Fortbildung: Wissen intensiv

KOPFSCHMERZTHERAPIE IN SCHWANGERSCHAFT/STILLZEIT, TEIL 2

Beide Phasen sind eine ganz besondere Zeit im Leben einer Frau. Hinsichtlich der medikamentösen Behandlung von Kopfschmerzen gelten in dieser Zeit besondere Regeln.

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Kopfschmerzen und Migräne sind in der Bevölkerung sehr häufig. Migräne betrifft überwiegend Frauen im jungen und mittleren Alter und gehört mit einer Lebenszeitprävalenz zwischen 15 und 25 Prozent und einem Altersgipfel zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Aufgrund des hohen Leidensdruckes der Kopfschmerzen ist eine akute Behandlung häufig notwendig. Da allerdings Kopfschmerzen in den meisten Fällen kein relevantes Risiko für eine Schwangere bedeuten, jedoch deutlicher Lebensqualitätsverlust an den Erkrankungstagen besteht, ist bei jeder medikamentösen Maßnahme eine sorgfältige Abwägung zwischen Verbesserung der Kopfschmerzen und einem möglichen negativen Einfluss auf das ungeborene Leben zu prüfen.

Migräne in Schwangerschaft und Stillzeit Laut Studien besteht ein positiver Einfluss der Schwangerschaft auf die Migräne: 50 bis 80 Prozent der Patientinnen mit Migräne berichten von einer Attackenreduktion während der Schwangerschaft und ca. 20 Prozent von einem kompletten Verschwinden der Migräne. In der Regel tritt die Verbesserung ab dem 2. Trimenon auf. Insbesondere Patientinnen mit einer menstruellen oder menstruell assoziierten Migräne profitieren. Nach der Mehrzahl der retrospektiven Studien hat die Migräne dagegen auf die Schwangerschaft und auf die Entwicklung des Embryos oder Fötus keinen Einfluss. In einer Fallkontrollstudie mit 244 Frauen mit Präeklampsie oder Eklampsie und 470 gesunden Patientinnen ohne Bluthochdruck zeigte sich jedoch für die Migräne ein 1,8fach erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Präeklampsie. Unter Berücksichtigung eines gleichzeitigen Übergewichts konnte sogar ein 12fach erhöhtes Risiko für eine Präeklampsie gegenüber normgewichtigen Schwangeren ohne Migräne berechnet werden.

In der ersten Woche nach der Geburt sind Kopfschmerzen sehr häufig. Stillen führt nach einer großen prospektiven Studie zu einer Stabilisierung der Migräne, die Migränehäufigkeit ist mit der Phase während der Schwangerschaft ab dem 2. Trimenon vergleichbar. Eine weitere Studie, die die Migränehäufigkeit zwischen stillenden und nicht stillenden Migränepatientinnen verglich, konnte zeigen, dass ausnahmslos in der nicht stillenden Gruppe die Migräne während des ersten postpartalen Monats wieder auftrat, während dies nur bei 43 Prozent der stillenden Frauen der Fall war. Eine Rückkehr zu der vorher bestehenden Migränefrequenz tritt dann jedoch häufig mit dem Abstillen auf.

In verschiedenen Studien konnte gezeigt werden, dass Schwankungen des Estrogenspiegels, insbesondere ein plötzliches Absinken des Estrogens nach längerer Erhöhung durch endogen oder exogen (Kontrazeptivum) verabreichte Estrogene für einen Teil der Frauen ein sehr potenter Migräneauslöser ist. Hiermit wird aktuell die menstruelle Migräne sowie der überwiegend positive Verlauf der Migräne bei stabilen Hormonverhältnissen in Schwangerschaft, Stillzeit, nach der Menopause oder der Einfluss von Estrogeneinnahme erklärt. Der protektive Effekt des Stillens kann somit mit den stabilen, eher niedrig normalen Estrogenspiegeln erklärt werden.

Therapie Die Grundprinzipien der Behandlung der Migräne unterscheiden sich während der Schwangerschaft nicht von denen bei nichtschwangeren Patientinnen. Ziel ist eine bestmögliche Schmerzbehandlung durch Kombination der symptomatischen analgetischen und der vorbeugenden Therapie. Aufgrund der fehlenden klinischen Untersuchungen an Schwangeren ergeben sich jedoch nachvollziehbarer Weise keine Studien-basierten Therapieempfehlungen.

Medikamente können zu verschiedenen Phasen der Schwangerschaft unterschiedliche Effekte haben. In den ersten beiden Wochen postkonzeptionell werden eventuelle Schäden aufgrund der Pluripotenz der Zellen repariert oder die Frucht stirbt ab. Das Fehlbildungsrisiko während der ersten beiden Wochen wird daher als sehr gering angesehen. Die höchste Fehlbildungsrate des Ungeborenen durch Medikamente besteht während der Organogenese zwischen Tag 15 bis 56 nach Konzeption. Da viele Frauen zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass sie schwanger sind, sollte schon bei Schwangerschaftswunsch die analgetische sowie prophylaktische Medikation auf eine möglichst sichere Therapie umgestellt werden oder am besten auf eine Medikamenteneinnahme komplett verzichtet werden und nichtmedikamentöse Therapieverfahren (Entspannungsverfahren, regelmäßiger Ausdauersport) angewendet werden.

Zusammenfassend können für die Akuttherapie der Migränekopfschmerzen in der Schwangerschaft folgende Empfehlungen – basierend auf den Leitlinien der DMKG – gegeben werden: Paracetamol kann während der gesamten Schwangerschaft und Stillzeit eingenommen werden und ist Mittel der ersten Wahl, hierfür gibt es überzeugende Daten über 40 Jahre. Aktuelle Studien diskutieren jedoch nun ein erhöhtes Risiko für eine Entwicklung von Asthma oder Atemwegserkrankungen sowie eine mögliche Unfruchtbarkeit bei Jungen, sodass eine strenge Indikationsstellung erfolgen sollte.

WEB-TIPPS
Adressen von reproduktionstoxikologischen Beratungsstellen:
Institut für Reproduktionstoxikologie: www.reprotox.de
Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie: www.embryotox.de

Für Acetylsalicylsäure (ASS) gibt es ausreichende Daten zur Sicherheit im zweiten Trimenon, im dritten Trimenon steht insbesondere das Risiko eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus im Mittelpunkt. Im Hinblick auf die thrombozytenfunktionshemmende Wirkung können ebenfalls vermehrt Blutungsneigungen auftreten. In der Stillzeit ist ASS aufgrund seines Übertrittes in die Muttermilch nicht zu empfehlen. Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen sind im zweiten Trimenon ebenfalls zulässig, im ersten Trimenon allerdings nur unter äußerst strenger Indikationsstellung. Im ersten Trimenon wird ein möglicher Zusammenhang mit einer leicht erhöhten Spontanabortrate sowie für Naproxen zusätzlich eine mögliche orofaziale Spaltbildung diskutiert. Im ersten Trimenon kann daher bei Versagen von Paracetamol die gelegentliche Einnahme von Ibuprofen oder Diclofenac nur nach strenger Rücksprache mit dem behandelnden Arzt erwogen werden.

Naproxen sollte nur bei Versagen von Paracetamol und anderer nichtsteroidaler Antiphlogistika zur Anwendung kommen. Im dritten Trimenon sollte auf die Einnahme von nichtsteroidalen Antiphlogistika verzichtet werden aufgrund des Risikos eines vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus. Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen treten nicht oder nur minimal in die Muttermilch über. In der Stillzeit ist Ibuprofen neben Paracetamol ebenfalls Mittel der ersten Wahl, alter - nativ ist Naproxen bis 500 Milligramm möglich.

Triptane sind in der Schwangerschaft nicht zugelassen. Bisherige Veröffentlichungen und Schwangerschaftsregister zeigen jedoch kein erhöhtes Risiko für angeborene Missbildungen oder vermehrte Schwangerschaftskomplikationen. Für Sumatriptan liegen mittlerweile über 1200 dokumentierte Expositionen im ersten Trimenon ohne Anhalt für Teratogenität vor. Eine Erstauswertung von 516 Schwangerschaften ergab ein Fehlbildungsrisiko von 4,4 Prozent, dieses entspricht dem Risiko von drei bis fünf Prozent innerhalb der Allgemeinbevölkerung. Eine geringe Zunahme der Teratogenität kann jedoch nicht vollständig ausgeschlossen werden, daher muss während der Schwangerschaft wie für alle Medikamente eine äußerst strenge Indikationsstellung erfolgen.

Die Einnahme von Sumatriptan ist im zweiten und dritten Trimenon unter strenger Indikationsstellung, d.h. bei nicht anders behandelbaren Attacken mit starken Schmerzen und Begleitsymptomen möglich. In der Stillzeit wird eine achtstündige Stillpause bzw. das Abpumpen der Muttermilch nach der Einnahme empfohlen. Für Rizatriptan konnten mittlerweile über 100 Schwangerschaften protokolliert werden; es ergibt sich ebenfalls kein erhöhtes Risiko. Die Stichprobe ist allerdings noch zu klein für eine abschliessende Aussage.

Dimenhydrinat ist Antiemetikum der ersten Wahl zur Behandlung der Migräne assoziierten Übelkeit in Schwangerschaft und Stillzeit. Es wird seit vielen Jahren ohne Hinweis auf negative Einflüsse auf Schwangerschaft oder Geburt eingesetzt. Da ein wehenfördernder Effekt diskutiert wird, sollte es bei Frühgeburtsgefährdung zurückhaltend eingesetzt werden. Es geht nur in geringen Mengen in die Muttermilch über. Metoclopramid gilt als Mittel der zweiten Wahl während beider Phasen, für Domperidon ist die Datenlage nicht ausreichend. Unzureichend ist die Datenlage ebenfalls für Coxibe sowie für Metamizol.

Ergotamine sind während der Schwangerschaft und Stillzeit aufgrund der uterotonischen und vasokonstriktorischen Wirkung und der damit verbundenen vitalen Minderperfusion und erhöhten Fehlgeburtsrate sowie einer Schädigung des Neugeborenen kontraindiziert. Niedrig potente Opioide, welche keine gute Wirksamkeit in der Behandlung der Kopfschmerzen aufweisen, stellen jedoch ein sicheres Reservemittel der dritten Wahl in der Schwangerschaft dar. Als Alternativtherapie können auch Steroide in einer schweren oder länger andauernden Migräneattacke gegeben werden. Eine strenge Indikationsstellung ist trotz allem zu bedenken.

Prophylaktische Therapie Eine vorbeugende medikamentöse Behandlung sollte wegen möglicher Teratogenität und des oben beschriebenen positiven Verlaufs der Attackenanzahl vor einer Planung einer Schwangerschaft bis auf Ausnahmen be endet werden. Behandlungsstrategien der ersten Wahl sind somit Triggervermeidung, Ausdauersport sowie Entspannungsverfahren. Eine schwere und häufige auftretende Migräne stellt ggf. eine Indikation für eine prophylaktische Therapie während der Schwangerschaft dar. Magnesium mit mehr als 600 mmol/d sollte aufgrund der Unbedenklichkeit als erstes versucht werden. Unter strenger Indikationsstellung ist die Einnahme des Betablockers Metoprolol zur Prophylaxe vertretbar. Als Substanz der zweiten Wahl ist auch die Gabe des Antidepressivums Amitryptilin in niedriger Dosierung (25 bis 50 Milligramm) möglich.

Valproinsäure ist aufgrund bekannter teratogener Nebenwirkungen (Neuralrohrdefekte, Herzfehler, Extremitätenanomalien usw.) in der Schwangerschaft nicht erlaubt. Für die weiteren Prophylaktika, zum Beispiel Flunarizin und Topiramat, liegt keine ausreichende Erfahrung vor. Der Kopfschmerz vom Spannungstyp ist in der episodischen Form mit einer Lebenszeitprävalenz von 80 Prozent sehr häufig, stellt allerdings in der Schwangerschaft aufgrund der niedrigeren Schmerzintensität und des nur gelegentlichen Auftretens kein besonderes therapeutisches Problem da. 

GLOSSAR
Praeeklampsie
: Syndrom mit Bluthochdruck und Proteinurie (Eiweiss im Urin) und häufig Ödemen während der Schwangerschaft.
Eklampsie: Syndrom mit epileptischen Anfällen, welches sich aus einer Praeeklampsie entwickelt in der Regel im 3. Trimenon
Pluripotenz: Fähigkeit von Zellen zu jedem Zelltyp eines Organismus zu differenzieren, da sie auf keinerlei Gewebetyp festgelegt sind ohne jedoch einen gesamten Organismus bilden zu können.
Ductus arteriosus: Im vorgeburtlichen Blutkreislauf bestehende Verbindung zwischen Hauptschlagader und Lungenarterie, die sich nach Belüftung der Lungen nach der Geburt verschließt, da das Blut im fetalen Kreislauf nicht die Lunge durchströmt.

Chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp sind selten (ca. zwei Prozent) und können in Übereinstimmung mit den oben erwähnten Empfehlungen akut mit Paracetamol oder je nach Trimenon mit Ibuprofen behandelt werden. Als Prophylaxe besteht die Möglichkeit der Einnahme von Amitriptylin bis zu 75 Milligramm, hierbei liegt kein Hinweis für Teratogenität vor.

Fazit für die ApothekenZusammenfassend sollte in Schwangerschaft und Stillzeit in der Behandlung von Kopfschmerzen immer erst die nichtmedikamentöse Therapie maximal ausgeschöpft werden. Sollte doch eine medikamentöse Behandlung notwendig sein, raten Sie Ihren schwangeren Kundinnen, unbedingt Ihren Arzt aufzusuchen, um das Risiko-Nutzen-Profil abzuwägen.

Mitmachen und punkten!
Lesen Sie alle drei Teile unserer Fortbildung WISSEN INTENSIV zum Thema Migräne und Kopfschmerzen, die wir Ihnen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) anbieten.
Heft 03/11: Teil 1 – Nur Migräne oder schon gefährlich?
Heft 04/11: Teil 2 – Besonderheiten der Kopfschmerztherapie in Schwangerschaft und Stillzeit
Heft 05/11: Teil 3 – Kopfschmerzen richtig behandeln PLUS Fragebogen zur Fortbildung

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 04/11 ab Seite 78.

PD Dr. Martin Marziniak, Klinik und Poliklinik für Neurologie – Abteilung für Entzündliche Erkrankungen des Nervensystems und Neuroonkologie, Münster

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