Sigmund Freud © Porträtfoto von 1926 / Ferdinand Schmutzer
© Porträtfoto von 1926 / Ferdinand Schmutzer

Krankheiten berühmter Persönlichkeiten

KEIN FREUD OHNE LEID

Die Seele als Krankheitsursache entdeckt zu haben ist das große Verdienst von Sigmund Freud. Dass er selbst ein körperliches Martyrium erdulden musste, ist die Kehrseite des „Seelendoktors“.

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Der Hauptpatient, der mich beschäftigt, bin ich selbst – sagte Sigmund Freud einmal. Der am 6. Mai 1856 in Freiberg in Mähren, damals österreichisch, heute tschechisch, geborene Arzt, genauer Neurologe, Tiefenpsychologe, auch Kulturtheoretiker und Religionskritiker, der insbesondere als Begründer der Psychoanalyse weltweit Bekanntheit erlangte und immer wieder kontrovers diskutiert wurde, meinte damit allerdings: Ein Psychiater muss sich erst einmal selbst ergründen, um andere Menschen, seine Patienten, verstehen zu können. Tatsächlich wurde Freud aber erwiesenermaßen immer wieder von körperlichen Krankheiten malträtiert.

Krankheit als ständiger Begleiter Im Herbst 1882 – damals hatte er gerade nach erfolgreich abgeschlossenem Medizinstudium seine erste Stelle im Wiener Allgemeinen Krankenhaus inne und arbeitete im Laboratorium für Gehirnanatomie im Bereich der Neurophysiologie – wurde bei ihm eine leichte Form von Typhus diagnostiziert. Im folgenden Frühjahr machten Freud erst der Ischiasnerv und dann die Pocken zu schaffen. Wegen Letzteren verbrachte er sogar einige Zeit in Quarantäne. Immer wieder wurde er von Rheuma- und Migräneattacken heimgesucht. Außerdem litt er unter einer chronischen Entzündung der Nebenhöhlen, gegen die er bis 1895 das Stimulans Kokain verwendete.

VORSCHAU
In unserer Serie „Krankheiten berühmter Persönlichkeiten“ stellen wir Ihnen demnächst folgende
Menschen vor:
+ Ludwig II
+ Friedrich Nietzsche (paranoide Schizophrenie)

Freud empfand diese körperlichen Beschwerden selbst jedoch als harmlos im Vergleich zu seinen seelischen Beschwerden, seinen extremen Stimmungsschwankungen mit starken depressiven Phasen, mit Zwangsneurosen wie Reiseangst und Angst vor Zuspätkommen. Interessanterweise verschwanden viele seiner psychischen Probleme – die womöglich mit ein Anlass waren, dass er sich ab 1896 intensiver mit „Psychoanalyse“, wie er es selbst nannte, befasste –, nachdem er 1902 in Wien zum außerordentlichen Titular-Professor ernannt wurde.

Rauchen – die Sucht Im Alter von 37 Jahren berichtete Freud das erste Mal über Herzbeschwerden. Die behandelnden Ärzte kamen jedoch nicht zu einer einheitlichen Diagnose: Einige sprachen von Angina pectoris, andere von einer Herzmuskelentzündung. Die einhellige Empfehlung war jedoch: Freud, der nikotinsüchtig war und häufig 20 Zigarren am Tag rauchte, sollte das Rauchen aufgeben. Freud startete mehrmals den Versuch, es zu reduzieren oder ganz wegzulassen. Doch die Abstinenz ließ ihn jedes Mal körperlich in Aufruhr geraten, geistig fühlte er sich zu nichts fähig, sodass es bei kläglichen Versuchen blieb.

Er sei nun einmal außerstande, ohne Zigarren schöpferisch zu arbeiten, lautete sein Alibi für den intensiven Tabakgenuss. Die Sucht hatte ihn fest im Griff. Im November 1917 spürte Sigmund Freud dann erstmals Veränderungen in seiner Mundhöhle. Er bemerkte auch, dass diese unmittelbar mit seinem Rauchen, dem intensiven Nikotinkonsum, zusammenhängen. Da sein Gaumen jedoch immer anschwoll, wenn ihm Nikotin fehlte, rauchte er intensiv weiter. Freud war damit ein Meister im Ausblenden von Tatsachen, wenn es um die eigene Gesundheit ging.

Die Krebserkrankung Sechs Jahre später entdeckte Freud dann eine Geschwulst in seiner Mundhöhle. Hausarzt und Internist hegten zwar den Verdacht einer Krebserkrankung, redeten dem Patienten gegenüber aber von einer ausgeprägten Leukoplakie (Weißschwielenkrankheit), einer – häufig durch Nikotin oder Alkohol verursachten – Verdickung der Mundschleimhaut, die meist harmlos verläuft. Sie rieten allerdings zur Operation – und so erfolgte am 20. April 1923 die erste, um die Geschwulst entfernen zu lassen.

»Gegen eine chronischen Entzündung der Nebenhöhlen verwendete Freud bis 1895 das Stimulans Kokain.«

Der Untersuchungsbefund der Gewebsprobe des mittlerweile 66-Jährigen ergab als Diagnose Epithelialkrebs. „Es geht mir nicht sehr nahe“, schrieb er hierzu, „man wird sich eine Weile mit den Mitteln der modernen Medizin wehren und sich dann der Mahnung von Bernhard Shaw erinnern: Dont‘t try to live forever, you will not succeed.“ Doch da hatte Freuds Martyrium gerade erst begonnen. Da die erste Operation völlig unzureichend war, wurde am 12. Oktober 1923 unter Lokalanästhesie eine Radikaloperation mit Resektion des größeren Teils des rechten Oberkiefers, des rechten weichen Gaumens durchgeführt.

Schon am 12. November folgte die Resektion des Unterkiefers und des weichen Gewebes, da bei den vorherigen Operationen immer nur ein Teil des Tumorgewebes entfernt worden war. Den Verlust ersetzten die Ärzte später durch eine Kiefergaumenprothese, die Freud nur mit fremder Hilfe einsetzen und herausnehmen konnte und die immer wieder neu angepasst werden musste. Der mechanische Kieferersatz wurde für ihn zu einer lebenslangen Schinderei. Zudem konnte der Verlust des größten Teils der Mundschleimhaut durch Transplantationen nicht völlig ausgeglichen werden.

„Das Resultat war ein Leben endloser Qual. Essen, Rauchen und Reden war nur mit großer Anstrengung und unter Schmerzen möglich“, erzählte der Hausarzt Dr. Max Schurr. Obwohl der Tumor in seiner Mundhöhle zweifellos vom Tabakrauch stammte, konnte Freud bis zu seinem Tod nicht von seinen geliebten Zigarren lassen. Ab 1926 begann ein nie endender Zyklus von Leukoplakie, Proliferation, präkanzerösen Veränderungen, die in weiteren 30 durchaus qualvollen Eingriffen behoben werden mussten. Erst 1936 war eine dieser Veränderungen wieder bösartig.

Zu regelmäßiger Arbeit, auch noch zur Behandlung von Patienten, zwang sich Freud dennoch bis in seine letzten Lebenstage. Selbst in London, wohin der jüdischstämmige Freud sich gezwungen sah von Wien aus 1938 zu emigrieren, gab er seine Analytikerpraxis nicht auf. Im Londoner Exil wurde letztmalig operiert, anschließend wurde eine chirurgisch nicht entfernbare Gewebsveränderung versucht, mit Röntgenstrahlen in Schach zu halten. Vergebens!

Der Tumor wucherte ungehemmt weiter, Fäulnisgeruch machte sich aus der Kieferhöhle breit. Als es selbst Freuds treuer Hund, ein Chow-Chow, nicht mehr bei seinem Herrchen aushielt, ließ Freud am 21. September 1939 Dr. Max Schur zu sich kommen und erinnerte ihn an ein vor Jahren gegebenes Versprechen auf Sterbehilfe. Am frühen Morgen des 23. September 1939 starb der Psychoanalytiker Sigmund Freud schließlich an einer Überdosis Morphin – immerhin 83-jährig. Ganze 16 Jahre hatte der schmerzvolle Gaumenkrebs ihn damit im Griff.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/14 ab Seite 86.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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