Zwei Jungs mit Kappe, die sich mit erhobenem Zeigefinger streiten und dabei Kappenschirm an Kappenschirm stehen.© Tom Kelley Archive / Retrofile RF
Wer von Ihnen fühlt sich langsam auch wie auf dem Schulhof?

Kommentar

KV HESSEN VERSETZT APOTHEKEN SCHLAG UNTER DIE GÜRTELLINIE

Die Fronten verhärten sich, der Ton wird schärfer, die Lage spitzt sich zu – all diese Floskeln genügen nicht mehr, um die Diskussion um die pharmazeutischen Dienstleistungen annähernd zu beschreiben.

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Warum ich nicht mehr in der öffentlichen Apotheke arbeite? Mitunter aus diesem Grund: Dieses ständige Kompetenzgehabe darüber, wer wo mehr Wissen hat, wer in welchen Fragen mehr zu sagen hat oder das letzte Wort haben soll – es hing mir zum Hals heraus.

Aber die Diskussion um die pharmazeutischen Dienstleistungen hat mittlerweile eine Wortwahl erreicht, bei der ich mich frage, wo das noch enden soll. Die Methoden, die von offizieller Seite – nämlich von Seiten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen in Form eines öffentlichen Rundschreibens – vorgegeben werden, sind für mich weit entfernt von professionellem Handeln oder politischer Diskussion.

Liebe Patient*innen geht in die Apotheke und schreibt mit, wo genau Fehler passieren, wir kümmern uns dann.

Ganz im „Sinne der Patientensicherheit“ sei es laut KV dringend geboten ist, den Apotheken Grenzen zu setzen. „Grenzen, die wir alle den Apothekerinnen und Apothekern aufzeigen müssen.“

Grenze Nummer eins: Stasi-Methoden. „Dokumentieren Sie bitte – anonymisiert und ohne Patientendaten – Fälle, in denen eine inkompetente Beratung durch Apotheken stattgefunden hat. Diese formlose Dokumentation übermitteln Sie uns. Bitte auch gegebenenfalls die Unterlagen, die die Apothekerin oder der Apotheker mitgegeben haben“, appeliert die KV Hessen an ihre Mitglieder.

Hier werden also ganz im Sinne der Patientensicherheit die Patient*innen direkt mit hineingezogen. Es ist ja eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis ein*e Apothekeninhaber*in mal auf die gleiche Idee kommt…

Bestellen wir doch einfach alle im Internet!

„Sprechen Sie mit Ihren Apothekerinnen und Apothekern vor Ort und signalisieren Sie, dass es insbesondere beim Bezug des Sprechstunden- und Praxisbedarfs immer Alternativen gibt.“ Und direkt nächster Punkt: „Parallel dazu werden wir mit zuverlässigen Anbietern Gespräche führen, um zum Beispiel über Rezeptterminals in den Praxen Rezepte auf einem Weg einlösen zu können, der nicht durch inkompetente Beratung belastet ist. Dadurch sollten sich neue, patientenorientierte Lösungen finden lassen.“

Die „Wir-holen-uns-das-Dispensierrecht-wenn-ihr-dies-oder-jenes-tut-Ankündigung – die allgegenwärtige Drohung der Ärzteschaft, wenn sie sich auf den Fuß getreten fühlt – scheint doch nicht so leicht umzusetzen sein. Aber irgendwie muss man diesen Weißkitteln ohne fachliches Wissen, pardon kompetente Beratung, ja schaden können.

Denn am Ende geht es doch nur ums Geld.

„Wir werden auch eine rechtliche Überprüfung des Gesetzes in die Wege leiten. Abgesehen davon, dass wir natürlich die Vergütungshöhe (11,20 Euro für eine Blutdruckmessung, 20 Euro für die Erklärung eines Inhalators) als Benchmark für zukünftige Honorarverhandlungen und eine Neubewertung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) ansehen werden.“

Jede*r sollte für seine Leistungen adäquat bezahlt werden, das bestreitet niemand. Aber lohnt es sich dann nicht, all seine Energie dort hinein zu stecken, als wild um sich zu schießen? Die Apotheken streben weder die Weltherrschaft an, noch wollen sie illegale Arztpraxen betreiben. Sie bekommen nun lediglich Geld für pharmazeutische Dienstleistungen.

Unsere Nachbarn haben eine Rutsche mit Kletterwand in ihrem Garten. Wir nicht. Mein Sohn denkt, er verdient auch eine. Ich erkläre ihm, dass wir gerne gemeinsam mit den Nachbarskindern dort spielen können. Er findet, ich bin doof, weil er keine Rutsche bekommt. Mein Sohn ist zwei Jahre alt.

Während also hierzulande das Herz der Ärzteschaft bei dem Gedanken daran, dass in einer Apotheke Blutdruck gemessen und auch noch darüber geredet wird, stillsteht, dürfen Apother*innen in den USA nun Paxlovid ohne Rezept abgeben...

Geht es am Ende vielleicht gar nicht um die Patientensicherheit, sondern nur ums Geld?

Ich habe den Kampf satt.

Als nächstes traut man sich als Angestelle*r nicht mehr aus der Apotheke. Die KV könnte ja dazu aufgerufen haben, alle Apotheken-Verbrecher*innen mit Tomaten zu bewerfen. Wie konnte es so weit kommen?

Gerade in Zeiten, in denen von allen Seiten propagiert wird, dass man zusammenhalten soll, eine Front bilden – gegen das Corona-Virus, die Energie-Krise, den Krieg in Europa – zerfleischen sich zentrale Spieler des Gesundheitssystems. Und zwar von oberster Stelle. Ganz offiziell. Mit den Worten: Die pharmazeutischen Dienstleistungen und ihre Vergütungen seien nun eine „Kriegserklärung“ der Apothekerinnen und Apotheker an die Ärzteschaft – „auch wenn man mit solch martialischen Begriffen ja gerade im Moment sehr vorsichtig umgehen sollte“. Dann kann man sich die Worte ja auch sparen, wenn man sie selbst unangebracht findet.

War ich zunächst wütend und gekränkt, bin ich nun einfach traurig. Und kraftlos. „90 Euro für die Eingabe von fünf Medikamenten in eine Datenbank und ein paar ausgedruckte Blätter sind eine Unverschämtheit gegenüber uns Vertragsärztinnen und -ärzten.“ – mangelnde berufliche Anerkennung, fehlender Respekt und das auch noch in Sarkasmus verpackt zeigt mir nur, dass sich niemand mit seinem Gegenüber wirklich auseinandersetzen möchte, sondern lediglich emotional reagiert und verletzen möchte.

Wie schön wäre es, wenn einfach mal alle ihren Stolz runterschlucken und zusammenarbeiten könnten, auf menschlicher wie fachlicher Ebene. Wir wollen doch alle nur das Beste für den Menschen – ob wir ihn als Patient*in oder als Kund*in bezeichnen. Und es gibt ja weiß Gott genug andere Probleme in der Welt.

Quelle: KV Hessen

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