Eine Trillerpfeife liegt auf dem Holzblock, auf den ein Richter mit seinem Hammer schlägt. Der Hammer liegt daneben.© Moussa81 / iStock / Getty Images Plus
Wer Rechtsverstöße des Arbeitgebers meldet, riskiert im Job einiges. Davor sollen die Whistleblower rechtlich geschützt werden. Unter welchen Umständen genau, wird das Hinweisgeberschutzgesetz regeln.

Hinweisgeberschutzgesetz

MEHR SICHERHEIT FÜR WHISTLEBLOWER

Gepanschte Zytostatika aus der Apotheke, vernachlässigte Menschen im Pflegeheim, gefälschte Erfassung der Arbeitszeit in der Klinik: Wer solche Missstände am eigenen Arbeitsplatz offenlegt, geht Risiken ein. Ein Gesetz soll Meldungen über Verstöße erleichtern. Doch das ist gar nicht so leicht.  

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Der Krebsmittelpanscher – so wird er in den Medien genannt: Peter Stadtmann, früher Apotheker aus Bottrop. Er verdünnte Infusionslösungen für Krebspatienten, rechnete sie aber wie normale Infusionen ab. Zumindest ist das die Überzeugung mehrerer Gerichte. Vor vier Jahren wurde er vom Landgericht Essen zu zwölf Jahren Haft verurteilt und zu einem lebenslangen Berufsverbot. Der Bundesgerichtshof bestätigte 2020 das Urteil im Wesentlichen. Es war von mehr als 14.000 gepanschten Infusionen die Rede.

Der Verein Whistleblower-Netzwerk hat in diesen Tagen an den damaligen Skandel erinnert – und an Martin Porwoll. Er war kaufmännischer Leiter in der Bottroper Apotheke von Stadtmann. Porwoll erstattete Strafanzeige, als er überzeugt war, dass dieser Dosierungen manipulierte. Die Folge, so das Netzwerk: „Sein Arbeitgeber kündigte ihm fristlos, unmittelbar nachdem er in Untersuchungshaft über das Akteneinsichtsrecht seines Anwalts den Namen des Whistleblowers erfahren hatte. Er ließ monatelang Kündigungsgründe nachschieben.“ Einer davon, der nichts mit dem Whistleblowing zu tun hatte, reichte schließlich zu einer Abweisung von Porwolls Kündigungsschutzklage.

„Wie schlimm es dann kommt, kann man sich kaum vorstellen.“

Porwoll hat dem Verein gesagt: „In dem Moment, in dem mir klar wurde, dass ich zum Whistleblower werden würde, schienen mir alle Konsequenzen bewusst… Wie schlimm es dann wirklich kommt, kann man sich kaum vorstellen.“ Der ehemalige Mitarbeiter der Bottroper Apotheke hat zwar in einem Vergleich Geld erstritten. Doch erhalten hat er es dem Verein zufolge nie. Denn sein ehemaliger Chef überschrieb die Apotheke seiner Mutter und sorgte offenbar durch weitere finanzielle Manöver dafür, dass er zahlungsunfähig wurde.

Den Stein ins Rollen brachten zwei – auch die PTA Marie Klein

Was in der Stellungnahme nicht steht: Den Stein ins Rollen brachte damals mit Porwoll die PTA Marie Klein. Sie sagte auch vor Gericht aus, während andere PTA aus der Apotheke von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machten. Aus diesen und weiteren Fällen zieht das Netzwerk heute den Schluss: „Ohne das Insider-Wissen von Whistleblowern wären viele Straftaten und Skandale niemals aufgeklärt worden. Wer aber in Deutschland im Arbeitskontext Straftaten, Fehlverhalten oder Gefahren für Gesundheit, Umwelt oder Demokratie meldet, ist bisher Repressalien weitgehend schutzlos ausgeliefert.“ Deshalb sei der Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG), der seit kurzem vorliegt, eine Verbesserung. Aber: Es gebe Nachbesserungsbedarf bei den vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen.

Das sehen auch weitere Verbände und Einzelexperten so, die sich den Gesetzentwurf näher angeschaut haben. Nur wenige davon kommen aus dem Gesundheitswesen. Aber das Vorhaben des Bundesjustizministeriums (BMJ) hätte auch für Pharmazeutisch-Technische Assistentinnen, Apotheker und viele andere Gesundheitsberufe Folgen. Zwar sind bei zulässigen Meldungen Informationen ausgenommen, bei denen die Verschwiegenheitspflichten beispielsweise in einem Apothekenteam zu berücksichtigen sind. Doch wenn es um gepanschte Zytostatika wie im Bottroper Fall ginge oder Ähnliches, wäre wohl häufig ein Whistleblowing zulässig. Denn dann geht es gerade nicht um einen individuellen Fall, sondern um wiederholte und strukturelle Missstände.

Das Dilemma: Loyale Arbeitnehmerin – oder gute Bürgerin

Doch auch die Gesundheitsberufe sehen sich vor ein Problem gestellt, das nicht leicht zu lösen ist, wie das BMJ schreibt: „Wer sich dazu entschließt, Missstände zu melden oder gar publik zu machen, muss nicht nur mit Repressalien wie beispielsweise Mobbing rechnen, sondern verstößt damit mitunter auch selbst gegen arbeits-, dienst- oder strafrechtliche Bestimmungen […]“

Denn bislang gilt: Vorrang bei beobachtetem Unrecht hat die betriebsinterne Aufklärung. Unternehmen oder Behörden müssen auf Missstände reagieren und sie abstellen können und dürfen nicht vorschnell durch Whistleblowing Schaden zugefügt bekommen. Gerichte haben immer wieder die Pflicht von Arbeitnehmern zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit gegenüber dem Arbeitgeber bestätigt. Aber: „Gesetzliche Vorgaben regeln nicht ausdrücklich, wann […]  die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Pflichten die Verschwiegenheits- und Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber oder dem Dienstherrn überwiegt und damit eine Offenbarung von Missständen rechtfertigt“, so das BMJ.

Worum geht es beim Entwurf für ein „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Stöße gegen das Unionsrecht melden“, wie der Arbeitstitel des Vorhabens in voller Länge lautet?

Whistleblower sollen wissen, wann und wodurch sie geschützt sind

Das BMJ ist unter Zeitdruck. Eigentlich hätte Deutschland eine Richtlinie der Europäischen Union zum Hinweisgeberschutz schon bis Ende 2021 umsetzen müssen. Doch weil sich die alte Bundesregierung nicht einigen konnte, misslang das. Das soll nun nachgeholt werden. Gleichzeitig soll dafür gesorgt werden, dass es ein einheitliches nationales Schutzsystem gibt. Hinweisgeber sollten zukünftig wissen, „wann und durch welche Vorgaben sie bei der Meldung oder Offenlegung von Verstößen geschützt sind“, so das BMJ.

Leicht zu verstehen ist der Entwurf nicht. Denn es wimmelt darin nur so von juristischen Begriffen und Definitionen. Das sind die zentralen Punkte:

Fürs geschützte Whistleblowing wird ein sehr großer Anwendungsbereich gewählt: Er umfasst alle Personen, die möglicherweise in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erhalten haben und melden oder damit in Zusammenhang stehen (Betroffene, Zeugen etc.). Hinweisgeber sollen „auf den Schutz des HinSchG vertrauen können, wenn sie erhebliche Verstöße gegen Vorschriften melden“.

Das soll man melden dürfen
● Verstöße, für die eine gesetzliche Strafe vorgesehen ist
● Verstöße, für die ein Bußgeld vorgesehen ist, „soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient“
● Sonstige Verstöße gegen Rechtsvorschriften, beispielsweise zu Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Substanzen menschlichen Ursprungs, Arzneimittel und Medizinprodukte sowie die grenzüberschreitende Patientenversorgung. In der Begründung werden auch Verstöße in Bereichen wie Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz, Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns aufgelistet.
● Was ein meldefähiger Verstoß ist, wird weit gefasst. Das können auch „begründete Verdachtsmomente“ oder mögliche Verstöße sein. Deshalb sollen auch Personen geschützt werden, „die zwar keine eindeutigen Beweise beibringen, aber begründete Bedenken oder einen begründeten Verdacht äußern“.
●  Beinhaltet eine Meldung ein Geschäftsgeheimnis, darf die Information unter anderem dann weitergegeben werden, wenn „die hinweisgebende Person hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder die Offenlegung […] notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken.“

Kein Schutz für Privates, Lügen, Anonymes

Nicht geschützt werden offengelegte Informationen über rein privates Fehlverhalten. Außerdem kann niemand Schutz beanspruchen, der „vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Informationen“ meldet. Eine Pflicht, anonyme Hinweise zu bearbeiten, soll es ebenfalls nicht geben.

Das HinSchG sieht vor, dass Meldestellen in einem bestimmten Zeitraum auf Vorwürfe reagieren müssen. Als Folgemaßnahmen von Meldungen können unter anderem Untersuchungen durchgeführt werden oder Verfahren an zuständige Behörden zur Klärung oder Verfolgung weitergegeben werden.

Hinweisgeber können frei wählen, ob sie lieber einen betrieblichen (internen) oder staatlichen (externen) Meldeweg einschlagen. Eine bundesweite zentrale Meldestelle soll „Personen davor bewahren […], schon im Vorfeld einer Meldung den Mut zu verlieren, einen entsprechenden Sachverhalt oder Verstoß zu melden“. Alle Meldestellen müssen grundsätzlich die Vertraulichkeit der gesamten betroffenen Personen wahren.

Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten müssen interne Meldestellen nach gesetzlichen Vorgaben einrichten. Generell gilt: Normalerweise muss jeder versuchen, sein Anliegen über eine interne oder externe Meldung loszuwerden. Nur in bestimmten Ausnahmefällen wäre es erlaubt, sich direkt an die Öffentlichkeit zu wenden.

Wer sich an die Regeln hält, soll umfangreich vor Repressalien geschützt werden (Kündigung, verwehrte Beförderung etc.). Im Zweifelsfall liegt die Beweislast, dass eine Benachteiligung keine Repressalie wegen einer Meldung oder Offenlegung ist, beim Arbeitgeber. Bei einem nachgewiesenen Verstoß besteht ein Anspruch auf Schadenersatz.

Kritik an zu unklaren Bestimmungen und möglichen Lücken

In den Stellungnahmen wird die Grundidee des Hinweisgeberschutzes gelobt. Aber es fehlt auch nicht an Kritik und an Verbesserungsvorschlägen, unter anderem: Viele Begriffe sind zu unklar und unbestimmt. Wer aber nicht sicher weiß, ob er geschützt ist oder nicht, wird sich nicht trauen, Missstände zu melden.

Im Gesundheitswesen gibt es zudem Missstände, die nicht gleich mit einer Strafe versehen sind. Hier würden Hinweisgeber weiter durchs Raster fallen und blieben ungeschützt. Der Verein Whistleblower-Netzwerk hat ein Beispiel dafür aus dem Bereich Pflege: Die Unterversorgung alter, pflegebedürftiger Menschen in Form von Vernachlässigungen, die die Krankenschwester Brigitte Heinisch in Berlin vor Jahren aufdeckte, „erfüllte keinen Straftatbestand. Erst durch die öffentlichen Enthüllungen von Heinisch wurde deutlich, dass es hier an passenden und zureichenden staatlichen Regelungen und Kontrollen fehlte“.

Peter Stadtmann akzeptierte übrigens die Urteile gegen ihn nicht. Ende 2020 berichtete die Deutsche Apotheker Zeitung, er klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Quellen:
Gesetzentwurf: https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Hinweisgeberschutz.html
Stellungnahmen: https://www.bmj.de/SiteGlobals/Forms/Suche/Servicesuche_Formular.html?input_=6425014&resourceId=6427246&submit.x=0&submit.y=0&templateQueryString=HinSchG&pageLocale=de
Der Fall Heinisch: https://www.kostenlose-urteile.de/EuropGMR_2827408_Fristlose-Kuendigung-einer-Arbeitnehmerin-wegen-der-Veroeffentlichung-von-Missstaenden-bei-ihrem-Arbeitgeber-verstoesst-gegen-die-Menschenrechtskonvention.news12009.htmAbruf: 17.5.2022
Der Fall Stadtmann: https://www.sueddeutsche.de/panorama/prozesse-krebsmedikamente-gepanscht-zwoelf-jahre-haft-fuer-apotheker-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-180706-99-38898, Abruf: 17.5.2022
https://correctiv.org/ruhr/alte-apotheke/2017/08/16/wie-zwei-menschen-dafuer-sorgten-dass-ein-apotheker-keine-krebsmedikamente-mehr-panscht/, Abruf: 17.5.2022
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2017/az-51-2017/ich-moechte-nicht-aussagen, Abruf: 17.5.2022 

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