Geballte Faust © lolostock / iStock / Getty Images
© lolostock / iStock / Getty Images

Psychologie in der Apotheke

GEWALT IN PARTNERSCHAFTEN

Häusliche Gewalt steht entgegen vieler Vorurteile nicht mit Bildung, Herkunft oder Einkommen im Zusammenhang. Dennoch gibt es Risikogruppen, wozu jüngere Paare, Paare mit Kindern oder Beziehungen in ländlichen Gegenden zählen.

Seite 1/1 4 Minuten

Seite 1/1 4 Minuten

Die Ergebnisse einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahre 2014 zeigen, dass jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Gewalt durch ihren Partner erfährt. Häufig beginnen die Übergriffe, wenn Veränderungen in der Lebens- oder Beziehungssituation stattfinden – zum Beispiel eskaliert die Lage in stressigen Phasen, bei emotionalen Verletzungen oder bei starker Eifersucht (zum Beispiel nach dem Aufdecken von Untreue) und endet dann nicht selten in partnerschaftlichen Angriffen.

Definition von GewaltMeistens denkt man bei Gewalt an körperliche Bedrohung wie Treten, Schlagen, Stoßen, Würgen, Schütteln oder gar den Einsatz von Gegenständen oder Waffen. Allerdings gibt es weitere Formen der Gewalt: Verbale Gewalt äußert sich durch massive Einschüchterung der Person, während sexuelle Gewalt etwa in Form von Nötigungen oder Vergewaltigungen stattfindet. Auch ökonomische Gewalt ist (durch die Beschlagnahmung der Einkünfte des Partners) möglich.

Vernachlässigung stellt ebenfalls eine Art der Gewalt dar, welche Menschen, die infolge von Krankheiten oder Behinderungen auf Pflege angewiesen sind, mitunter angetan wird. Häufig finden die genannten Formen nicht einzeln, sondern in Kombination statt. In den meisten Fällen geht der physischen Gewalt eine psychische Bedrohung voraus. Darüber hinaus ist zwischen offener und verdeckter Gewalt zu differenzieren: Verdeckte Gewalt beinhaltet in der Regel passiv-aggressive Anteile wie Bloßstellungen, latente Suiziddrohungen oder Stalking, die der psychischen Gewalt zuzuordnen sind. Offene Vergehen hingegen sind unter anderem Körperverletzungen oder sexuelle Übergriffe.

Was raten Sie Betroffenen? Weder Frauen noch Männer müssen sich Gewalt in einer Partnerschaft gefallen lassen, ganz gleich um welche Form es sich handelt. Akute Hilfe erhält man am schnellsten von der Polizei unter der Notruf-Nummer 110. Die Beamten verweisen den Täter der Wohnung, nehmen ihn in Gewahrsam und verbieten den Kontakt zum Opfer. Betroffene in einer Ehe sollten mit Hilfe eines Anwalts unbedingt einen Scheidungsantrag einreichen. Um die psychische Belastung zu verarbeiten, holen sich Opfer am besten professionelle Hilfe, zum Beispiel in Form einer Beratungsstelle.

Frauenhäuser bieten für Misshandelte eine erste Anlaufstelle, die Kontakte werden durch den örtlichen Frauennotruf, die örtliche Frauenberatungsstelle sowie durch den Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe e.V. vermittelt. In größeren Städten ist auch für Männer gesorgt: Sie wenden sich am besten an Männerbüros oder Männerberatungsstellen. In Ketzin bei Potsdam gibt es seit 2009 auch ein Männerhaus. Schutzmöglichkeiten bestehen außerdem auf zivilrechtlicher Ebene und werden anstatt oder zusätzlich zu einem Strafverfahren in Anspruch genommen. Hierzu zählen das alleinige Sorgerecht für die Kinder, die Beschränkung des Umgangsrechtes, Schadensersatz oder Schmerzensgeld – die zuständige Behörde ist in diesem Fall das Familiengericht.

Wie schwer ist die Gewalt?

Kriterien für die Bewertung der Schwere einer Gewalthandlung sind laut der internationalen Gewaltforschung:
+ die Bedrohlichkeit der Handlung des Partners
+ Verletzungen
+ psychische Folgebeschwerden.

Männer sind häufiger Täter Die Dokumentation aktenkundiger Gewalt hat gezeigt, dass Männer in 62 Prozent der Fälle als Auslöser gelten. Jedoch erfasste man über viele Jahre lediglich die Gewalt gegen Frauen, sodass das Vorurteil entstand, derartige Schädigungen würden nur von Männern ausgehen. In neueren Untersuchungen stellte sich allerdings heraus, dass die gegenseitigen Attacken in der Regel ein Problem der intensiven sozialen Zweierbeziehung, also ein sogenanntes dyadisches Phänomen, darstellen.

Rolle von Kindheitserfahrungen Kinder und Jugendliche, die Zeugen häuslicher Gewalt werden, sind enormen psychischen Belastungen ausgesetzt. Hinzu kommt, dass das Miterleben von Gewalt zwischen den Eltern häufig mit Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung einhergeht und auch die Zukunft negativ beeinflusst: Ein starker Prädiktor für das Erleben von Gewalt in erwachsenen Paarbeziehungen sind gewaltsame Erlebnisse in der Kindheit – es scheint demnach eine soziale Vererbung von Gewalt zu geben.

Frauen, die bereits als Kind angegangen wurden, sind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von 72 Prozent in der späteren Partnerschaft in Gewalt verwickelt. Zudem waren Frauen, die körperliche Auseinandersetzungen zwischen den Eltern mitbekamen, doppelt so häufig selbst betroffen wie Frauen, die derartiges nicht erlebten. Eine Erklärung für diese Korrelation ist, dass Frauen, die bislang nicht mit Gewalt konfrontiert waren, Beziehungen bei Übergriffen konsequenter beenden. Dagegen fällt es Personen, die Gewaltakte kennen, schwerer, Grenzen gegenüber ihrem Partner zu setzen.

Perspektive des Täters Befunde aus der Gewaltforschung weisen darauf hin, dass Täter die Gewalt als Notlösung für anders nicht zu bewältigende Konflikte sehen. Sie geben an, die eigenen Gefühle wie Hilflosigkeit oder Ohnmacht durch ihre aggressiven Handlungen zu regulieren, außerdem demonstrieren sie auf diese Weise ihre Macht. Opfer und Täter befinden sich zum Zeitpunkt des Ausbruchs oft in einer verhängnisvollen Dynamik, der bereits Eskalationsphasen vorausgingen.

Auch Ältere sind betroffen In Senioren-Partnerschaften können sich ebenfalls Gewaltakte abspielen, denn meist endet die bestehende physische, psychische und sexuelle Bedrohung in langjährigen Beziehungen oder Ehen nicht ohne weiteres. Das Dilemma ist, dass die Gruppe der älteren Personen durch Hilfsangebote nur schlecht erreichbar ist, sodass sich die Opfer in den wenigsten Fällen Unterstützung suchen und stattdessen die Übergriffe jahrelang erdulden.

Manchmal verursachen krisenhafte Lebensereignisse im Seniorenalter wie die nachlassende Gesundheit, die Verrentung oder die soziale Isolation erstmals gewalttätige Konflikte. Das Forschungsteam der Hochschule RheinMain um die Professorinnen Dr. Regina-Maria Dackweiler und Dr. Reinhild Schäfer erklärte, wie wichtig es sei, Betroffene mit sozialen Diensten besser zu versorgen und die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren. Sinnvoll seien unter Umständen niederschwellige Maßnahmen, in deren Rahmen ehrenamtliche Senioren- und Gesundheitslotsen im Kontakt mit älteren Menschen auf die Gewaltproblematik eingehen.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/18 ab Seite 116.

Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin

×