Gehirn und Zahlen© monsitj / iStock / Getty Images Plus
Das Fach Mathematik fördert die Gehirnentwicklung.

Gehirn | Studie

MATHEMATIK IST GUT FÜR DAS GEHIRN

Egal ob Vektorrechnung, Stochastik oder das Lösen komplexer Gleichungen -  Mathematik gehört in der Regel nicht zu den Lieblingsfächern. Dabei fördert es die Gehirnentwicklung, wie Englische Forscher in einer Studie zeigen. 

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Waren Sie gut in Mathe? Während die einen spielend leicht in kürzester Zeit eine komplexe Gleichung auflösen, verzweifeln andere daran. Solche Situationen kommen einem aus seiner Schullaufbahn bekannt vor. In Deutschland kann das Fach Mathematik nicht in der Oberstufe abgewählt werden und begleitet einen bis zum Abitur. Schüler in Großbritannien hingegen haben die Möglichkeit, das Fach mit 16 Jahren abzuwählen. 

Frühere Studien haben bereits gezeigt, dass Jugendliche, die sich gegen den Matheunterricht entschieden haben, eine verringerte Konzentration des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA) in einer Hirnregion aufweisen. Die Region steht mit Gedächtnis und logischem Denken in Verbindung. Diejenigen ohne Mathematikunterricht bis zum Ende ihrer Schullaufbahn hatten später bis zu elf Prozent weniger Einkommen als Schüler aus ähnlichen sozialen Verhältnissen, die Mathe als Unterrichtsfach behalten hatten. Kein anderes Fach hatte solche Auswirkungen auf das spätere Leben. 
 

Hat Mathematik Auswirkungen auf das Gehirn?

Genau dieser Frage ist ein Forscherteam um George Zacharopoulos von der University of Oxford in Großbritannien nun nachgegangen. Für ihre Untersuchungen nahmen sie zwei Hirnregionen in den Fokus, die bereits früher mit mathematischen Fähigkeiten in Verbindung gebracht worden sind. Da wäre zum einen der linke mittlere frontale Gyrus (MFG), der mit dem Arbeitsgedächtnis, logischem Denken, Lernen und Problemlösung in Verbindung gebracht wird. Zum anderen der intraparietale Sulcus (IPS), dessen Funktionen in der räumlichen Wahrnehmung, dem Schätzen und einfachen Rechenaufgaben liegen.

Zunächst mussten 87 Probanden zwischen 16 und 18 Jahren Tests zu ihren mathematischen Fähigkeiten bestehen. Die Wissenschaftler maßen mit Hilfe der Magnetresonanzspektroskopie in den beiden Hirnregionen die Konzentration der zwei wichtigen Neurotransmitter Glutamat und GABA. Diese unterscheiden sich dadurch, dass Glutamat als erregender und GABA als hemmender Neurotransmitter angesehen wird. Befinden sich die beiden Hirnbotenstoffe im Gleichgewicht, sind die Funktion des Gehirns sowie die neuronale Plastizität gesichert. Frühere Untersuchungen haben bereits gezeigt, dass ein verringerter GABA-Spiegel mit einer reduzierten kognitiven Leistungsfähigkeit einhergeht. 
 

Verringerter GABA-Spiegel ohne Mathematik

Die Forscher berichten weiter: „In Übereinstimmung mit früheren Studien haben wir gezeigt, dass diejenigen, die sich gegen Mathe entschieden haben, schlechtere Leistungen bei Tests zu den numerischen Fähigkeiten und zum mathematischen Denken erbrachten, aber höhere Werte bei einem Test hatten, der die Angst vor Mathe bewertet“. Ein großer Unterschied bei den Neurotransmittern fiel den Forschern zudem ins Auge. Ohne Matheunterricht ist der GABA-Spiegel verringert. Mittels des GABA-Spiegels konnten die Forscher in der Folge das künftige Abschneiden bei mathematischen Tests vorhersagen. Eine geringere GABA-Konzentration ist gleichzusetzen mit schlechteren Leistungen.

In einem weiteren Schritt wollten die Forscher nun untersuchen, ob der verringerte GABA-Spiegel die Folge des fehlenden Matheunterrichts war oder ob Schüler mit weniger GABA eher das Schulfach abwählen. Hierfür stand den Wissenschaftlern eine weitere Gruppe von Schülern als Probanden zur Verfügung. Diese hatten sich zwar bereits für oder gegen das Fach Mathe entschieden, wurden aber im Untersuchungszeitraum noch mit Mathe unterrichtet.
Es wurden auch in dieser Gruppe Unterschiede in den mathematischen Fähigkeiten deutlich. Schüler pro Mathematik schnitten besser ab. Wirft man allerdings einen Blick auf die Neurotransmitter, so konnte kein Unterschied festgestellt werden. Diese Erkenntnis lässt die Schlussfolgerung zu, dass der verringerte GABA-Spiegel erst entsteht, sobald das Fach Mathematik abgewählt wurde. Bei anderen Fächern wie Biologie oder Physik zeigte sich dieser Effekt nicht.
 

Chancengleichheit schaffen

„Das Jugendalter ist ein Lebensabschnitt, der mit wichtigen Veränderungen des Gehirns und der kognitiven Fähigkeiten verbunden ist“, sagt Zacharopoulos Kollege Roi Cohen Kadosh. „Leider scheint die Möglichkeit, in diesem Alter mit dem Mathematikunterricht aufzuhören, zu einer Kluft zwischen Jugendlichen zu führen, die ihren Mathematikunterricht abbrechen, und solchen, die ihn fortsetzen. Unsere Studie liefert eine neue Ebene des biologischen Verständnisses der Auswirkungen von Bildung auf das sich entwickelnde Gehirn und die gegenseitige Wirkung zwischen Biologie und Bildung.“

Die Wissenschaftler sehen es als wichtige künftige Aufgabe an, die schädlichen Effekte des fehlenden Matheunterrichts mit anderen Möglichkeiten auszugleichen. Nur so könnten langfristige Auswirkungen verhindert werden.  „Nicht jeder Heranwachsende hat Freude an Mathe“, so Cohen Kadosh. „Also müssen wir mögliche Alternativen untersuchen, wie zum Beispiel Training in Logik und logischem Denken, das denselben Gehirnbereich wie Mathe anspricht.“ Während der anhaltenden Corona-Pandemie sind diese Ergebnisse ebenfalls von enormer Bedeutung, da viele Kinder und Jugendliche keinen oder nur unzureichenden Unterricht erhalten. 

Kadosh macht klar: „Während wir den langfristigen Einfluss dieser Unterbrechung noch nicht kennen, liefert unsere Studie ein wichtiges Verständnis dafür, wie sich das Fehlen einer einzigen Komponente in der Bildung, nämlich Mathematik, auf Gehirn und Verhalten auswirken kann“.

Quellen:

George Zacharopoulos et al.: „Proceedings of the National Academy of Sciences“, 15. Juni 2021.
https://www.pnas.org/content/118/24/e2013155118
https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/matheunterricht-foerdert-die-hirnentwicklung/

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