Goldene Hand.© Wieland Teixeira / iStock / Getty Images

Marfan-Syndrom

GEFÄHRLICHE BINDEGEWEBSSCHWÄCHE

Diagnose: Marfan-Syndrom. Die erblich bedingte Erkrankung des Bindegewebes ist selten, aber schwerwiegend. Ein umfassendes, interdisziplinäres Behandlungskonzept ermöglicht es, Komplikationen zu verhindern.

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Beim Marfan-Syndrom handelt es sich um eine bislang unheilbare Bindegewebserkrankung. Ihren Namen verdankt sie dem französischen Kinderarzt Antoine Bernard-Jean Marfan (1858 – 1942), der die Symptome Ende des 19. Jahrhunderts erstmals wissenschaftlich beschrieb und als „Spinnenfingrigkeit“ bezeichnete. Aus naheliegendem Grund, denn sehr schmale, überlange und extrem biegsame Finger gehören zu den charakteristischen Auffälligkeiten der genetischen Krankheit, die um 1930 als Marfan-Syndrom in die medizinische Literatur einging.

Fehler mit Folgen Heute weiß die Wissenschaft recht präzise, was es damit auf sich hat: Ursache des Marfan-Syndroms ist ein genetischer Fehler, genauer gesagt, eine Mutation im FBN1-Gen, das für das Glykoprotein Fibrillin kodiert. Fibrillin ist ein wesentlicher Bestandteil der Mikrofibrillen, die das Grundgerüst der elastischen Fasern des Bindegewebes bilden und so gut wie überall im Körper zu finden sind. Das erklärt, warum die genetisch bedingte Bindegewebsschwäche weitreichende Folgen hat und ganz unterschiedliche Organe und Körperstrukturen in ihren Funktionen beeinträchtigen kann.

Unter anderem können sich die Auswirkungen am Herzen und an den Blutgefäßen zeigen. Das Marfan-Syndrom kann aber auch Ver- änderungen des Skeletts, gravierende Sehstörungen und andere gesundheitliche Beeinträchtigungen nach sich ziehen. Die vorherrschenden Symptome und ihre Ausprägungen unterscheiden sich oft erheblich voneinander, sodass es „den typischen Marfan-Patienten“ nicht gibt.

Meist vererbt Schätzungen zufolge tritt die Bindegewebsschwäche bei ein bis zwei von 10 000 Menschen auf. Damit gehört sie zu den seltenen Erkrankungen, den sogenannten „Orphan Diseases“. Deutschlandweit leben demnach zwischen 8000 und 16 000 Menschen mit Marfan-Syndrom, geschlechtsspezifische Unterschiede gibt es keine. Vererbt wird die Krankheit autosomal-dominant.

Das bedeutet: Sind Mutter oder Vater vom Marfan-Syndrom betroffen, liegt die Wahrscheinlichkeit, es auf ihr Kind zu vererben, bei 50 Prozent. Dieses Risiko besteht bei jedem Kinderwunsch erneut. Bei etwa jedem vierten Patienten tritt die Bindegewebsschwäche allerdings als sogenannte Spontanmutation auf. Das heißt: Obwohl beide Elternteile gesund sind, weist das Kind den genetischen Fehler auf.

Vielfältige Symptome Einige der Symptome sind im Kindesalter normalerweise noch nicht vorhanden und entwickeln sich erst im Laufe des Lebens. Veränderungen und Auffälligkeiten betreffen insbesondere die folgenden Organe:

  • Knochen und Gelenke Auffallend und selbst für medizinische Laien deutlich sichtbar sind Veränderungen des Skelettsystems, die bei vielen – aber nicht bei allen – Marfan-Patienten auftreten. Dazu gehören eine Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) und Brustkorbdeformitäten wie Trichter- oder Kielbrust. Sehr oft haben Menschen mit Marfan-Syndrom überlange Gliedmaßen, überstreckbare Gelenke, einen schmalen Körperbau, einen langen Schädel sowie einen schmalen Kiefer mit schief stehenden Zähnen. Viele sind auffallend groß, Experten sprechen von Hochwuchs.
  • Herz und Gefäße Durch das schwache Bindegewebe kann sich die Hauptschlagader (Aorta) mit den Jahren ausdehnen. Durch die Aussackungen (Aneurysmen) kann die Aorta reißen – dann besteht akute Lebensgefahr. Auch krankhaft veränderte Herzklappen und Herzschwäche zieht das Marfan-Syndrom nicht selten nach sich.
  • Augen Kurzsichtigkeit und eine Verschiebung der Linse sind charakteristische Symptome, die erste Hinweise auf ein Marfan-Syndrom liefern können. Schon in jungen Jahren kann die Krankheit zu einer Linsentrübung (Grauer Star, Katarakt) führen, auch ein Grüner Star (Glaukom) kann die Folge sein. Zudem gehören Netzhautablösungen zu den häufigen Komplikationen, durch die es zu schweren Sehstörungen bis hin zur Erblindung kommen kann.
  • Lunge Mitunter schädigt das Marfan-Syndrom auch die Lunge. Betroffene haben ein höheres Risiko, einen sogenannten Pneumothorax zu erleiden. Durch das schwache Bindegewebe können sich blasenartige Ausstülpungen in der Lunge entwickeln. Platzt eine dieser Blasen, gelangt Luft in den Spalt zwischen Lunge und Brustwand (Pleuraspalt) und es entsteht ein Pneumothorax. Die Lunge kann in sich zusammenfallen; Brustschmerzen und Atemnot sind typische Symptome eines Pneumothorax.

Das Marfan-Syndrom kann auch andere Körperstrukturen in Mitleidenschaft ziehen. Bleibt die genetische Erkrankung unerkannt und unbehandelt, kann sie die Lebenserwartung verkürzen. Ohne Therapie werden Betroffene durchschnittlich etwa 40 bis 50 Jahre alt. Die gute Nachricht: Bei optimaler medizinischer Versorgung können Marfan-Patienten heute genauso alt werden wie ihre gesunden Mitmenschen.

Alltag mit Marfan-Syndrom Marfan-Patienten selbst können erheblich zum Behandlungserfolg beitragen – allein dadurch, dass sie alle erforderlichen Untersuchungen gewissenhaft wahrnehmen, gut über ihre Krankheit informiert sind und Warnsignale, die womöglich auf eine Verschlechterung oder gar einen medizinischen Notfall hinweisen, kennen. Von bestimmten körperlichen Belastungen, etwa schwerem Heben, Wettkampf- und Kontaktsport, raten Fachleute ab. Viele Menschen mit Marfan-Syndrom profitieren vom Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen.

Info Ausführliche Informationen über die seltene Krankheit, eine Liste mit Kontaktadressen zu verschiedenen Marfan-Sprechstunden, Rat und Hilfe für Betroffene – alles das bietet die Marfan Hilfe (Deutschland) e. V. auf ihrer Homepage: www.marfan.de.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 ab Seite 72.

Andrea Neuen, freie Journalistin

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