Kind auf Pferd © bobiwankanobi / iStock / Thinkstock
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Therapietiere

HEILER AUF VIER HUFEN

„Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ sagt ein altes Sprichwort. Doch die Tiere können viel mehr als glücklich machen: Reiten kann auch einen therapeutischen Effekt haben.

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Auf dem Pferd hat jeder Mensch vier gesunde Beine – so lautet ein Zitat von Gottfried von Dietze, Pferdefachmann und Wegbereiter des Therapeutischen Reitens in Deutschland. In immer mehr psychiatrischen und psychotherapeutischen Einrichtungen in Deutschland kommen Therapiepferde zum Einsatz. Während der Behandlung lernen Patienten das Striegeln, Versorgen, Reiten sowie den richtigen Umgang mit den Tieren. Sie profitieren in der Regel von dem Kontakt mit dem Pferd und sind im Anschluss an eine Reitstunde häufig in einer viel positiveren Stimmung als vor der Sitzung.

Das therapeutische Reiten umfasst die Bereiche des heilpädagogischen Reitens, heilpädagogischen Voltigierens sowie der Hippotherapie. Beim heilpädagogischen Voltigieren hält der Reitpädagoge das Pferd an einer Longe und führt es in einem Kreis in den verschiedensten Gangarten um sich herum, wobei sich der Teilnehmer neben oder auf dem Pferd befindet. Auf dem Pferd werden verschiedene gymnastische oder Geschicklichkeitsübungen durchgeführt.

Auch das heilpädagogische Reiten beginnt zunächst an der Longe, bis der Patient lernt, sich nach und nach auf die Bewegungen des Pferdes einzustellen, locker und entspannt zu sitzen und das Tier schließlich eigenständig zu führen. Die Therapie beinhaltet zusätzlich das Pflegen des Pferdes sowie einige Stallarbeiten. Da der Fokus auf dem Beziehungsdreieck Therapeut – Pferd – Patient liegt, werden Lernerfahrungen gemacht, welche die persönliche und soziale Entwicklung des Klienten fördern. Fortgeschrittene Reiter können auch an Projekten wie Wanderreiten, kleinen Turnieren, Reiterspielen oder Ausritten teilnehmen.

Neurophysiologisches Verfahren Die Hippotherapie ist ebenfalls ein Ansatz innerhalb der pferdegestützten Maßnahmen, der sich auf die Behandlung von körperlich beeinträchtigten sowie neurologischen Patienten bezieht. Betroffene befinden sich dabei passiv in der Gangart Schritt, dafür sind keine Vorkenntnisse erforderlich. Die dreidimensionalen Schwingungen des Pferderückens sowie der Bewegungsrhythmus des Tieres werden gezielt genutzt, um positive Veränderungen auf der Ebene von Körper und Psyche zu bewirken. Die Impulse ermöglichen das Training von Gleichgewichts-, Stütz- und Haltungsreaktionen und wirken sich auf die Wirbelsäule, das Becken, die Extremitäten und die Kopfstellung aus. Gleichzeitig wird der Reiter sozial, emotional und körperlich gefordert.

Linderung von physischen und psychischen Leiden Das therapeutische Reiten soll die emotionalen sowie die motorischen Fähigkeiten verbessern. Beim Traben sind beispielsweise die Körperbeherrschung und der Gleichgewichtssinn gefragt. Durch die Zuwendung des Pferdes und den gleichmäßigen Rhythmus, mit dem das Tier den Menschen trägt, werden Emotionen angesprochen und die sozialen Kompetenzen gefördert. Weil das Pferd in seinen Äußerungen eher zurückhaltend ist, werden Betroffene geradezu herausgefordert, Gefühle aktiv zu äußern.

Die Sportart sowie der Umgang mit den Pferden helfen, physische und psychische Erkrankungen zu verbessern, zu heilen oder ihnen vorzubeugen. Die Teilnehmer sollen sich durchsetzen, an Regeln halten, den eigenen Körper wahrnehmen, sich konzentrieren und sich im Raum orientieren. Das therapeutische Reiten zählt zu den ganzheitlichen Behandlungsmethoden, denn sie sprechen Körper, Geist und Seele an. Wichtig ist, dass die Reittherapie mit anderen Therapieformen kombiniert wird: Patienten, die zusammen in einer Gruppe sind, absolvieren oft auch weitere Maßnahmen wie eine Gruppentherapie miteinander, damit sie sich über ihre Erfahrungen austauschen können. Sie werden als „ganze Menschen“ betrachtet und haben einen engen Kontakt zum Pferd und zum Lehrer. Besonders geeignet ist das heilpädagogische Verfahren für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit

  • Lernbehinderung,
  • Störungen in der emotionalen Entwicklung,
  • Autismus,
  • psychischen und psychosomatischen Erkrankungen,
  • geistigen Behinderungen,
  • Verhaltensauffälligkeiten,
  • Bewegungs-und Wahrnehmungsstörungen,
  • hypertone (zum Beispiel Spastik) und hypotone (reduzierter Tonus) Symptome,
  • einem Apoplex,
  • Querschnittslähmung,
  • Multipler Sklerose.


Anforderungen an das Pferd
Ein Therapiepferd muss verschiedenen Ansprüchen gerecht werden: Es sollte speziell ausgebildet sein, sodass es beispielsweise klemmende Schenkel (durch Spastiken) nicht als Befehl für eine schnellere Gangart interpretiert. Sein Charakter sollte ruhig, freundlich, geduldig, nervenstark und einfühlsam sein. Häufig werden Kleinpferde und Ponys, die ein Stockmaß bis etwa 150 cm haben, eingesetzt – geeignete Rassen sind beispielsweise Islandpferde, Haflinger oder Freiberger.

Darüber hinaus ist es wichtig, das Tier an die in der Reittherapie verwendeten Materialien zu gewöhnen, damit es sich nicht vor Hilfsmitteln, Rollstühlen oder unkontrollierten Bewegungen des Patienten erschrickt. Neben der guten Ausbildung benötigen die Pferde ausreichend Erholung, damit sie sich entsprechend regenerieren können und körperlich und seelisch gesund bleiben. Nur unter dieser Voraussetzung verrichten sie ihre Aufgaben langfristig motiviert und vermitteln dem Reiter ein positives emotionales Erlebnis.

Ausbildung der Therapeuten Der Bezeichnung Reittherapeut ist kein staatlich anerkannter Beruf. Einrichtungen, die Reittherapeuten beschäftigen, verlangen in der Regel eine pädagogisch-therapeutische Ausbildung (wie Erzieher oder Sozialpädagoge) des Bewerbers sowie den Nachweis über eine Qualifikation als Reiter. Ergotherapeuten oder Physiotherapeuten, die vorab eine Zusatzqualifikation erworben haben, bieten Hippotherapie an. Die Ausbildung kann entweder bei der Europäischen Akademie für Equine Seminare in der Nähe von Hannover oder beim Deutschen Kuratorium für therapeutisches Reiten in Warendorf absolviert werden. Problematisch für Betroffene ist oftmals, dass die Krankenkassen die Kosten für das therapeutische Reiten nicht übernehmen.

My horse is my therapist Eine Studie der Anthropologinnen Dona Lee Davis, Anita Maurstad und Sarah Dean widmete sich der heilsamen Wirkung von Pferden auf ihre Besitzerinnen. Darin wurden etwa 50 Fallbeispiele von langjährigen Reiterinnen erfasst und zwar mit dem Ergebnis, dass viele Probanden das Reiten und den Umgang mit den Tieren mit einer Psychotherapie verglichen. Unter den Teilnehmerinnen waren auch Frauen, die unter einer Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder einer Depression litten. Sie medikalisierten laut Angaben der Autoren die Beziehung zu ihren Pferden, indem sie angaben, beim Reiten den Alltag zu vergessen, abzuschalten und Frustrationen überwinden zu können.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/18 ab Seite 122.

Martina Görz, PTA und Fachjournalistin

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