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Erkrankungen im Kindesalter

IN RUHE AUSREIFEN LASSEN

Die Hüftdysplasie ist die häufigste Fehlbildung des Skeletts im Säuglingsalter. Wenn sie rechtzeitig erkannt und konsequent behandelt wird, bestehen gute Chancen, dass sie vollständig ausheilt.

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Etwa vier von hundert Kindern kommen hierzulande mit einer Hüftdysplasie auf die Welt oder entwickeln eine in den ersten Lebenswochen. Genauer gesagt ist eine Hüftgelenkdysplasie gemeint: Normalerweise sollte der Kopf des Oberschenkelknochens (Femurkopf/Hüftkopf) genau in die Gelenkpfanne im Beckenknochen passen und von ihr zu einem guten Teil umschlossen sein. Bei einer Hüftgelenkdysplasie ist jedoch die Gelenkpfanne zu klein und/oder steht außerdem zu steil im Becken. Gleichzeitig ist die Reifung der noch knorpeligen Gelenkstrukturen in stabileren Knochen verzögert oder gestört. Die Folge: Der Hüftkopf sitzt nicht stabil in der Gelenkpfanne.

Weil die Gelenkpfanne normalerweise seitlich/oberhalb auf dem Hüftkopf sitzen sollte, spricht man auch von einer ungenügenden Überdachung des Hüftkopfes durch das Pfannendach. Je nachdem, wie stark die Dysplasie ausgeprägt ist, kann sich der Hüftkopf teilweise oder sogar vollständig ausrenken (Subluxation bzw. Luxation). Die Hüftdysplasie bereitet dem Baby – Mädchen sind häufiger betroffen als Jungen – zunächst keine Probleme, solange es ganz überwiegend auf dem Rücken liegt. Sobald das Kind jedoch zu laufen beginnt, kommt es zu Fehlbelastungen der Gelenkstrukturen und in der Folge zu Abnutzung und frühzeitiger Arthrose. Diese ist dauerhaft mit Schmerzen und Einschränkungen im Alltag verbunden.

Mögliche Ursachen Warum manche Säuglinge eine Hüftdysplasie aufweisen, ist nicht genau bekannt, es wurden aber einige Risikofaktoren identifiziert: So haben Babys, die in Beckenendlage geboren werden, ein erhöhtes Risiko. Gleiches gilt für Zwillinge, vermutlich weil sie in der Gebärmutter wenig Platz haben. Zudem scheinen weibliche Geschlechtshormone eine Rolle zu spielen sowie auch eine erbliche Veranlagung. Schließlich gibt es regionale Häufungen – so gelten Sachsen, Franken, Hessen und möglicherweise die bayrische Oberpfalz als sogenannte Dysplasienester.

Frühe Diagnose Weil eine Hüftdysplasie zunächst keine Probleme bereitet, kann sie leicht übersehen werden, besonders, wenn sie nur geringfügig oder moderat ausgeprägt ist und man nicht gezielt darauf achtet. Deshalb ist die Untersuchung auf Hüftdysplasie und Hüftluxation seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland fester Bestandteil der U3, die bei allen Kindern in der vierten bis fünften Lebenswoche stattfindet. Seitdem sind schwere langfristige Folgen erheblich seltener geworden. Bei der klinischen Untersuchung fällt bei Babys mit Hüftdysplasie – in Abhängigkeit des Schweregrades – meist auf, dass sie das betroffene Bein nicht so weit abspreizen können wie das gesunde; in Rückenlage kann bei Mädchen die Schamfalte verzogen sein, auch die Gesäßfalten können sich auf unterschiedlicher Höhe befinden und/oder die Analfurche schräg sein; zudem können die Beine erkennbar unterschiedlich lang erscheinen.

Fester Bestandteil der U3 ist außerdem die Ultraschall-Untersuchung der Hüfte. Weil die Gelenke zu diesem Zeitpunkt noch überwiegend aus Knorpelmaterial bestehen, ist der Ultraschall als Untersuchungsmethode optimal geeignet. Erst wenn im Laufe des ersten Lebensjahres die Strukturen zunehmend verknöchern, gewinnt das Röntgen an Bedeutung. Die Ultraschall-Untersuchung erfolgt nach einer von dem österreichischen Orthopäden Reinhardt Graf in den 1970er Jahren entwickelten standardisierten Methode. Dafür wird das Baby seitlich in eine U-förmige, gepolsterte Schale gelegt (sodass es stabil und bequem liegt) und es werden von beiden Hüften je zwei definierte Bilder aufgenommen. Ausgemessen werden darauf jeweils der sogenannte Alpha- und der Beta-Winkel, die die Qualität der knöchernen und der knorpeligen Überdachung beschreiben. Anhand der Größe dieser Winkel lässt sich der Schweregrad der Hüftdysplasie bestimmen.

Behandlung Danach richtet sich eine eventuell notwendige Therapie. Dabei macht man sich zunutze, dass das Gelenk während des ersten Lebensjahres noch ausreift und sich in dieser Zeit formen lässt. Ziel ist es, das betroffene Gelenk in diesem Zeitraum in eine für die Ausreifung günstige Position zu bringen, also in eine Sitz-Hock-Stellung, in der die Beine nach außen abgespreizt sind, die das ungeborene Kind auch im Bauch der Mutter innehatte. Das ist übrigens auch die Haltung, die ein Kind hat, wenn es in einem Tragetuch getragen wird: Was für einen unbeteiligten Erwachsenen extrem unbequem aussieht, ist für die gesunde Entwicklung der Hüfte optimal.

Das gilt auch für Kinder ohne Hüftdysplasie, bei denen die Hüfte während des ersten Lebensjahres ebenfalls physiologisch ausreift. Bei einer nur geringfügig ausgeprägten Hüftdysplasie genügt es, das Kind breit zu wickeln: Werden Einmal-Windeln verwendet, kann man beispielsweise noch eine zweite Windel verkehrtherum über die erste ziehen. Weil die Windeln hinten breiter sind, muss das Baby dann die Beine automatisch etwas weiter auseinanderspreizen. Alternativ kann man ein gefaltetes Moltontuch oder eine Stoffwindel zusätzlich zwischen die Beine legen. Bei einer stärker ausgeprägten Hüftdysplasie kommt eine Spreizhose oder eine Spreizschiene zum Einsatz, die das Baby Tag und Nacht tragen muss (außer zum Wickeln), und die innerhalb der abgespreizten Sitz-Hock-Stellung noch Bewegungsfreiheit erlaubt.

Bei noch stärkerer Ausprägung wird ein sogenannter Fettweis-Hüftgips angepasst, der den Bauch umschließt und die Beine in der gewünschten Stellung fixiert. In sehr schweren Fällen kann zuvor eine Einrenkung oder eine Operation erforderlich werden. Die Schiene beziehungsweise der Gips müssen üblicherweise für einige Wochen bis Monate getragen werden, während derer in regelmäßigen Abständen der Therapieerfolg kontrolliert wird. Sodann werden die Maßnahmen langsam wieder zurückgenommen: Ein Baby, das zuerst einen Gips tragen musste, wird danach zumeist für einige Zeit eine Schiene tragen müssen und wird zuletzt noch breit gewickelt. Grundsätzlich gilt: Je früher die Behandlung begonnen wird, desto besser sind die Heilungschancen und desto kürzer ist die notwendige Behandlungszeit. Andersherum bedeutet das: Wird der optimale Zeitraum verpasst, so sinken die Chancen auf ein optimales Behandlungsergebnis.

Seltene Ursachen In seltenen Einzelfällen können sich hinter einer Hüftdysplasie auch schwerwiegende Ursachen wie angeborene Stoffwechselerkrankungen verbergen. Daran werden Ärzte vor allem denken, wenn die Babys zusätzlich noch weitere Auffälligkeiten zeigen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 ab Seite 86.

Dr. rer. nat. Anne Benckendorff, Medizinjournalistin

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