© alphaspirit / 123rf.com

Stottern

INNERE BLOCKADE

Einfach mal drauflos zu sprechen ist für Betroffene schwierig, denn häufig bleiben sie an Worten hängen. Somit kann eine Kommunikation für sie zu einem unüberwindbaren Hindernis werden.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Vielleicht kennen Sie die Situation: Sie begrüßen einen Kunden, der eine kurze Zeit in der Schlange stand und darauf gewartet hat, dass Sie ihm weiter helfen. „G-g-g-g-g-g-guten Tag!“ presst er heraus und bemüht sich, den Satz möglichst schnell zu Ende zu sprechen. Betroffene empfinden meist große Scham, wenn es ihnen im Gespräch nicht gelingt, ihre Sprechblockade zu überwinden. Weil belanglose Situationen wie Telefonate, Kioskbesuche oder auch der morgendliche Brötchenkauf zur frustrierenden Herausforderung werden, ist die Lebensqualität der Patienten oft enorm beeinträchtigt.

Stotterer sind nicht allein Kein Mensch stottert wie ein anderer, somit ist das Stammeln zwar individuell, aber durchaus nicht selten: Allein in Deutschland gibt es mehr als 800 000 Betroffene. Etwa fünf Prozent der Kinder zwischen drei und zehn Jahren leiden unter einem gestörten Redefluss – Jungen sind häufiger betroffen als Mädchen. Ob „der Graf“, Sänger der Band „Unheilig“, John Paul Larkin alias Scatman John, Bruce Willis oder Marilyn Monroe – auch viele Prominente kämpften regelmäßig um Worte. Oft bestehen Vorurteile gegenüber Personen mit einer Sprechbehinderung und man glaubt, dass Stottern eine psychische Erkrankung ist. Es handelt sich jedoch um eine zentralnervöse Störung des Sprechens und seiner Planung.

Sprachlicher Hürdenlauf Zu Beginn tritt das Stottern phasenweise auf, wobei die Silben häufig gedehnt und die Laute durch Bewegungen der Arme, Beine und des Oberkörpers begleitet werden. Mit der Zeit können sich Sekundärsymptome wie Satzumstellungen, Vermeidungsverhalten oder Kommunikationsängste einstellen. Gefühle und soziale Situationen verstärken die Problematik häufig. Beim Singen, Flüstern oder beim Kommunizieren mit Tieren nehmen die Schwierigkeiten in der Regel ab, hingegen steigen sie bei Müdigkeit, Anstrengung oder bei Unterhaltungen mit Autoritätspersonen.

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Stottern, bei dem Wortteile oder Buchstaben wiederholt werden , und solchem, bei dem während des Redens Pausen eingelegt werden (tonisches Stottern). Außerdem gibt es Mischformen aus beiden Varianten.

Verschiedene Auslöser Man vermutet, dass eine genetische Disposition in Kombination mit bestimmten Umweltfaktoren zum Stottern führt. Es existieren auch Hinweise darauf, dass sich die Gehirne von stotternden und nicht-stotternden Personen strukturell unterscheiden. Besonders das Broca-Zentrum (motorische Sprachregion) scheint beeinträchtigt zu sein. Stottert ein Kind im Vorschulalter, wächst sich die Sprechstörung unter Umständen im Laufe der Zeit heraus, indem sie sich mit zunehmender Reifung des Gehirns zurückbildet. Bei wem sich die Problematik verliert, ist jedoch nicht vorhersagbar.

Schluss mit dem Stammeln Meist ist das Selbstbewusstsein der Patienten so stark angeschlagen, dass einige im schlimmsten Falle eine soziale Phobie entwickeln. Dies äußert sich darin, dass sie belastende Situationen meiden und sich immer mehr aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen. Freunde, Berufe und Hobbies werden – wenn überhaupt – möglichst so gewählt, dass man nur wenig sagen muss. Aufgrund der zahlreichen Folgen sollten die Schwierigkeiten beim Reden unbedingt therapiert werden.

TIPP
Der nächste Welttag des Stotterns ist übrigens am 22. Oktober. Er soll zum einen Stotternde ermutigen, sich nicht zu verstecken und zum anderen Vorurteile gegenüber Patienten abbauen.

Eine Methode ist das Fluency Shaping, bei der die Patienten lernen, zunächst sehr langsam zu sprechen, bis das Tempo allmählich erhöht wird. Das Ziel der sogenannten Stottermodifikation hingegen besteht in einer Veränderung der eigenen Reaktion beim Auftreten von Störungen im Redefluss. Betroffene lernen spezielle Vorgehensweisen, um akute Situationen zu erkennen und abzuwenden, sodass die Störung beherrschbar und weniger angstbesetzt wird.

Für Eltern empfiehlt es sich grundsätzlich, die Sprösslinge ausreden zu lassen und sie nicht zu kritisieren. Stottern sollte nie tabuisiert werden, ein offener Umgang hingegen ist hilfreich, um den Menschen zu vermitteln, dass sie sich für ihre Konversationen mit Sprechpausen nicht schämen müssen. Unter www.eltern.bvss.de können betroffene Familien miteinander in Kontakt kommen, sich austauschen und einander den Rücken stärken.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/14 ab Seite 110.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin (FJS)

×