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Gifttiere

GEFÄHRLICHE SCHÖNHEITEN

Kegelschnecken besitzen Gifte, die selbst für Menschen tödlich sein können – und jede Art besitzt einen anderen Cocktail. Doch richtig angewandt, können diese Toxine auch medizinisch genutzt werden.

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Die ausdrucksvoll gezeichneten Schneckenpanzer mit ihren bunten, grafischen Mustern sind beliebte Sammlerobjekte – wer am Strand das Gehäuse einer Kegelschnecke findet, wird begeistert sein. Doch von lebenden Exemplaren sollte man lieber die Finger lassen, denn die Tiere, die in diesen Gehäusen leben, besitzen starke Nervengifte, um Beute zu jagen oder sich gegen Feinde zu wehren. Diese Conotoxine sind bei manchen Arten so stark, dass sie auch Menschen zum Verhängnis werden können.

Über 500 Die mehreren hundert Arten der Kegelschnecken variieren stark in der Länge, die von etwa zwei bis zwanzig Zentimetern reichen kann. Nicht alle sind so harmlos wie die einzige im Mittelmeer vorkommende Art, die „Conus mediterraneus“, die zudem nur zwei bis drei Zentimeter groß wird.

Einige Kegelschneckenarten ernähren sich von Meereswürmern, andere von kleinen Weichtieren und Fischen. Die Toxine der Arten, die sich von Würmern ernähren, sind für den Menschen ungefährlich. Weichtier- und vor allen Dingen fischfressende Schnecken produzieren jedoch weitaus stärkere Gifte, die ihre Beute auf der Stelle töten, sodass sie der Schnecke nicht mehr entfliehen können.

Am gefährlichsten ist dabei die etwa handtellergroße Landkartenkegelschnecke . Sie kommt wie die meisten Kegelschneckenarten hauptsächlich im Indischen Ozean und Pazifik vor. Dort lebt sie in etwa 20 Metern Tiefe in sandigem Meeresboden an Korallenriffen. Das macht sie für Taucher besonders gefährlich, zumal sie in beliebten Revieren wie zum Beispiel am Roten Meer oder vor der Küste von Mauritius heimisch ist. Weltweit sind etwa dreißig Todesfälle von Tauchern durch Conus geographus dokumentiert.

Ein Glücksgriff für die Medizin?
Hierzu wurde ein Conotoxin, das die Kalziumkanäle in den Nervenzellen blockiert, künstlich hergestellt. Dieser Ziconitid genannte Wirkstoff verhindert durch die von ihm ausgelöste neuronale Blockade die Weiterleitung von Schmerzreizen. Er wirkt dabei sehr viel stärker als Morphin und lässt sich mit anderen Opioiden und Muskelrelaxanzien kombinieren. Am wichtigsten ist aber, dass Ziconitid nicht abhängig macht wie Morphinderivate, die bei chronischen Schmerzen herkömmlicherweise eingesetzt werden. Allerdings muss das Medikament mit einer Schmerzpumpe in das Rückenmark infundiert werden, wodurch es bisher nur Patienten mit sehr schweren chronischen Schmerzen vorbehalten ist.

Ein weiteres Conotoxin-Derivat wird zurzeit noch entwickelt. Conantokin, auch Contulakin-G, entspricht dem Gift der Landkarten-Kegelschnecke und weist ebenfalls analgetische Wirkung auf. Möglicherweise könnten Conotoxine zukünftig auch als Grundlage für Epilepsie-Medikamente dienen oder den Untergang von Nervenzellen nach Schlaganfall oder Herzinfarkt hemmen.

Doch die giftigen Kegelschnecken können auch außerhalb des Wassers gefährlich werden. Die Tiere ziehen sich nämlich sehr weit in ihr Schneckenhaus zurück. Werden sie angespült, können ahnungslose Sammler glauben, das Gehäuse sei leer. Sie nehmen es auf und werden von den Kegelschnecken attackiert. Daher sollte man die Gehäuse, so schön sie auch sind, lieber am Strand liegen lassen. Die fischfressenden Kegelschnecken umfassen etwa 70 der 500 Arten und gehören dabei zu den größeren Exemplaren.

Giftpfeil im Maul Aus der Reibezunge, die Schnecken normalerweise besitzen, hat sich bei der Kegelschnecke ein spezieller Zahn entwickelt. Er besteht aus einem Chitinplättchen, das harpunenähnlich zu einem Hohlraum mit einem Widerhaken an der Spitze umgebildet wurde. An seinem Grund sitzt eine zur Giftdrüse umgewandelte Speicheldrüse.

Wird die Schnecke angegriffen oder will sie Beute machen, kann sie das Gift mithilfe des hohlen Pfeilzahns blitzschnell in ihr Gegenüber schießen. Dabei ist dieser Zahn so scharf, dass er auch dicke Taucherhandschuhe durchdringen kann. Er verbleibt im Opfer, die Kegelschnecke produziert unablässig neue Pfeilzähne, die sie in einer Art Tasche in der Reibezunge aufbewahrt.

Das jeweilige Conotoxin einer Kegelschnecke ist ein Gemisch aus Dutzenden von Oligopeptiden, kurzen Eiweißketten, die zwischen 10 und 60 Aminosäuren lang sind. Sie wirken als Nervengifte, indem sie die Ionenkanäle von Neuronen blockieren oder die Reizweiterleitung an den Synapsen unterbrechen. Es kommt zu klassischen Symptomen eines Nervengiftes: Empfindungsstörungen, Verkrampfungen und schließlich Lähmungen, die zum Tod durch Atemstillstand führen.

Beim Menschen kann das starke Gift innerhalb einer dreiviertel Stunde zum Tod führen. Ein Gegengift gibt es nicht. Man kann daher nur versuchen, den Kreislauf des Vergifteten stabil zu halten und die Symptome zu bekämpfen. Gefährlich wird es, wenn eine Ohnmacht eintritt, was unter Wasser das Todesurteil bedeutet. An Land kann das Opfer durch gezielte Mund-zu-Mund-Beatmung häufig so lange stabilisiert werden, bis der Körper das Gift metabolisiert hat oder der Notarzt eintrifft.

Die betroffene Extremität sollte außerdem, wenn möglich, fest gewickelt, fixiert und tief und kühl gelagert werden, um die Ausbreitung des Giftes im Körper zu verlangsamen. Die lebensbedrohlichen Folgen sind meist relativ schnell überstanden, doch manche Opfer klagen noch Monate nach der Vergiftung über Gliederschmerzen.

Jede Kegelschneckenart besitzt einen anderen Giftcocktail. Welchen Hauptwirkstoff dieses Gemisch enthält, ist davon abhängig, auf welche Beute sich die jeweilige Schneckenart spezialisiert hat. Diese differenzierte Wirkung des Giftes macht man sich bereits seit 2001 in der Medizin zunutze.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 11/13 ab Seite 142.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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