Repetitorium

GICHT – TEIL 1

Alexander der Große, Karl der Große, Ludwig XIV., Wallenstein, Martin Luther und selbst der große deutsche Dichter Goethe litten unter Gicht. Was verursacht diese Erkrankung? Welche Ansätze zur Behandlung und Vermeidung gibt es heute?

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Gicht – eine Krankheit der Vornehmen und Fürsten? Tatsächlich sind die oben genannten Personen nur einige wohlbeleibte Beispiele der Geschichte für prominente Gichtopfer. Die Erkrankung betraf vornehmlich die „Reichen“ und „Priviligierten“, die sich opulente Gelage leisten konnten. Meist litten sie dann an Fettleibigkeit und anderen „Wohlstandserkrankungen“ – wie der Hyperurikämie beziehungsweise Gicht.

Diese wird vielfach durch langjährige purinreiche Ernährung mit viel Fleisch und Fett ausgelöst, wenngleich auch gewisse Erbfaktoren existieren und in wenigen Fällen andere Erkrankungen den Harnsäureanstieg im Blut bedingen. Noch immer kann der Zusammenhang zwischen Ernährung und Erhöhung der Harnsäurewerte gut verfolgt werden. Während und auch noch kurz nach dem zweiten Weltkrieg hat es in Deutschland praktisch keine Gichterkrankungen gegeben. Und die Maori in Neuseeland haben erst mit einer Verwestlichung ihrer Ernährungsgewohnheiten Anfang des 20. Jahrhunderts Fettleibigkeit und in der Folge Gicht überhaupt kennengelernt.

Gicht – eine Folge Unter dem Oberbegriff „Gicht“ werden die Folgen eines erhöhten Harnsäuregehaltes im Blut zusammengefasst. Zu viel vorhandene Harnsäure kristallisiert aus in Form scharfer, nadelähnlicher Kristalle und lagert sich besonders in den Gelenken, also Geweben mit geringerem Stoffwechsel, ab. Diese Ablagerungen der Harnsäurekristalle erzeugen Entzündungen, die sich in Schwellung, Rötung, Wärme, starken Schmerzen und Steifheit in den Gelenken äußern. Die Kaskade entzündlicher Prozesse reicht von der Aktivierung von Kinasen, des Komplementsystems, Zytokinen und Endothelzellen bis hin zur Einwanderung neutrophiler Leukozyten und Monozyten. Metalloproteasen werden freigesetzt, die den Gelenkknorpel „anknabbern“.

Zwar sind die Gelenke insgesamt am häufigsten betroffen, es können sich aber auch Kristallablagerungen unter der Haut und in inneren Organen, etwa der Niere oder an anderen Stellen des Harntrakts bilden. Obwohl eine Stoffwechselstörung Ursache ist, wird die Gicht, da sie den Bewegungsapparat angreift, zu den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises gezählt. Sie ist eine seit der Antike bekannte Form von Arthritis (Arthritis urica). Manchmal wird die Gicht mit einer anderen Arthritis-Form verwechselt – der Pseudogicht (Chondrokalzinose). Auch hierbei entstehen vergleichbare Symptome wie Entzündungen und Schwellungen an den Gelenken. Diese haben aber einen grundsätzlich anderen Pathomechanismus und statt Harnsäurekristallen bestehen die Ablagerungen aus Kalziumpyrophosphatkristallen.

Harnsäure – der Dreh- und Angelpunkt Harnsäure (2,6,8-Trihydroxy-Purin) ist ein Abbauprodukt des Zellstoffwechsels, genauer das Endprodukt des Purinstoffwechsels. Dieses Endprodukt wird normalerweise zu 80 Prozent über die Nieren mit dem Harn und zu 20 Prozent über den Darm ausgeschieden. Purine selbst sind Bestandteile der Nukleinsäuren, also am Aufbau von Desoxyribonukleinsäure (DNS) und Ribonukleinsäure (RNS) beteiligt. Sie kommen somit in allen menschlichen und tierischen Zellen vor. Der Körper bildet sie selbst, holt sie sich aber auch aus der Nahrung.

Gebildet wird die Harnsäure in Leber und Dünndarm. Auch die mit der Nahrung zugeführten Purinkörper werden zu Harnsäure verstoffwechselt. Übersteigt die Zufuhr und Produktion die Ausscheidung, steigt der Harnsäurespiegel im Serum. Der normale Harnsäurewert liegt bei Männern zwischen 3,4 und 7,0 Milligramm pro Deziliter (mg/dl), bei Frauen etwas niedriger zwischen 2,4 und 5,7 mg/dl. Steigt der Harnsäurespiegel im Blut dauerhaft über 7,0 mg/dl, wird das Lösungsvermögen im Blut mehr und mehr erschöpft. Einen direkten Grenzwert, ab dem Harnsäurekristalle wegen ihrer hohen Konzentration und verminderten Löslichkeit in verschiedenen Geweben ausfallen, gibt es allerdings nicht. Hier herrschen individuelle Unterschiede.

Auch stellt ein erhöhter Harnsäurespiegel allein noch keine Gicht dar. Zunächst handelt es sich um eine Hyperurikämie. Definitionsgemäß wird bei einem Anstieg der Serumharnsäurekonzentration auf oder über 6,5 mg/dl von einer Hyperurikämie gesprochen. Dieser Grenzwert ergibt sich aus der physikalischen Löslichkeitsgrenze von 6,4 mg/dl für Natriumurat, das Natriumsalz der Harnsäure, bei 37 °C. Langzeitbeobachtungen legen nahe, dass dauerhaft erhöhte Werte über 9 mg/dl die Wahrscheinlichkeit für einen Gichtanfall pro Jahr aber auf etwa fünf Prozent steigen lassen. Diese hohen Harnsäurewerte können allerdings durchaus fünf bis zehn Jahre bestehen, ohne Auftreten von Krankheitszeichen. Andererseits gibt es auch Gicht bei völlig normalen Werten.

Gicht ist meistens Männersache Die Hyperurikämie tritt in der Allgemeinbevölkerung häufig auf. Tatsächlich konnte eine Studie bei Blutspendern aufzeigen, dass etwa 28,6 Prozent der männlichen, aber nur 2,6 Prozent der weiblichen Blutspender unter einer Hyperurikämie, also erhöhten Harnsäurewerten im Blut, litten. Bei jedem Zehnten davon kommt die Gicht zum Ausbruch. Frauen sind bis zu den Wechseljahren durch die weiblichen Sexualhormone (Estrogene), die zu einer besseren Harnsäureausscheidung beitragen, geschützt. Tatsächlich sind die meisten Gichtpatienten Männer. Begleiterkrankungen sind häufig Übergewicht, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen oder Diabetes mellitus. Die Entwicklung einer Arteriosklerose ist bei Gichtkranken häufig.

Primäre oder sekundäre Gicht? Unterschieden wird heutzutage zwischen der primären und der sekundären Gicht. Bei der primären Gicht handelt es sich um einen angeborenen Stoffwechseldefekt, also eine erblich bedingte Stoffwechselanomalie. In fast 99 Prozent der Fälle liegt eine Störung der renalen Harnsäure-Ausscheidung zugrunde. Die Niere scheidet nicht genügend Harnsäure aus. Nur bei einem kleinen Rest Betroffener ist Ursache eine gesteigerte Harnsäureproduktion.

Der Störung des Purinstoffwechsels liegt meist eine Störung des Enzyms Hypoxanthin-Guanin- Phosphoribosyltransferase (HGPRT) zugrunde, was die Resynthese von Purinnukleotiden aus Purinbasen herabgesetzt. Hypoxanthin und Guanin werden dann vermehrt zu Harnsäure abgebaut oder der negative Rückkopplungsmechanismus bei der Purinsynthese aufgehoben, wodurch vermehrt Purinkörper gebildet werden. Fehlt das Enzym HGPRT völlig, ist dies eine sehr seltene Form der primären Gicht, das Lesch-Nyhan-Syndrom, eine über das X-Chromosom re -zessiv vererbte Erkrankung, an der nur Jungen unter sechs Jahren erkranken. Zur Manifestation der primären Gicht sind bestimmte Auslösefaktoren wichtig, etwa Überernährung, purinreiche Kost, Alkohol, eine bewegungsarme hektische Lebensweise oder bestimmte Medikamente.

Die sekundäre Gicht tritt deutlich häufiger auf. Sie beruht auf einer starken Übersäuerung des Körpers, ist Folge einer anderen Erkrankung oder Nebenwirkung einer Therapie, die mit vermehrtem Auf- und Abbau von Nukleoproteiden oder einer verminderten Harnsäureausscheidung einhergeht. Zur ersten Gruppe gehören beispielsweise Leukämien, maligne Tumoren (Krebs), deren Radio- und Chemotherapie. Zu verminderter Harnsäureausscheidung kommt es bei Nierenerkrankungen bis hin zur -insuffizienz, bei einem entgleisten Diabetes mellitus, nach Gabe von Diuretika, aber auch nach Fastenkuren. Außerdem haben das Schmerzmittel Acetylsalicylsäure (ASS) und Cumarin-Derivate eine Minderung der Harnsäurekonzentration im Serum zur Folge. Die Chance, dass Harnsäure in den Gelenken und Geweben auskristallisiert, ist dadurch größer. Ebenso können Levodopa, Ciclosporin und Phenylbutazon zu einer Erhöhung der Harnsäurewerte führen.

Vier GichtstadienWird die Hyperurikämie nicht erkannt beziehungsweise nicht behandelt, durchläuft der Betroffene meist vier klinische Krankheitsphasen.

  • Stadium I: Erhöhte Harnsäurewerte, ohne Symptome, also klinisch stumm
  • Stadium II: Akuter Gichtanfall
  • Stadium III: Zeitraum zwischen zwei Gichtanfällen (Wochen bis Jahre)
  • Stadium IV: Chronische Gicht mit Gelenk- und Nierenveränderungen

Vorwiegend nachts, häufig nach einer üppigen purinreichen Mahlzeit mit reichlich Alkohol, kommt es zum ersten akuten Gichtanfall. Meist ist das Großzehengrundgelenk betroffen, seltener Daumen-, Sprung- oder Kniegelenk. Starke Gelenkschmerzen setzen blitzartig ein, das betroffene Gelenk ist stark gerötet und geschwollen. Schleimbeutel- und Sehnenscheidenentzündung können hinzutreten. Das Gewebe ist – chemisch gesehen – sauer. Der niedrigere pH-Wert führt zu einer erneuten Ausfällung von Natriumurat und verstärkt damit den Prozess im Sinne eines Teufelskreises (Circulus vitiosus). Als Allgemeinsymptome können zusätzlich Fieber, Tachykardie, also „Herzrasen“, Kopfschmerzen und Erbrechen auftreten.

Auch unbehandelt verschwindet die Gichtattacke nach einigen Stunden bis Tagen wieder. Dass zunächst das Großzehengrundgelenk betroffen ist, wird darauf zurückgeführt, dass es die kälteste Stelle des Körpers ist. Die Temperatur weicht hier um bis zu 10 °C ab. Wenn sich die Gichtattacken häufen und eine konsequente Behandlung nicht erfolgt, können irreversible Gelenkveränderungen und Nierenschäden auftreten. Charakteristisch für die chronische Gicht sind die bekannten gelblich-kreidigen Gichtknoten (Tophi) im Unterhautgewebe, häufig an der Ohrmuschel, aber auch an Fingern, Füßen, Schleimbeuteln und Sehnenscheiden. Die Gelenke werden zunehmend zerstört, es kommt zu starken Knorpelschäden, Verformungen und Gelenkversteifungen. Die Beweglichkeit der betroffenen Gelenke ist massiv behindert und extrem schmerzhaft.

Ausfällungen von Harnsäurekristallen im Nierengewebe führen zu einer zunehmenden Einschränkung der Nierenfunktion (Uratnephropathie). Etwa 20 Prozent der Gichtpatienten bekommen Nierensteine. Da über die Gichtniere kaum noch Harnsäure ausgeschieden wird, steigen die Spiegel weiter an (Circulus vitiosus). Im schlimmsten Fall kommt es zum Nierenversagen.

Diagnose Entweder werden bei Blutuntersuchungen zufälligerweise erhöhte Harnsäurewerte (Hyperurikämie) festgestellt oder es schlägt unvorbereitet gleich ein Gichtanfall mit zum Teil höllischen Schmerzen zu. Kommt der Patient mit seinen großen Schmerzen zum Arzt, sind Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und C-reaktives Protein erhöht, die Serum-Harnsäurespiegel allerdings meist schon wieder im Normbereich. In der Akutanamnese berichtet der Betroffene möglicherweise, dass dem Gichtanfall ein feucht-fröhlicher Abend mit viel Alkohol vorausging. Vor allem Bier, das selbst Purine enthält, sorgt für einen relativ starken vorübergehenden Harnsäurewertanstieg.

Falsche Ernährungs- und Trinkgewohnheiten spielen als Auslöser einer Gicht eine große Rolle. Da Natriumurat röntgennegativ ist, ist im Röntgenbild wenig zu sehen. Erst bei einem chronischen Verlauf können typische Knochenveränderungen, Gelenkzerstörung oder Verkalkungen erkannt werden. In der Niere und den Harnwegen können Uratsteine mit einem Kontrastmittel indirekt sichtbar gemacht werden. Bei Unklarheit kann auch eine direkte Gelenkpunktion bei Vorliegen von Harnsäurekristallen in der Synovialanalyse (Gelenkpunktatanalyse) die Diagnose sichern.

Lebenslange Therapie notwendigFakt ist demzufolge: Eine Hyperurikämie ist behandlungsbedürftig, wenn

  • die Harnsäure-Blutspiegel ständig über 8 mg/dl liegen,
  • ein akuter Gichtanfall aufgetreten ist oder gar schon
  • Zeichen einer Gichtniere existieren.

Eine konsequente und lebenslange Behandlung ist erforderlich. Das erfordert von den Betroffenen viel Disziplin.

Im zweiten und dritten Repetitoriumsteil werden deshalb die Prinzipien der Diät beziehungsweise die vorhandenen Gichtmedikamente in der Anwendung genauer besprochen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/11 ab Seite 48.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin

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