© Die PTA in der Apotheke
© Die PTA in der Apotheke

Jubiläum – DIE PTA IN DER APOTHEKE

IHRE PERSÖNLICHE GESCHICHTE

„Schicken Sie uns Ihre persönlichen 40-Jahre-PTA-Geschichten, Anekdoten und besondere Ereignisse“ – so lautete unser Aufruf. Eine ganz besonders interessante Einsendung lesen Sie nachfolgend.

Seite 1/1 5 Minuten

Seite 1/1 5 Minuten

Als meine Eltern Horst und Marlies Boelitz am 1. April 1951 von meiner Großtante die Apotheke in Mengeringhausen übernahmen, wurde mir die Apothekerei, die Giftmischerei und die Pillendreherei mit in die Wiege gelegt. Im gesamten Haus, in dem die Mengeringhäuser Apotheke seit 1865 beheimatet ist, fand man Spuren von Apotheke. So im Keller, dem Arzneikeller, mit großen Glasflaschen, so genannten Standgefäßen, voller geheimnisvoller Flüssigkeiten und dem Giftschrank, gebrochen in die dicken Grundmauern, mit Tür verriegelt und verschlossen.

In der Apothekenetage war das Labor, wo Zink und Talkum gesiebt und Lanolin auf dem Wasserbad in einer Fantaschale geschmolzen wurde, um kiloweise weiche Zinkpaste durch sorgfältiges Rühren herzustellen. Auf der halben Treppe befinden sich noch heute zwei Schränke, in denen damals Gläser mit verschiedenen Pillen gelagert wurden. In der Apotheke selbst gab es riesige große Dosen mit wohlriechendem Pfefferminz- und Kamillentee und ganz viele weitere Drogen.

Und die Rezeptur, das war mein Traum: Dort wurden kleine Mengen Medikamente nach ärztlicher Verordnung auf der Balken- oder Handwaage abgewogen, dann gekocht - zum Beispiel Infusum Ipecacuanha, ist der Name nicht toll - gerührt, geschüttelt, gelöst und filtriert und auch „Pillen gedreht“. Besonders gerne schaute ich hierbei zu, wie flink dieses handwerkliche Geschick Fräulein Schilling von der Hand ging, die von mir liebevoll Tante Titi genannt wurde.

Die Herstellung von Kopfschmerzpulvern und Zäpfchen fand bei mir großes Interesse. Später stellte ich mal für eine Feier Schokoladenzäpfchen her, die aber leider keiner so richtig lecker fand und probieren wollte. Während der Eierlikör aus Apothekenherstellung ein immer gern gesehenes Geschenk war.

Abgefüllt wurden die Rezepturen in runde oder eckige Flaschen, bekamen je nach Anwendung – innerlich oder äußerlich – ein weißes oder rotes Etikett und wurden mit einem Korken verschlossen, darüber kam eine Textur, ein Papierhütchen, das durch einen Rezepturbindfaden mit einem besonderen Knoten befestigt wurde. In großen Mengen stellten wir Teemischungen, Vitaminsäfte und Hustensäfte her, wobei zuvor kiloweise Zuckersirup gekocht wurde.

Hatten wir mal großen Durst, es war Sommer, führte unser Weg in die Apotheke und es gab als besondere Delikatesse statt Erdbeer- oder Apfelsaft mal ein Glas selbst gemachte Zitronenbrause. Bei einem Sturz auf dem Hof musste die Tinktur aus der Jodflasche herhalten und hier noch ein Tipp für junge Mütter, deren Kinder abends nicht einschlafen wollen: Meine Mutter hatte im Badezimmerschränkchen eine kleine braune Tropfflasche mit rotem Deckel aus der Apotheke, allerdings ohne Etikett. Falls ich mal nicht einschlafen konnte, bekam ich fünf Tropfen auf ein halbes Glas Wasser- und danach schlief ich prima. „Was war dort drin?“, fragte ich sie später, als ich selber Kinder hatte. „Na, Zuckerwasser!“, antwortete sie.

Und es gab natürlich die vielen bunten Arzneimittelschachteln, die auf Rezept aufgeschrieben wurden oder ohne ärztliche Verordnung auf Kundenwunsch verkauft wurden. Sie befanden sich in Schubladen und Schränken, ein Generalalphabet wie heute gab es nicht. Tabletten, Salben, Zäpfchen, Säfte, Tropfen, Pulver und Puder alles nach Darreichungsform, so heißt es, wohl geordnet.

Es gab viele verschiedene Medikamente, allerdings war das Angebot überschaubarer als heute. Es gab keinen Computer, sondern nur die Woelmtaxe, die monatlich durch Aufkleber, die man anlecken musste, aktualisiert wurde. Außerdem stand die Rote Liste zur Verfügung. Nur zum Vergleich, heute gibt es in einer gut sortierten Apotheke alleine über 100 Ibuprofenpräparate in allerlei Darreichungsformen und verschiedenen Namen. 

Die Ware wurde vom Anschreibeblock fernmündlich bestellt und mittags um 13 Uhr wurde das Paket, mit Draht umwickelt, samt Arzneimittel, verpackt in Holzwolle, vom Mengeringhäuser Bahnhof geholt. Das Rezept kostete 50 Pfennig. Rentner und Kinder waren frei, sie brauchten nichts zu bezahlen.

Neben den Arzneimitteln für die Menschen gab es auch einen Schrank mit Tierarzneimitteln. Die Namen Brunstpulver und Eutersalbe fand ich immer besonders lustig. Außerdem konnte man 4711 und Tosca in der Apotheke kaufen. Das Geschäft aus der Glockengasse in Köln lief zur Weihnachtszeit besonders gut.

Hier eine Erinnerung vom Nikolausabend: Voller Erwartung saß ich im Wohnzimmer und wartete auf das Klingeln an der Tür. Der Nikolaus brachte jedes Jahr ein weißes Leinensäcken mit einem roten Bändchen, gefüllt mit leckeren Sachen. Es klingelte und ich rannte hinaus und fand… einen aufgeblasenen großen Plastikbeutel mit einem Eisbonbon drin. Diese Eisbonbons gab es nur in der Apotheke und die Angestellten oder wer auch immer hatte mir einen Streich gespielt. Silvester erfreute uns mein Vater, indem er draußen Substanzen aus der Apotheke verbrannte, die in verschiedenen Farben leuchteten.

Als Kind war es eine tolle Aufgabe für mich, Damenbinden in grün-weiß kleinkarierte Tüten zu packen und mit einem Klebestreifen zu verschließen. Schließlich durfte den Einkauf keiner sehen! Ich half in meinem weißen Kittelchen, das meine Mutter mir genäht hatte, bei der Aus- und Umzeichnung von Preisen, übernahm später die Abrechnung des Sprechstundenbedarfs und der Krankenkassen und half bei der Herstellung von Defekturen. Heute übe ich den Beruf der pharmazeutisch-technischen Assistentin aus.

Die Apotheke hatte die ganze Woche von morgens bis abends geöffnet und auch am Sonntagmorgen. Selten, aber es kam auch vor, wurde die Hilfe meiner Eltern auch nachts beansprucht. Die Apothekenbetriebsordnung und die sich immer ändernde Gesetzgebung machten es notwendig die bestehende Veranda abzureißen und 1973 wurde ein Nachtdienstzimmer, ein Labor und einen Kühlraum angebaut und die Reise der Arzneimittelversorgung wurde in den letzten Jahren zu einer besondere Reise.

Immer wieder neue Gesetze, so die Negativliste für unwirtschaftliche Medikamente und Festbeträge für Arzneimittel, gestaffelte Zuzahlungen, verpflichtende Abgabe zu Reimporten und 5000 Rabattverträge bei 220 Krankenkassen und über 100 Herstellern rücken den Beruf des Apothekers in ein anderes Licht. Der Wettbewerb zwischen Versand-, Internet- und öffentlichen Apotheken wird strenger und schärfer.

Bestärkt durch die positiven Erlebnisse in meiner Kindheit begann ich 1976 in Kassel mit der Ausbildung zur PTA. Noch heute arbeite ich mit Leib und Seele in diesem Beruf – und erinnere mich gerne an die schöne Zeit in der Mengeringhäuser Apotheke.

Monika Volkmann, Stern-Apotheke in Korbach

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/11 ab Seite 72.

buch von prof. schulze
Jubiläums-Special: Mitmachen, mitwissen und gewinnen!
DIE PTA IN DER APOTHEKE verlost diesen Monat 40 Bücher „Streifzüge durch unser Gehirn“ vom PTA-Autor Prof. Dr. Holger Schulze!
Klicken Sie sich rein und machen Sie mit unter www.pta-aktuell.de/gewinnspiel






×