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Politik

KEIN GROSSER WURF

Eine deutliche Senkung der steigenden Arzneimittelkosten bei gleichzeitigem Erhalt der Innovationskraft der Branche: Das ist das Ziel des „Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV“.

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Mit dem Ergebnis des neuen Gesetzentwurfes sind weder die Gesetzlichen Krankenkassen noch die Pharmaindustrie zufrieden. Und die Apotheken sollten sich nicht zu früh freuen. Am 25. Juli 2016 legte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Entwurf eines Gesetzes vor, das die Ergebnisse des Pharmadialogs umsetzen soll.

Der ressortübergreifende Pharmadialog war im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart worden, um den Standort Deutschland für Forschung und Produktion zu stärken. Und in der Tat finden sich einige Dialogthemen im GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – so der Name des Entwurfs – wieder. Impulse, um den Standort Deutschland für Forschung und Produktion zu stärken, sucht man darin vergeblich.

Im Gegenteil. Markteingriffe, die im Pharmadialog so nicht besprochen wurden, sollen die Arzneimittelmehrausgaben verhindern. Zudem bleibt der Gesetzentwurf an vielen wichtigen Stellen vage. Die Pharmaindustrie beklagt weitere Delegation von Aufgaben an die Selbstverwaltung, den Krankenkassen gehen die Instrumente zur Kostendämpfung nicht weit genug. Die Apotheken können einen Zwischenerfolg für bessere Vergütung von Rezepturen und Betäubungsmittelabgabe verbuchen. Die wichtigsten Regelungen von A bis Z in einem kurzen Überblick.

Antibiotika Ein wichtiges Anliegen des BMG ist es, die Entwicklung dringend benötigter Antibiotika zu fördern und die Resistenzbildung zu verzögern. Dazu sollen die Erstattungsregelungen für diagnostische Verfahren verbessert und die Besonderheiten von Antibiotika im Festbetragssystem abgebildet werden. Insbesondere sollen sogenannte Reserveantibiotika von der Festbetragsgruppenbildung ausgenommen werden, damit es sich für Pharmahersteller lohnt, neue Wirkstoffe zu entwickeln.

Arztinfomationssystem Um die Versorgung der Patienten zu verbessern und dem Arzt Hinweise zur Wirtschaftlichkeit bei der Verordnung zeitnah an die Hand zu geben, sieht die Neuregelung vor, dass der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung den Auftrag erhält, die Beschlüsse zur frühen Nutzenbewertung für Ärzte innerhalb eines Monats nach Beschlussfassung praxistauglich und schnell zugänglich aufzubereiten.

Die konkrete Umsetzung in den derzeit verwendeten Praxisverwaltungssystemen ist noch unklar. Die Mindestanforderungen an das Arztinfomationssystem sollen erst in einer späteren Rechtsverordnung definiert werden.

Preismoratorium Nicht ganz unerwartet, aber im Pharmadialog nicht thematisiert, sieht der Gesetzentwurf eine Verlängerung des in 2010 eingeführten Preismoratoriums (zeitlich begrenzte Preisbindung) bis Ende 2022 vor, um die Krankenkassen um bis zu zwei Milliarden Euro zu entlasten. Das BMG begründet sein Vorhaben mit Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich. Ab dem 1. März 2018 soll erstmalig zumindest eine Preiserhöhung im Rahmen der Inflationsrate möglich sein.

Rabattverträge Rabattverträge haben sich zwar als wettbewerbliches Kostendämpfungsinstrument bewährt, Lieferengpässe von Rabattarzneimittel sorgen jedoch seit Jahren bei Patienten und Apotheken für Verärgerung. Ursache für solche Probleme sind häufig zu kurze Vorlaufzeiten für den Ausschreibungsgewinner. Die Neuregelung sieht eine Verlängerung der Zeit zwischen Zuschlagserteilung und Auslieferungsbeginn vor, damit Rabattarzneimittel zum Auslieferungsbeginn im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen. Ein Schritt in die richtige Richtung.

Umsatzschwelle Zwar soll es beim Grundsatz der freien Preisbildung für Patentarzneimittel im ersten Jahr bleiben, gleichwohl soll eine „Notbremse“ für besonders teure Innovationen gesetzlich verankert werden. Vorgesehen ist, eine Umsatzschwelle in Höhe von 250 Millionen Euro einzuführen.

Übersteigen die Ausgaben der Krankenkassen zu Apothekenverkaufspreisen (einschließlich Umsatzsteuer) für alle Arzneimittel mit demselben Wirkstoff innerhalb der ersten zwölf Kalendermonaten den Betrag, gilt der ausgehandelte Erstattungsbetrag rückwirkend ab dem ersten Tag des Monats, in dem der Betrag erstmals überschritten wurde und nicht erst ab dem dreizehnten Monat. Bleibt es bei dieser Umsatzschwelle, wären voraussichtlich nur einige wenige Arzneimittel betroffen. Die Kassenkassen fordern jedoch vehement eine Verschärfung dieser Grenze.

Vergütung Apotheken Im Referentenentwurf finden sich zudem Honorarerhöhungen für Apotheken. Für Rezepturen und das Handling von Betäubungsmittel- und T-Rezepten soll es künftig mehr Geld geben, summa summarum einhundert Millionen Euro. So ist für Rezepturen ein Beratungszuschlag in Höhe von 8,35 Euro (abzüglich des Kassenabschlags von 1,77 Euro) vorgesehen und die Arbeitspreise werden um jeweils einen Euro erhöht.

Ferner soll dem erhöhten Dokumentationsaufwand in Apotheken für die Abgabe von Betäubungsmitteln sowie Arzneimitteln, die die Wirkstoffe Lenalidomid, Pomalidomid oder Thalidomid enthalten (T-Rezepte) mit eine zusätzliche Vergütung von 2,91 Euro pro Rezept (bisher 0,26 Euro) Rechnung getragen werden.

Vertraulichkeit Die öffentliche Listung des ausgehandelten Rabatts für Patentarzneimittel (Erstattungsbetrag) ist der forschenden Pharmaindustrie schon lange ein Dorn im Auge, da ein hoher Preisnachlass hierzulande auch die Preise in anderen europäischen Ländern und darüber hinaus drückt (Preisreferenzierung).

Im Pharmadialog wurde vor diesem Hintergrund ein Verzicht auf die öffentliche Listung des Erstattungsbetrages vereinbart. Doch wie die Vertraulichkeit sichergestellt werden soll, ist im Gesetzentwurf nur vage geregelt: Kenntnis sollen ausschließlich diejenigen Stellen haben, die den Erstattungsbetrag zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben in Deutschland benötigen.

Also alle Ärzte und Apotheken? Erst eine Rechtsverordnung soll, so die Pläne des BMG, Details regeln. Verglichen mit früheren Reformen wie das Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) und das Arzneimittelmartktneuordnungsgesetz (AMNOG) ist der Gesetzentwurf zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV kein großer Wurf.

Darin wird auch das parlamentarische Verfahren nicht viel ändern. Krankenkassen und Pharmaindustrie werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren mit Vehemenz Nachbesserungen zu ihren Gunsten fordern und voraussichtlich Korrekturen und Ergänzungen im Detail bewirken. Die Apotheken könnten zwischen die Fronten geraten. Denn noch ist die Apothekenvergütung nicht in trockenen Tüchern.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 10/16 ab Seite 114.

Dr. Michael Binger, Hessisches Ministerium für Soziales und Integration

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