf: Sie hätte für den Adam schon jemanden im Blick, und zwar den Polizisten, der dort unten an der Kreuzung Dienst tut: Der wäre ausgesprochen gut gebaut. De Lempicka eilt nach unten, erwischt ihn, überredet ihn, und so kommt es, dass noch am gleichen Nachmittag eins ihrer berühmtesten Bilder entsteht.

„Adam und Eva“, sehr nackt, sehr besonders, schauen Sie es sich mal im Internet an. Nicht mal Albert Einstein hat nur Formeln im Kopf. Kleine Kostprobe aus dem Buch: „Der Erfinder der Relativitätstheorie weiß, dass in der Liebe Zeit und Raum doch eine sehr relevante Rolle spielen und nicht einfach so überwunden werden können. „Schreiben ist dumm“, telegraphiert er seiner Frau am sommerlichen See in Caputh, „am Sonntag küss ich dich mündlich.“ Der Sonntag also ist: Kuss mal Zeit im Quadrat.“

Von Käsemilben und Pyjamaexistenzen Carl von Ossietzky nennt Hitler eine „feige, verweichlichte Pyjamaexistenz“, Goebbels gar eine „hysterische Käsemilbe“ – und das bekommt ihm natürlich nicht gut. In Hollywood zerfleischen sich derweil Marlene Dietrich und Erich Maria Remarque. Er gibt ihr eine Ohrfeige, sie beißt ihn in die Hand. Dann geht er. „Ich will einen Menschen glücklich zu machen versuchen – einen anderen, da ich es selbst nicht werden kann“, meinte er damals. Illies: „Wir Heutigen, psychologisch geschult, würden spätestens hier wissen, dass das Ganze nichts werden kann.“

Und dann sind da noch Jean Paul Sartre und seine Simone de Beauvoir. Sie beide haben sich gleich zu Beginn ihrer dann lebenslangen Beziehung absolute Ehrlichkeit und maximale Freiheit geschworen – nun ja, anfangs wohl mehr er als sie. Und dann geht es aber rauf und runter, vor und zurück, Frauen und Männer: „Es ist nicht immer ganz leicht, dabei den Überblick zu behalten. Für uns Nachgeborene sowieso nicht – aber wie mag es wohl für die Akteure selbst gewesen sein?“ fragt der Autor.

Wer kommt noch drin vor? Hermann Hesse, Charlie Chaplin, Scott Fitzgerald, Walter Gropius, Dietrich Bonhoeffer, Gustav Gründgens – ach, so spannend kann Zeitgeschichte sein. Ich habe so viel erfahren in diesem Buch und werde es nie mehr vergessen.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 132.

Alexandra Regner, PTA und Medizinjournalistin

Florian Illies Liebe in Zeiten des Hasses
Chronik eines Gefühls Gebunden mit Schutzumschlag S. Fischer Verlag 432 Seiten, 24 Euro ISBN: 978-3-10-397073-9

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