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Politik

LEIDER NICHT LIEFERBAR!

Die Nicht-Lieferbarkeit von Arzneimitteln hat sich in den letzten Jahren dramatisch zugespitzt. War es früher eine absolute Seltenheit ein Medikament nicht zu bekommen, ist es heute an der Tagesordnung. Woran liegt das?

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Jedes Mal, wenn ein Kunde bedient wird, dessen Arzneimittel nicht an Lager ist, schaut man vorsichtig nach, ob es denn überhaupt lieferbar ist. Wenn nicht, dann beginnt die Suche – zuerst nach den Regelungen des neuen Rahmenvertrages und dann fragt man sich: Bekommt man den Arzneistoff überhaupt noch? Es gibt viele Beispiele, in denen der Kunde ohne das passenden Medikament die Apotheke verlassen muss und es wird immer dramatischer.

Nur ein Beispiel von vielen Seit einiger Zeit bekommt man kein „Venlafaxin 37,5 mg retard“ mehr. Venlafaxin ist (laut ABDA Datenbank) zur Behandlung einer Major Depression, zur Rezidivprophylaxe einer Major Depression, zur Behandlung von generalisierten und sozialen Angststörungen sowie zur Behandlung der Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie zugelassen. Es handelt sich hierbei um schwere psychische Erkrankungen, die unbehandelt dramatische Folgen haben können. In diesen Fällen ist bereits der Austausch durch Rabattverträge nicht unproblematisch, die Erkrankung gar nicht mehr behandeln zu können ist jedoch eine Katastrophe. Wir sind nicht mehr in der Lage die Patienten ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen. Den Mangel verwalten schlussendlich die Apotheken. Im Schnitt muss jede Apotheke sechs Stunden in der Woche nur zu Recherchezwecken aufwenden.

Vielschichtige Ursachen Ein Teil der Nichtlieferbarkeit ist wohl auf die Rabattverträge zurückzuführen. Wenn sich der/die Hersteller, die den Zuschlag für besonders große Lose gewonnen haben, verschätzen und zu wenig produzieren, ist der Markt sehr schnell leergefegt. Die anderen Hersteller produzieren nicht genug, um den Bedarf als Lückenbüßer zu füllen. Natürlich gibt es auch manchmal Probleme in der Produktion. Dann kann es passieren, dass eine Charge nicht ausgeliefert werden kann. Jeden Tag kontrollieren die Apotheken die Meldungen der Arzneimittelkommission zu Rückrufen. Ist ein Arzneimittel – sei es nur eine Charge oder mehrere – betroffen, ist es erst mal nicht mehr zu bekommen.

Dramatisch wird es, wenn der Kostendruck – wo auch immer er herkommt – dazu führt, dass Produktionswege zu Gunsten billigerer Varianten verlassen werden. Das hat jetzt eindrucksvoll der Valsartan-Skandal gezeigt. Im Falle des Valsartans wurde in China der Syntheseweg auf eine billigere Variante umgestellt. Der Wirkstoff wurde nicht weiter gereinigt und so kam es zu den Beimengungen der Zwischenschritte, die höchst gefährlich sind. Es gab nur wenige Firmen, die ihre Grundstoffe woanders her bezogen hatten und daher sauber waren. Diese waren dann natürlich unmittelbar ausverkauft und das ehemalige Original war so hoch über dem Festbetrag angesiedelt, dass man es Kassenpatienten nur mit einer immensen Zuzahlung abgeben konnte.

Vermeidbare Fehler im System Apotheken müssen sich darauf verlassen können, dass das, was sie dem Kunden aushändigen, genau das ist, was auf der Packung steht – nicht mehr und nicht weniger! Dass über Jahre Patienten in ihren Medikamenten Beimengungen krebserregender Stoffe verabreicht wurden, verschlägt Apothekern immer noch schier den Atem. Die Menge mag verschwindend gering gewesen sein und hat womöglich nur wenige Opfer gefordert, doch hier ist jedes Opfer eines zu viel. Es handelt sich um Fehler, die absolut vermieden werden müssen! Die Liste der nicht lieferbaren Arzneimittel ist lang. Oft sind es mehr als 100 Artikel pro Apotheke.

Manchmal sind am Anfang des Monats bestimmte Arzneimittel noch zu bekommen, die dann aber schnell als Kontingentarzneimittel gekennzeichnet werden und nicht mehr ausgeliefert werden. Das rührt daher, dass Deutschland ein „Billigpreisland“ für Arzneimittel geworden ist. Die gleichen Präparate werden in anderen europäischen Ländern deutlich teurer verkauft und es lohnt sich große Mengen aufzukaufen und zum Beispiel nach Großbritannien zu liefern. Dann ist das Kontingent, das ursprünglich für den deutschen Markt passgenau produziert wurde, weg und die Patienten können wieder nicht versorgt werden. Manchmal ist es dann möglich, die Arzneimittel noch direkt bei der Firma zu bestellen. Das bedeutet einen immensen Aufwand und die Zeit, bis das Präparat eintrifft, beträgt mindestens einen Tag.

Wieso gerade Ibuprofen? Besonders leidtragend sind die Schmerzpatienten, die auf Ibuprofen angewiesen sind. Es gibt nur wenige Produktionsstätten für Ibuprofen, wovon eine in den USA einen schweren Brandschaden hat. Dadurch ist die Rohstoffproduktion ins Stocken geraten und in Deutschland können regelmäßig bestimmte Dosierungen und Formulierungen, wie beispielsweise 800 mg retard nicht bezogen werden. Auch im Bereich der Impfstoffe ist einiges nicht verfügbar. Der Impfstoff Shingrix®, der sehr erfolgreich als Impfung gegen Herpes Zoster oder Gürtelrose eingeführt wurde, ist seit Mai nicht mehr zu bekommen. Das ist besonders dramatisch für die Patienten, die bereits eine Impfung bekommen haben und nun nach sechs Monaten die zweite Impfung für die Grundimmunisierung brauchen.

Das Paul-Ehrlich-Institut, das für die Zulassung der Impfstoffchargen zuständig ist, hat auf seiner Homepage eine Liste mit den nicht lieferbaren Impfstoffen veröffentlicht und gibt dort auch Handlungsanweisungen, wie man in Notfällen verfahren kann. Seit Jahren wird das Thema in der Apothekerschaft thematisiert. Es wird höchste Zeit, dass man sich ehrlich damit auseinandersetzt und Abhilfe geschaffen wird. Manche Gründe werden nicht aus der Welt zu schaffen sein. Wenn eine Charge Impfstoff produziert wurde und gleich verteilt wird, dann dauert es nun einmal bis wieder neuer Impfstoff verfügbar ist. Das gab es schon immer. Aber das Fehlen von Zytostatika in Kliniken, das Fehlen von Antibiotika und Psychopharmaka betrifft viele Patienten in einem nie dagewesenen Maße.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/19 ab Seite 52.

Mira Sellheim, Apothekerin und Delegierte der Landesapothekerkammer Hessen

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