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Seltene Erkrankungen A bis Z

GUILLAIN-BARRÉ-SYNDROM

Wenn plötzlich eine Muskelschwäche zu ausgedehnten Lähmungen führt, kann dies sehr beängstigend sein. Bei den meisten Patienten bilden sich die Symptome aber wieder zurück.

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Das Guillain-Barré-Syndrom kann in jedem Alter auftreten, Männer sind etwas häufiger betroffen als Frauen. Insgesamt erkranken etwa ein bis zwei von 100 000 Personen daran. Die Ursache ist unklar, aber vieles spricht dafür, dass eine vorangegangene Infektion dazu führen kann, dass das Immunsystem irrtümlicherweise körpereigene Strukturen auf den peripheren Nerven attackiert.

Dadurch könnte die beobachtete Entzündung ausgelöst werden, die Weiterleitung der Nervenimpulse vom und/oder zum Gehirn wird eingeschränkt. Es kommt zu Fehlempfindungen, Schmerzen, Muskelschwäche. Andere Bezeichnungen für das Guillain-Barré-Syndrom sind Polyneuritis oder die Abkürzung GBS. Zu den Erregern, die möglicherweise ein GBS auslösen können, gehören das Epstein-Barr-Virus, Cytomegalieviren, Mykoplasma pneumoniae und der Durchfallerreger Campylobacter jejuni.

Für Letzteren ist gezeigt, dass sich auf seiner Oberfläche ähnliche Proteine befinden wie auf peripheren Axonen. Die Antikörper und Immunzellen, die das Immunsystem während der Infektion im Kampf gegen den Erreger eingesetzt hat, richten sich beim Guillain-Barré-Syndrom gegen die eigenen Nervenfortsätze.

Verlauf Eine Erkrankung beginnt in der Regel mit Kribbeln und Taubheitsgefühlen in den Beinen. Rasch können eine Muskelschwäche und damit verbunden Lähmungen hinzukommen, die sich von den Beinen hinauf in die Arme ausbreiten. Im Vergleich zu anderen neuromuskulären Erkrankungen entwickelt sich die Muskelschwäche beim GBS schnell, im Verlauf von Tagen oder Wochen.

Bei der Mehrzahl der Patienten tritt nach spätestens vier Wochen eine Plateauphase von mehreren Tagen bis Wochen ein, während derer die Symptome ihre maximale Ausprägung erreicht haben. Bei schweren Verläufen kann der Betroffene in dieser Zeit fast vollständig gelähmt sein. Ist auch die Atemmuskulatur betroffen, ist eine künstliche Beatmung nötig. Bei den meisten aber nicht bei allen Patienten, bilden sich die Symptome danach in der Remissionsphase wieder zurück. Dies kann zwischen wenigen Tagen bis mehreren Jahre dauern. Die Letalität des Guillain-Barré-Syndrom wird mit fünf Prozent angegeben.

Heute werden mehrere Typen der Erkrankung unterschieden: Bei der Akuten Inflammatorischen Demyelinisierenden Polyneuropathie (AIDP), der mit 60 bis 90 Prozent der Fälle häufigsten Form in Europa, kommt es vor allem zu einer Schädigung der Myelinscheiden der peripheren Nerven.

Werden besonders die motorischen Axone selbst geschädigt, so spricht man von einer Akuten Motorischen Axonalen Neuropathie (AMAN); sind zusätzlich sensible Anteile betroffen, von einer ASMAN. Ein Übergang in eine Chronisch Inflammatorische Demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist selten, aber möglich. Sind vorwiegend die Hirnnerven beteiligt, liegt ein so genanntes Miller-Fischer-Syndrom vor.

Diagnose Neben den klinischen Symptomen können neurologische sowie Laboruntersuchungen Hinweise auf ein Guillain-Barré-Syndrom geben: Reflexe wie der der Kniesehnen sind abgeschwächt oder fehlen, die Nervenleitgeschwindigkeit ist erniedrigt. Der Proteinanteil in der Nervenflüssigkeit ist erhöht.

Behandlung Die Leitlinien empfehlen zwei Methoden. Ziel von beiden ist es, die fehlgesteuerte Immunantwort zu verringern: Am häufigsten eingesetzt werden intravenöse Immunglobuline, die die Autoantikörper neutralisieren sollen. Aus praktischen Gründen seltener verwendet wird die Plasmapherese, die ein Herausfiltern der Antikörper aus dem Plasma des Patienten bewirkt.

Beide Therapien können die Dauer der Erkrankung verkürzen. Einen hohen Stellenwert nimmt zudem die symptomatische Behandlung ein. Aufgrund des unsicheren Verlaufs werden GBS-Patienten immer im Krankenhaus und, falls nötig, auf der Intensivstation behandelt beziehungsweise überwacht. Sobald die Remission einsetzt, stehen Physiotherapie und Rehabilitation im Zentrum.

GBS und Impfungen Immer mal wieder wird das Guillain-Barré-Syndrom im Kontext mit Impfungen genannt. Da im Zusammenhang mit einem Impfstoff gegen ein A/H1N1-Virus im Jahr 1976 vermehrt GBS-Fälle aufgetreten waren, wurde dieser Aspekt bei der Grippepandemie im Jahr 2009 (ebenfalls ein A/H1N1-Virus) gründlich untersucht. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Studien schwanken zwischen einem geringfügig erhöhtem GBS-Risiko durch die Impfung und keinem erhöhten Risiko.

Für Deutschland schätzt das Paul-Ehrlich-Institut, dass sechs zusätzliche Fälle pro einer Million Impfdosen aufgetreten sind (normal sind 17,5 Fälle pro Million Einwohner). Bei der saisonalen Grippeimpfung scheint das Risiko eines Guillain-Barré-Syndroms weniger stark bzw. nicht erhöht zu sein. Das Paul-Ehrlich-Institut folgert, dass der Nutzen der Impfung überwiegt.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/13 ab Seite 148.

Dr. Anke Benckendorff, Medizinjournalistin

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